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Corona-Notstand rückt näher an Olympia

28. Mai 2021

Die japanische Regierung verlängert den Corona-Notstand für die Olympiastadt Tokio und andere Regionen um weitere drei Wochen. Das dürfte Wasser auf die Mühlen der vielen Olympia-Kritiker in Japan sein.

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Japan Tokio | Plakate der Olyimpischen Spiele in Japan
Bild: Koji Sasahara/AP/dpa/picture alliance

Die Corona-Pandemie bleibt der Stimmungskiller für die Olympischen Spiele von Tokio. Nach wie vor sind laut Umfragen zwischen 60 und 80 Prozent der Japanerinnen und Japaner dafür, die Spiele komplett abzusagen oder erneut zu verschieben. Ein Stimmungsumschwung ist nicht erkennbar. Schon gar nicht nach der Entscheidung der japanischen Regierung an diesem Freitag, wegen der weiter angespannten Corona-Lage den ursprünglich Ende Mai auslaufenden Notstand für Tokio und andere Regionen des Landes bis mindestens 20. Juni zu verlängern. Die Situation bleibe "unberechenbar", sagte Ministerpräsident Yoshihide Suga. Nach den Notstandsregeln sollen Restaurants und Bars um 20 Uhr Ortszeit schließen, die Bevölkerung ist aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Bereits rund einen Monat nach dem nun geplanten Auslaufen des Notstands soll in Japans Hauptstadt das größte Sportereignis der Welt über die Bühne gehen: die Olympischen Spiele vom 23. Juli bis 8. August. 

"Behandelt wie eine IOC-Kolonie"

Noch immer hält sich in Japan die Empörung über eine Äußerung von John Coates, dem Vizepräsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Der australische Jurist, Präsident des Internationalen Sportgerichtshofs (CAS) in Lausanne, hatte vor einer Woche in einer virtuellen Konferenz gesagt, das IOC werde für sichere Spiele in Tokio sorgen, "egal, ob es einen Notstand gibt oder nicht". Kazuo Shii, Chef der oppositionellen Kommunistischen Partei Japans (KJP), warf Coates vor, er behandle Japan "wie eine Kolonie des IOC-Reichs". Die KJP hatte bei der letzten Unterhauswahl 2017 neun Prozent der Stimmen erreicht.

Die "Asahi Shimbun", zweitgrößte Zeitung Japans und offizieller Medienpartner der Olympischen Spiele, forderte am Mittwoch Regierungschef Suga auf, die Spiele in Tokio wegen der Corona-Pandemie abzusagen. Sie durchzuführen sei "einfach jenseits aller Vernunft", hieß es in einem Leitartikel. Coates' Äußerung erinnere "uns aufs Neue an die Selbstgerechtigkeit des IOC".

Athleten sollen Infektionsrisiko alleine tragen

Unbeeindruckt von der Kritik aus Japan stimmte das IOC bei einer virtuellen Veranstaltung am Mittwoch und Donnerstag die Athletinnen und Athleten auf Tokio ein. Dabei kam das Gespräch auch auf ein Dokument, das alle Olympia-Startenden unterzeichnen müssen. Darin sollen sie erklären, dass sie auf eigene Gefahr nach Tokio reisen und auf jeden Haftungsanspruch im Falle einer COVID-Infektion verzichten. "Keine Regierung, keine Gesundheitsbehörde kann Garantien gegen Infektionen übernehmen oder hat sie jemals übernommen", sagte die zuständige IOC-Managerin Lena Haddad. "Das ist ein Risiko, das wir alle tragen. Für uns alle gelten dieselben Regeln."

Internationale Athletenvertretungen kritisieren die geforderte Verzichtserklärung. "Das Risiko von Infektionen und ihrer Folgen darf nicht einfach auf den Schultern der Athletinnen und Athleten wie im Übrigen auch der Freiwilligen und anderer Personengruppen abgeladen werden", sagt Maximilian Klein von "Athleten Deutschland" der DW. "Das IOC verzichtet auf einen Plan B und erzielt Milliardenumsätze mit der Leistung der Athleten bei den Spielen. Allein schon deswegen dürfen die Organisatoren im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht keine Kosten und Mühen scheuen, um mit allen Mitteln und Maßnahmen das Infektionsrisiko für alle Beteiligten zu reduzieren. Das ist aktuell aber immer noch nicht der Fall."

Die Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen für Tokio, so Klein, entsprächen "immer noch nicht geltenden Best-Practice-Standards aus professionellen Ligen und werden auch von wissenschaftlicher Seite kritisiert". So warfen in dieser Woche Wissenschaftler im renommierten "New England Journal of Medicine" dem IOC vor, "die Lehren aus anderen großen Sportveranstaltungen nicht beherzigt" zu haben. Das Gesundheitskonzept für Tokio beruhe "nicht auf den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen".

Furcht vor Ausbreitung einer neuen Mutante

Während das IOC davon ausgeht, dass rund 80 Prozent der Olympia-Starterinnen und -Starter mit Impfschutz nach Tokio kommen, ist die Impfkampagne in Japan nur sehr schleppend in Gang gekommen: Weniger als fünf Prozent wurden bisher geimpft. Auch das trägt zur Olympia-Skepsis im Lande bei.

Japan Anti-Olympia-Demonstration in Tokio
Demonstration vom Olympiagegnern in TokioBild: Viola Kam/ZUMA Wire/imago images

Naoto Ueyama, Chef einer japanischen Ärzte-Vereinigung, warnte davor, dass sich eine neue COVID-Mutante ausbreiten könnte, wenn mehrere Zehntausend Sportler, Betreuer und Medienleute aus aller Welt zu den Olympischen und Paralympischen Spielen nach Tokio kämen. Mit Blick auf seine eigene Arbeit in einem Krankenhaus nahe Tokio verglich Ueyama die Corona-Pandemie mit der Situation in einem "konventionellen Krieg".

Entscheidung bis Ende Juni

Eine Absage der Olympischen und Paralympischen Spiele würde Japan nach Schätzungen von Experten mindestens 1,81 Billionen Yen (etwa 13,5 Milliarden Euro) kosten. Das käme immer noch billiger als die wirtschaftlichen Verluste, die ein Corona-Ausnahmezustand verursachen würde, meinen die Olympia-Kritiker in Japan.

Richard Pound, dienstältestes IOC-Mitglied, sagte der japanischen Nachrichtenagentur Jiji Press, die endgültige Entscheidung über die Spiele müsse vor Ende Juni fallen, damit sich alle Beteiligten darauf einstellen könnten. "Ja oder nein", so der Kanadier. "Eine weitere Verschiebung wird es nicht geben."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter