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Politik

Corona setzt Flüchtlingskinder fest

Marina Strauß
19. März 2020

Einige EU-Staaten wollten minderjährige Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufnehmen. Doch Luxemburgs Außenminister Asselborn stellte nun klar, dass wegen der Coronakrise eine Aufnahme erst einmal unmöglich sei.

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Griechenland Flüchtlingslager Moria | ausgetrocknetes Flussbett
Flüchtlingskinder auf Lesbos, Griechenland im Februar 2020Bild: DW/M. Zander

Der Bachlauf ist zwar trocken, aber dennoch voll bis zum Rand: blaue Plastiksäcke, Pappe, und wohin man sieht: leere Plastikflaschen. Ein kleiner Junge, vielleicht sechs Jahre alt, watet durch den Fluss aus Müll. Hier im sogenannten "Dschungel", wo sich Bretterbuden dicht aneinanderreihen und Kinder im Dreck spielen, wird das ganze Elend des Flüchtlingslagers Moria sichtbar.

Der Hotspot auf der griechischen Insel Lesbos gilt schon seit Langem als Ort der größten humanitären Krise in Europa. Ein Camp, das ursprünglich für rund 3000 Menschen ausgelegt war und in dem jetzt weit mehr als 20.000 Personen auf engstem Raum leben.

Auch auf anderen Inseln in der Ägäis sieht die Lage nicht besser aus. Insgesamt mehr als 42.000 Flüchtlinge und Migranten harren auf Lesbos, Chios und Samos aus, teilweise seit über einem Jahr. Und jetzt könnte sich mit der Corona-Pandemie ihre Lage noch weiter verschlimmern.

Erst vor kurzem hatten Deutschland und einige andere EU-Staaten, darunter Frankreich und Luxemburg, sich dazu bereit erklärt, zumindest die Schwächsten unter ihnen aufzunehmen: minderjährige Unbegleitete und besonders schutzbedürftige Kinder.

Laut EU-Kommission leben im Moment 1500 Kinder und Jugendliche ohne Erziehungsberechtigte auf den griechischen Inseln. Die EU-Innenminister hatten am vergangenen Freitag in Aussicht gestellt, dass sie noch in dieser Woche auf die EU-Staaten, "eine Koalition der Willigen", verteilt werden könnten.

Wasserwerfer, Tränengas und Rauchbomben

Die Bereitschaft, Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen, ist nicht nur humanitärer Natur. Nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vor zwei Wochen erklärt hatte, die türkische Grenze nach Griechenland sei offen, machten sich Tausende Flüchtlinge und Migranten auf den Weg dorthin.

Griechische Sicherheitskräfte stellten sich ihnen mit Wasserwerfern, Tränengas und Rauchbomben entgegen. Mindestens zwei Menschen sollen durch Schüsse von griechischer Seite getötet worden sein, was die Regierung in Athen bestreitet. Die Bilder von gewaltsamen Szenen gingen um die Welt und setzten die EU unter Druck.

Doch nun könnte aufgrund der COVID-19-Pandemie alles anders sein: Wegen des sich ausbreitenden Coronavirus haben die EU-Staaten ihre Kontrollen an den Grenzen drastisch verschärft - oder sie weitgehend dicht gemacht. Damit begründen die Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM), warum sie nun ihre Resettlement-Programme vorübergehend aussetzen wollen. Das bedeutet, Flüchtlinge in besonderen Notlagen können temporär nicht in für sie sichereren Ländern Zuflucht finden. Auch in Deutschland nicht. 

Griechenland Flüchtlinge im Moria Camp, Lesbos
Ein Flüchtlingsmädchen in Camp Moria auf LesbosBild: Reuters/C. Baltas

Asselborn: "Das hängt nicht an uns"

Die von der "Koalition der Willigen" zugesagte Aufnahme von Flüchtlingskindern auf den griechischen Inseln soll dieser Schritt allerdings nicht betreffen. So zumindest der Sprecher der EU-Kommission Adalbert Jahnz: Natürlich müsse man die Ausbreitung des Virus und die Maßnahmen, die verschiedene Staaten deswegen träfen, beachten. Deswegen sei es auch schwer, einen genauen Zeitplan zu kommunizieren.

Aber: "Ich kann Ihnen versichern, intensive Diskussionen und Vorbereitungen laufen gerade", so der EU-Kommissions-Sprecher Jahnz. Eine Sprecherin teilte der DW außerdem mit, dass der zeitliche Ablauf durch COVID-19 wahrscheinlich beeinträchtigt würde. Die EU-Kommission hatte zugesichert, in dem Prozess eine koordinierende Rolle einzunehmen.

Aus dem deutschen Innenministerium hieß es vage, die EU-Kommission prüfe gerade, inwiefern diese Koordination angesichts der aktuellen Corona-Lage möglich sei. Am Mittwoch wurde noch verkündet, die COVID-19-Pandemie solle "keine Auswirkungen auf die Bemühungen" haben. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn räumte jedoch im Gespräch mit der DW am Donnerstag ein, dass sein Land vorerst keine Flüchtlingskinder aufnehmen kann.

"Das hängt nicht an uns, nicht an Griechenland, nicht am UN-Flüchtlingswerk. Es ist unmöglich in der schweren Zeit, in der wir sind, was die Sicherheit angeht, die Gesundheit angeht, die Betreuung angeht, die Aufnahme der Menschen in anständigen Bedingungen zu gewährleisten." Luxemburg und auch andere EU-Länder würden alles vorbereiten, um die Kinder zu transferieren, sobald es gehe, so Asselborn.

Boris Cheshirkov, Sprecher von UNHCR Griechenland, versteht, dass die Corona-Krise den Prozess verlangsamen könnte, fordert die EU aber auch dazu auf, die Reise der Kinder jetzt schon vorzubereiten, damit es, sobald wie möglich, losgehen könne.

Flüchtlinge im Camp Moria auf Lesbos
In Camp Moria auf Lesbos leben mehr als 20.000 Flüchtlinge und Migranten unter katastrophalen BedingungenBild: DW/A. Carassava

Camps unter Quarantäne

Viele Hilfsorganisationen betonen immer wieder, dass es gerade aufgrund der katastrophalen sanitären Lage in den griechischen Camps wichtig wäre, alle Menschen an einen Ort zu bringen, an dem sie besser vor dem Virus geschützt sind.

In Deutschland haben einige Politiker und Prominente eine Petition gestartet, die sich genau dafür einsetzt: "Wir haben Platz für Menschlichkeit", schreiben sie. Und #LeaveNoOneBehind, "Lasst niemanden zurück". Bis jetzt haben fast 80.000 Menschen unterschrieben. 

Die Initiatoren der Petition bemängeln, was auch DW-Reporter bestätigen können, die mehrmals vor Ort waren: Hunderte teilen sich in Camp Moria auf Lesbos eine einzige Toilette. Da Waschmöglichkeiten kaum vorhanden sind, sind einfachste Hygienevorkehrungen wie Händewaschen für viele nicht möglich.

Auch gibt es kaum Ärzte, die sich um Infizierte kümmern könnten. Im völlig überbevölkerten Lager gibt es für die weit mehr als 20.000 Menschen, die hier leben, keinerlei Möglichkeit, sich zu isolieren oder anderweitig vor dem Coronavirus zu schützen.

Um einen Ausbruch zu vermeiden, hat die griechische Regierung angefangen, landesweit Camps als Ganzes unter Quarantäne zu stellen. Bewohner dürfen nur noch tagsüber und in kleinen Gruppen die Lager verlassen.

Ob das ausreicht, ist fraglich. EU-Migrationskommissarin Ylva Johannsson scheint fest daran zu glauben. Sie twitterte an diesem Donnerstag, sie bemühe sich absolut sicherzustellen, dass die Gesundheit von Asylsuchenden und Migranten auf EU-Boden geschützt werde.