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Corona und das Kino: Alles schon mal dagewesen?

Jochen Kürten
20. August 2020

Unterhaltung und Handlungstipps. Ein Filmwissenschaftler weist nach, dass TV und Kino vor Jahren die Corona-Pandemie vorausgesagt haben - und wundert sich.

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Ein Mann in einem orangen Schutzanzug mit Maske, der vor Viren schützen soll
Leben in Pandemie-Zeiten: der argentinische Film "Phase 7" aus dem Jahr 2011Bild: Koch Media

Hätte man es ahnen können? Hätten Politik, Wissenschaft und gesellschaftliche Institutionen einfach mehr ins Kino gehen müssen oder zu Hause vor dem Fernsehbildschirm aufmerksam das verfolgen sollen, was dort angeboten wird? In zahlreichen Katastrophenfilmen und TV-Serien ist längst aufgezeigt worden, was alles passiert, wenn sich Krankheiten rasend schnell um den Erdball verbreiten.

Haben nicht sowohl Hollywood-Blockbuster als auch Fernsehspiele und -serien aus aller Welt diese Szenarien, mit denen die Menschheit sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie fieberhaft beschäftigt, dramaturgisch wirkungsvoll durchexerziert? Diese Fragen müssen erlaubt sein - auch wenn niemand behauptet, dass fiktive Kino- und TV-Stoffe im Eins-zu-Eins-Maßstab für gesellschaftliche Zukunftsentwürfe herangezogen werden sollten.

Denis Newiak: "Am erschreckendsten ist, wie überrascht alle waren"

Porträt Denis Newiak
Denis Newiak hat sich mit Filmen und TV-Serien beschäftigt, die Pandemien in den Fokus nehmenBild: Kathleen Friedrich

Der Medienwissenschaftler Denis Newiak ist trotzdem verwundert, dass manches, was gerade in Sachen Pandemie passiert, die Menschheit so überwältigt: "Eigentlich ist es doch unglaublich, dass diese Filme und Serien seit zehn Jahren in Masse ausgestrahlt werden, und dass man nun, wenn ich das ein bisschen zugespitzt sagen darf, so überrumpelt dasteht", sagt Newiak: "Ich fand an der Krise am erschreckendsten, wie überrascht alle waren, vor allem die Politik, etwa in den USA."

Denis Newiak ist Medien- und Filmwissenschaftler, promoviert gerade zum Thema "Einsamkeit" in Film und Fernsehen und gemeinschaftsstiftenden Funktionen von TV-Serien. Während seiner Forschungen ist er auch auf das Thema Pandemie in Film und TV gestoßen.

Gemeinsam mit dem renommierten Fachverlag Schüren hat er seine Ergebnisse in einem Buch veröffentlicht: "Alles schon mal dagewesen - Was wir aus Pandemie-Filmen für die Corona-Krise lernen können" heißt der Band, der nun wegen der Aktualität des Themas bereits ein paar Monate nach Ausbruch der Pandemie auf dem Markt ist.

Eine Pandemie war in Film und TV schon lange präsent

Ihm sei als Wissenschaftler schnell klar gewesen: "Das ist ein Thema, das irgendwann präsent und relevant wird." Newiak, der ehrenamtlich auch als Sanitäter und im Katastrophenschutz tätig war, sagt heute: "Es war klar, dass irgendwann eine solche Situation eintreten würde, Experten warnen schon lange davor."

Filmszene mit zwei Menschen auf einer Strasse, die Masken tragen
Erst neun Jahre alt und schon ein Klassiker des Pandemie-Genres: Steven Soderberghs "Contagion" mit Kate Winslet (l.)Bild: picture-alliance/Everett Collection

Nach vielen Stunden in Kino und vorm Bildschirm habe er es als "frappierend" empfunden, "dass das in Film und Fernsehen schon so oft anschaulich und eindringlich durchgespielt wurde und auch ein Millionenpublikum erreicht hat, aber dann den Krankenhäusern und der Regierung so schnell die Filtermasken ausgegangen sind", sagt Newiak im Gespräch mit der Deutschen Welle.

 "Ohne jemandem in so einer globalen Krise einen Vorwurf machen zu wollen, sollten die Filme und Serien für uns eine Mahnung sein, reale Gefahren nicht zu unterschätzen und uns besser auf sie vorzubereiten, solange wir die Chance dazu haben."

Beispiel Maskentragen - ein argentinischer Film macht's vor

Film und Fernsehen als Ratgeber? Taugen das Katastrophen-Genre und TV-Serien als konkrete Handlungsvorbilder? Newiak ist überzeugt, dass man viel lernen kann von den fiktiven Medienentwürfen. Und er hat Beispiele parat, auch abseits populärer Hollywood-Katastrophenfilme: "Es gibt die schöne Pandemie-Satire 'Phase 7' (2010) aus Argentinien, wo sehr detailliert durchgespielt wird, wie die Leute mit ihren Masken umgehen."

Da gebe es Figuren, die würden total überrumpelt von der Krise: "Die Leute nehmen gar nicht richtig wahr, wie die Welt um sie herum untergeht. Die setzten ihre Masken - wie man das jetzt in den Fernsehnachrichten auch manchmal sieht - mal schief auf, mal gar nicht. Oder da ist der Nasenbügel mal nicht richtig angedrückt."

Zwei in Masken und Ganzkörperschutzanzügen auftretende Darsteller mit Pistolen, die eine Tür überwachen
Vor zehn Jahren spielte die argentinische Filmsatire "Phase 7" die Entwicklung einer Pandemie durch Bild: Koch Media

Wenn man das vor zwei Jahren im Kino gesehen hätte, wären diese Nuancen den meisten wohl beliebig erschienen, meint Newiak: "Aber aus der heutigen Perspektive bekommt das natürlich nochmal eine ganz neue Brisanz."

Doch es sind nicht nur solche Details, die der Filmwissenschaftler in zahlreichen Filmen aufgespürt hat: "Es geht im Genre auch um größere Themen wie den Umgang mit Fake News und Verschwörungstheorien, das große Geschäft mit der Angst und wirkungslosen Schein-Medikamenten und eine zunehmende politische Polarisierung der Gesellschaft."

"I am Legend": Will Smith im Home-Office

Ein Beispiel aus einem großen Hollywood-Film nennt Denis Newiak auch. In "I am Legend" (2007) sieht sich der von Will Smith gespielte Charakter Robert Neville nach einem weltweiten Virusausbruch als letzter Überlebender in New York. Es ist einsam um Neville geworden: Wie also umgehen mit der Situation?

"Das fängt damit an, dass man in Film und Fernsehen im Pandemie-Genre oft Figuren hat, die mit der neuen Einsamkeit umgehen müssen, wenn sie sich isolieren und in die eigene vier Wände zurückziehen müssen, weil es draußen zu gefährlich wird", fasst Newiak das Szenario zusammen.

Filmszene mit Mann und Hund in einem Auto in Strassenszene
Der letzte Mensch in New York: Will Smith mit Begleiter in "I am Legend"Bild: picture-alliance/United Archives

"In 'I am Legend' wird beispielsweise gezeigt, wie die Hauptfigur als vermeintlich letzter Mensch versucht, dieses einsame Leben durchzustehen", sagt Newiak. Das sei zwar stark zugespitzt, aber: "Das Phänomen, dass Menschen plötzlich dauerhaft im Home Office sind, oder dass sie sich in Quarantäne begeben müssen, lässt sich in bestimmten Grenzen auf die filmische Erzählwelt erkenntnisbringend übertragen und Zuschauer leisten diesen Transfer zwischen Fiktion und Realität in der Regel ganz von allein."

Hollywood-Blockbuster mit Kodex von Verhaltensregeln

Das werde auch in vergleichbaren Beispielen ganz deutlich: "Der Film legt zum Beispiel nahe, dass es wichtig ist, einen festen Tagesrhythmus aufrechtzuerhalten, dass man Mahlzeiten zu regelmäßigen Zeiten einnimmt, dass man vielleicht sogar in einem kleinen Gemüsegarten sein Essen selbst anbaut, dass man seinen Haushalt pflegt, ein bisschen Sport macht, und dass man sich auch virtuelle Gemeinschaften sucht, eben durch Film und Fernsehen, die einen am sozialen Leben weiter teilhaben lassen."

Szene mit einer verzweifelten Frau, die von zwei Männern in gelben Schutzanzügen getragen wird
Zum Teil erschreckend realistisch: die deutsch-dänische Fernsehserie "Sløborn"Bild: ZDF und Stefan Erhard

Also ins Kino gehen, um besser vorbereitet zu sein für solche Krisen-Situationen? Für Newiak ist das so abwegig nicht: "Die Menschen genießen Film und Fernsehen vor allem als Unterhaltung. Aber natürlich entnehmen die Zuschauer diesen Serien und Filmen unbewusst auch immer Verhaltensmuster. Man destilliert sich also immer Handlungsfragmente heraus, die man für seinen eigenen Alltag und anspruchsvolle Lebenssituationen nutzen kann."

Im Serien-Zeitalter kann man sich Tipps holen

Buchcover des Bandes "Alles schon mal dagewesen" von Denis Newiak im Schüren Verlag (Schüren)

Insbesondere aus den derzeit so populären Serien könne man viel mitnehmen für den Alltag, davon ist Newiak überzeugt: "Es ist nicht nur ein Phänomen des Hollywood-Kinos. Ich würde behaupten: Fernsehserien haben einen ganz ausschlaggebenden Einfluss darauf, wie sich eine Gesellschaft organisiert, wie Wahrheiten konstruiert werden, wie etwa verschiedene Meinungen und Positionen zu einem Thema wie den Umgang mit Pandemien ausgehandelt werden."

Zum Weiterlesen: Denis Newiak: "Alles schon mal dagewesen - Was wir aus Pandemie-Filmen für die Corona-Krise lernen können", Schüren Verlag 2020, ISBN 9783741001178.