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Corona: "Situation nicht unähnlich wie im März"

13. August 2020

Immer mehr Deutsche bringen aus dem Urlaub das Corona-Virus mit - nicht nur aus Risikogebieten. Bayern will daher alle Rückkehrer testen. Im ersten Anlauf ging das ziemlich in die Hose. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Deutschland | PK | Bayern Ministerpräsident Markus Söder
Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml und Ministerpräsident Markus Söder Bild: picture-alliance/dpa/P. Kneffel

Beim bayerischen Roten Kreuz sind sie wütend. Seit Ende Juli stehen Mitarbeiter der Hilfsorganisation in der Sommerhitze auf drei Autobahnraststätten und in zwei Hauptbahnhöfen und testen Reisende auf das Corona-Virus, die über Bayern aus dem Ausland nach Deutschland zurückkommen. Eine Mammutaufgabe, denn in immer mehr Bundesländern gehen die Sommerferien zu Ende.

60.000 Reisende sind bis jetzt an den fünf Teststellen auf das Corona-Virus untersucht worden. Darunter auch viele Urlauber, die sich freiwillig haben testen lassen. Verpflichtend sind die Tests seit dem 8. August nur für Rückkehrer aus Risikogebieten und nur diese Menschen müssen sich in Quarantäne begeben, bis sie ein negatives Testergebnis haben.

Droht ein neues Ischgl?

Nun stellt sich heraus, dass 44.000 der 60.000 Getesteten seit über einer Woche auf ihre Ergebnisse warten. Brisant ist das vor allem, weil 900 Tests positiv ausgefallen sind, die Getesteten also das Virus in sich tragen. Wenn sie nicht aus einem Risikogebiet kommen, nicht zuhause bleiben müssen und keine Symptome haben, könnten sie unbeabsichtigt das Virus verbreiten. So wie es im Februar und März bei Reiserückkehrern aus dem österreichischen Skigebiet Ischgl der Fall war.

Österreich Corona-Pandemie Ischgl
Aus dem Corona-Hotspot Ischgl wurde das Corona-Virus in ganz Europa verbreitetBild: picture-alliance/dpa/J. Gruber

"Die bayerischen Hilfsorganisationen wurden vom Freistaat Bayern beauftragt, innerhalb eines Tages fünf Teststationen in Betrieb zu nehmen", kritisiert das Rote Kreuz die überstürzte Anordnung der ganzen Aktion. Die haarsträubende Panne hängt offenbar damit zusammen, dass die Daten der Getesteten handschriftlich auf Zetteln festgehalten wurden. 

Wer ist schuld?

Das Landesgesundheitsamt habe "sich nicht in der Lage gesehen, in dieser kurzen Zeit eine entsprechende Software zur Verfügung zu stellen", stattdessen habe es nur Papier-Formulare gegeben. "Das Bayerische Rote Kreuz weist Vorwürfe oder Andeutungen zurück, die darauf schließen lassen, dass die Hilfsorganisationen eine (Teil-) Schuld an dieser Problematik haben", wehrt sich das bayerische Rote Kreuz ungewohnt heftig .

Auf der Suche nach den Schuldigen rückt nun die Politik in den Blick. Da wäre die bayerische Landesgesundheitsministerin Melanie Huml zu nennen, aber noch viel mehr ihr Chef, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Er war es, der beim Thema der kostenlosen Corona-Tests für alle bundesweit vorgeprescht war und den Aufbau der Testzentren nicht nur an drei Flughäfen, sondern auch an den Bahnhöfen und Autobahnraststätten angeordnet hatte.

Söder darf so etwas nicht passieren

"Wir können uns dafür auch nur entschuldigen letztlich", sagte Söder in München. "Das tut der gesamten Staatsregierung leid, dass diese Fehler passiert sind." Für Söder ist die Panne besonders peinlich, weil er sich seit Monaten als Krisenmanager in Szene setzt. Dem CSU-Politiker werden Ambitionen auf das Kanzleramt nachgesagt.

Zwar betont Söder immer wieder, sein Platz sei in Bayern. Doch vermutlich hätte er nichts dagegen, im kommenden Jahr bei der Bundestagswahl als gemeinsamer Kandidat von CDU und CSU ins Rennen zu gehen.

Bislang funktionierte Söders Strategie in der Corona-Pandemie, doch diesmal unterschätzte er offenbar, wie viele Menschen das Angebot annehmen würden. "Wer sich als Ministerpräsident permanent als Krisenmanager inszeniert und sich selbst ständig auf die Schulter klopft, ist auch in der Verantwortung sicherzustellen, dass es funktioniert", kritisiert die Grünen-Chefin Annalena Baerbock.

Deutschland Herrenchiemsee | PK | Markus Söder und Angela Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Markus Söder im Prunksaal auf Schloss HerrenchiemseeBild: Imago Images/S. Simon

Die SPD-Bundestagsabgeordnete und gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, Sabine Dittmar, sieht das ähnlich und fürchtet, dass nun viele Urlauber das Test-Angebot nicht mehr annehmen werden. "Wertvolles Vertrauen in die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Epidemie wird verspielt."

Keine einheitliche Strategie in Deutschland

Bayern ist das einzige Bundesland, das für alle Reiserückkehrer kostenlose Tests anbietet, egal woher sie kommen. Die übrigen 15 Bundesländer verfahren weniger großzügig, auch wenn sie Grenzen zum Ausland haben. Sie beschränken sich auf die Urlauber, die aus Risikogebieten einreisen und den Test verpflichtend machen müssen. Dabei haben deutsche Labore Kapazitäten für 1,2 Millionen Tests pro Woche, von denen aber nur die Hälfte derzeit in Anspruch genommen werden.

Deutschland Bayern, Mamming | Coronavirus | Testzentrum
Testen, testen, testen - so lautet die Devise in BayernBild: Getty Images/AFP/C. Stache

Nordrhein-Westfalen, das größte deutsche Bundesland, hat an fünf Flughäfen Test-Zentren eingerichtet. Bis zum 11. August wurden dort rund 47.000 Personen getestet, etwas mehr als zwei Prozent davon waren positiv. In der Regel würden die Getesteten ein bis zwei Tage auf ihr Ergebnis warten, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Düsseldorf auf Anfrage der DW.

Funktioniert es in anderen Bundesländern wirklich reibungslos?

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bezweifelt das. "Es gibt aus dem Bundesgebiet vereinzelt Hinweise, dass Resultate von Grenzübergängen, Flughäfen und Bahnhöfen gar nicht oder nur schleppend übermittelt werden", sagt Stiftungsvorstand Eugen Brysch, der von den Bundesländern gerne Information haben würde, "ob bei ihnen das Testverfahren für Reiserückkehrer reibungslos umgesetzt wird".

Deutschland | Coronavirus | Schulstart
In sechs Bundesländern hat die Schule schon wieder begonnenBild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner

Eine drängende Frage auch angesichts des inzwischen in mehreren Bundesländern angelaufenen neuen Schuljahres. In Berlin, wo die Schüler seit Anfang dieser Woche wieder ohne Abstand in ihren bis zu 30-köpfigen Klassen sitzen, sind bereits mehrere Fälle von positiv getesteten Lehrern und Schülern bekannt geworden. Da unbedingt vermieden werden soll, die Schulen sofort wieder komplett zu schließen, wurden nur einzelne Klassen und Lerngruppen in die Quarantäne geschickt.

Sorge vor erneutem Corona-Anstieg legitim

Unterdessen steigen die Infektionszahlen in Deutschland Tag für Tag weiter an. Zuletzt waren es mehr als 1400 neue Fälle. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder warnt bereits vor einem neuerlichen explosionsartigen Anstieg. "Die Situation ist nicht unähnlich wie im März", sagte er in München. Es gebe in vielen Regionen eine Zunahme der Infektionen und europaweit eine wachsende Zahl von Risikogebieten. "Die Sorge ist mehr als berechtigt."