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Corona-Tracing-App made in Südafrika

Adrian Kriesch
12. Mai 2020

Wissenschaftler der Universität Kapstadt haben eine Corona-Tracing-App speziell für Schwellenländer entwickelt. Doch ob sich das System durchsetzen wird, ist fraglich.

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Südafrika Kapstadt | Covi-ID App | Screenshot
Bild: DW/A. Kriesch

Der Blick aus dem Fenster von Co-Pierre Georgs Homeoffice gleicht einem Postkarten-Motiv. Im Kapstädter Stadtteil Camps Bay geht gerade die Sonne unter, der Himmel färbt sich orange und spiegelt sich im atlantischen Ozean. Doch Georg schaut nicht aus dem Fenster, sondern konzentriert sich auf die drei Bildschirme vor ihm. Er hat mit seinem Team ein Web-Seminar für politische Entscheidungsträger in Afrika organisiert, will seine Corona-Tracing-App Covi-ID vorstellen.

Ein Team aus 150 Freiwilligen hat die App entwickelt - Wissenschaftler, Banker, Unternehmer, Studierende. Georg lehrt Wirtschaft an der Universität Kapstadt, Schwerpunkt Finanztechnologien. Nebenbei arbeitet er noch für die deutsche Bundesbank. Und an Covi-ID.

QR-Code für Nutzer

Das System soll helfen, Kontaktpersonen von COVID-19-Infizierten aufzuspüren – und ist speziell auf Schwellenländer ausgerichtet. Jeder Teilnehmer kann sich in einer kostenlosen Webapplikation registrieren und seinen COVID-19-Status eintragen. Dann bekommt man einen QR-Code zugeteilt - entweder aufs Smartphone oder ausgedruckt auf Papier. Denn in Südafrika hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung kein Smartphone.

Der QR-Code ist das Herzstück der App: "Wenn du früh zur Arbeit gehst, kann der QR-Code eingescannt werden: beim Einsteigen in den Bus, von einem Sicherheitsmitarbeiter, im Supermarkt", erklärt Georg beim Seminar. "Jedes Mal, wenn der Code gescannt wird, bekommst du ein sogenanntes 'geolocation receipt'. Das ist wie eine Notiz, die sagt: An diesem Tag, zu dieser Zeit, warst du an diesem Ort."

Südafrika Coronavirus - Co-Pierre Georg
Co-Pierre Georg gehört zum Entwickler-Team der Covi-ID-AppBild: DW/A. Kriesch

Die Daten bleiben beim Nutzer. Die Identität wird via Blockchain geprüft, nicht auf einem zentralen Server gespeichert. Wenn ein Teilnehmer positiv getestet wird, muss er einwilligen, dass diese Information an die Gesundheitsbehörden weitergegeben werden.

Dann können sogenannte 'contact tracer' mögliche Kontaktpersonen aus den letzten Tagen warnen. Bisher setzen die Tracer bei ihrer Arbeit hauptsächlich auf die Erinnerung eines Infizierten, wen er wann und wo getroffen hat.

Shoppen nur mit Name und Telefonnummer

"Die Forschung zeigt: Kontakt-Aufspürung funktioniert nur, wenn wir 60 Prozent der Patienten finden, sobald sie Symptome zeigen. Und dann müssen wir möglichst sofort 50 Prozent ihrer Kontakte finden", sagt Georg. "Wenn wir vier bis sechs Tage dafür brauchen, sind wir zu langsam um die Ausbreitung des Virus zu stoppen."

Am Oranjezicht City Farm Markt in Kapstadt haben die Organisatoren deshalb schon jetzt ein einfaches System eingeführt: Jeder muss vor dem Betreten seinen Namen und seine Telefonnummer angeben – Mitarbeiter tragen die Daten mit einem Stift in eine Liste ein. "Sollte ein Markt-Besucher krank werden, müssen wir alle anderen finden, die auch hier waren, damit sie sich selbst isolieren und der Virus sich nicht weiter ausbreitet", erklärt Sheryl Ozinsky.

Südafrika Coronavirus - Mitarbeiter auf dem Oranjezicht Food Market
Mitarbeiter auf dem Oranjezicht Food Market notieren Namen und Telefonnummern der BesucheBild: DW/A. Kriesch

Vor der Pandemie war der Streetfood-Markt eine Touristenattraktion mit 7000 Gästen am Tag. Seit Ende April darf der Markt wieder öffnen – aber nur für essentielle Einkäufe. Jetzt kommen nur noch 700 Besucher. Eine App, sagt Ozinsky, wäre eine Verbesserung gegenüber dem bisherigen, manuellen System.

Skeptischer Epidemiologe

Doch wie bei allen Tracing-Apps ist auch hier das Dilemma: Ein System zur Nachverfolgung von Corona-Ansteckungen kann nur effizient sein, wenn es ein Großteil der Bevölkerung nutzt. Nur wenige Staaten wie China zwingen ihre Bürger dazu. Weltweit zeigt sich: Wenn die Menschen staatliche Überwachung und mangelnden Datenschutz befürchten, machen sie nicht mit.

"Immer wenn jemand mit einer App zu mir kommt, zucke ich erstmal mit den Schultern", sagt Salim Abdool Karim. Der Epidemiologe berät in Südafrika den Gesundheitsminister. "Ich habe in diesem Feld gelernt: Es gibt übertriebene Versprechen und wenig wird geliefert." Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa kündigte zum Beginn des Lockdowns an, dass Telekommunikationsunternehmen an einer automatisierten Tracing-Lösung arbeiten würden. Doch ihr System der Ortserfassung der Telefondaten über Mobilfunkmasten ist zu ungenau.

Trotz des Interesses von Regierungsvertretern bei Co-Pierre Georgs Web-Seminar – noch gibt es keine Anzeichen dafür, dass Südafrika oder ein anderes Land die App als nationales Projekt einführt. Die Forscher wollen deshalb zunächst mit Unternehmen arbeiten. Aktuell sind sie etwa mit einem großen Versicherungsunternehmer im Gespräch, auch am Oranjezicht Markt soll Covi-ID getestet werden.

Mangelnde Test-Kapazitäten als Hindernis

Das größte Problem für eine erfolgreiche Nutzung des Systems auf dem Kontinent sind jedoch die mangelnden Test-Kapazitäten. Südafrika hat bereits mehr als 350.000 COVID-19-Tests durchgeführt, mit Abstand die meisten auf dem Kontinent. Doch während private Labors die Testergebnisse innerhalb von 48 Stunden liefern, brauchen die staatlichen teilweise mehr als fünf Tage. Diese Verzögerung kann auch keine App korrigieren.

"Letztendlich bauen wir ein Risiko-Management-Tool", sagt Georg. "Es hilft der Regierung die Wirtschaft schnell, effizient und sicher wieder zu öffnen." Aber auch Georg gibt zu: "Es wird keine Lösung für COVID-19 geben, ohne dass wir unsere Test-Probleme gelöst haben."