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Politik

Corona stellt Indien auf harte Probe

Murali Krishnan
15. Juni 2020

Nach dem vorläufigen Ende des Lockdowns sieht sich Indien mit steigenden Infektionszahlen konfrontiert. Das Gesundheitssystem ist überfordert. Mit Notmaßnahmen sollen Patientenbetten aus dem Boden gestampft werden.

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Coronavirus | Indien Neu Delhi Vorbereitung für Beisetzung
Ein Bestattungsinstitut in Neu DelhiBild: picture-alliance/AP Photo/M. Swarup

Am Montag ist die Zahl der registrierten Fälle von Covid-19 in Indien auf über 330.000 gestiegen, die der Todesfälle auf mehr als 9500. In den vergangenen Tagen wurden jeweils über 10.000 Neuinfektionen gemeldet. Unter den Ländern, die am schwersten von der Pandemie betroffen sind, steht Indien derzeit an vierter Stelle, hinter den USA, Brasilien und Russland.

Die Ballungsräume von Mumbai, Delhi, Chennai und Ahmedabad verzeichnen einen besonders starken Anstieg an Neuinfektionen, auf sie entfallen rund 130.000 der bisherigen Fälle und etwa 4600 der Verstorbenen.

Krisensitzungen

Die indische Regierung unter Premier Modi hat am Wochenende auf einer Reihe von Sondersitzungen versucht, eine Antwort auf die kritische Lage zu finden. Auch ein Allparteien-Treffen wurde angeregt. In der Hauptstadtregion rechnen die Behörden bis Ende Juli mit einer Zunahme der Fälle um den Faktor 20 auf rund eine halbe Million.

Das sei "besorgniserregend", sagte ein leitender Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums der DW. "Während die Ansteckungsrate in einigen Industrieländern inzwischen sinkt, nimmt sie in Indien weiterhin zu. Der einzige Hoffnungsschimmer besteht darin, dass die Patienten schneller genesen, aber das darf uns nicht beruhigen", sagte der Ministerialbeamte unter Wahrung der Anonymität.

Indien Kalkutta | nach Zyklon Amphan | Narendra Modi, Premierminister
Indiens Premier Modi (l.) will eine Antwort auf die kritische Lage findenBild: AFP/PIB

Knappheit an allen Enden

Die Regierung geht davon aus, dass es in den Bundesstaaten Maharashtra, Tamil Nadu, Gujarat, Uttar Pradesh und im Unionsterritorium Delhi in den kommenden Monaten nicht genügend Betten, Intensivstationen und Beatmungsgeräte geben wird.

In Delhi und Mumbai versuchen die Behörden, in verfügbaren Bauten wie Festhallen, Stadien, Hotels oder Schulen Bettenstationen für Covid-Patienten zu errichten, auch ausrangierte Eisenbahnwaggons werden dafür hergerichtet. Laut dem Sender NDTV will die Regierung in Delhi in den kommenden Wochen auf diese Weise 20.000 zusätzliche Betten bereitstellen. Allerdings sagte Chefminister Arvind Kejrival vor der Presse: "Delhi braucht 150.000 zusätzliche Betten bis Ende Juli, wenn dort auch Patienten von außerhalb behandelt werden sollen."

In den vergangenen Tagen sind mehrere Fälle in Delhi bekanntgeworden, bei denen Kranke von Krankenhäusern nacheinander wegen Bettenknappheit abgewiesen wurden und die daraufhin verstorben sind. Darunter eine im achten Monat Schwangere mitsamt ihrem ungeborenen Kind.

Coronavirus | Indien Mumbai
Ärzteteams im Armenviertel MumbaisBild: Reuters/F. Mascarenhas

Finanzmetropole Mumbai weiterhin schwer betroffen

Unterdessen sieht sich auch das Finanzzentrum Mumbai bei rund 100.000 Fällen mit steigenden Zahlen und fast erschöpften Behandlungskapazitäten konfrontiert. Nach Angaben der Stadtverwaltung verfügt die Metropole derzeit über insgesamt 1094 Intensivbetten in staatlichen und privaten Einrichtungen, davon sind 1083 belegt. Von den 464 Beatmungsgeräten sind 437 im Einsatz. "Wir tun unsere Bestes und suchen nach zusätzlichen Plätzen", sagte Verwaltungschef Iqbal Chahal der DW.

Zusätzliche 8000 Bettenplätze will Mumbai noch im Juni in großen Feldhospitälern an verschiedenen Stellen der Stadt schaffen. Auch Privatkliniken sollen stärker in die Pflicht genommen werden, ihre Kapazitäten auszubauen.

Neue Hotspots durch Rückkehrer aufs Land

Die Rückkehr von rund 40 Millionen Wanderarbeitern aus den Städten in ihre Heimatdörfer hat auch dort neue Infektionsherde entstehen lassen. So entfallen im westlichen Staat Rajasthan rund 30 Prozent der neu gemeldeten Fälle auf ländliche Gebiete. Ähnlich im südlichen Andhra Pradesh, wo ein Drittel der in den vergangenen drei Wochen 1500 registrierten Fälle auf dem Land auftraten.

Indien Neu Delhi Coronavirus
Testzentrum für Covid-19 im Krankenhaus Ram Manohar Lohiya in Neu DelhiBild: DW/A. Sharma

In den abgelegenen ländlichen Regionen ohne private Kliniken und Praxen muss im Durchschnitt ein Arzt rund 11.000 Einwohner versorgen. Intensivbetten gibt es nur in zentralen Krankenhäusern der Bezirke und Universitäten. Diese schwierige Versorgungslage fällt mit einem hohen Anteil an Begleiterkrankungen und Mangelernährung auf dem Lande zusammen.

Kraftakt benötigt

Dennoch spricht sich V. K. Paul, der Leiter der von der Regierung eingesetzten Task Force zur Bekämpfung von Covid-19, im Gespräch mit der DW gegen "Verallgemeinerungen" aus. Man könne nicht sagen, dass das ganze Land schlimm betroffen sei. "Nach unseren aktuellen Erkenntnissen ist die Lage nur in geographisch begrenzten Teilen düster, insbesondere in dicht besiedelten urbanen Regionen. Es gibt immer noch riesige Regionen, die nicht signifikant betroffen sind."

Laut einer Studie der Forschungseinrichtung "Indian Council of Medical Research" könnte die Infektionswelle ihren Scheitelpunkt Mitte November erreichen. Nach Ansicht von anderen Experten steht Indien jedoch nicht vor einem Scheitelpunkt der Kurve, sondern vor mehreren solchen Spitzen, verteilt auf die verschiedenen Regionen, je nachdem, welche Verbreitungsbedingungen das Virus vorfindet.

Lalit Kant, ein früherer Regierungsberater für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, sagte der DW, steigende Infektionszahlen seien mit dem Ende des Lockdowns zu erwarten gewesen. Die Regierungen auf zentraler und Einzelstaatsebene müssten nun alle Kraft darauf konzentrieren, die Infrastruktur ihrer Gesundheitssysteme auszubauen.