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Was hilft bei einer COVID-19-Infektion?

16. November 2020

Studien, die die Wirkung von Mikronährstoffen auf den Verlauf einer Infektion mit SARS-CoV-2 untersuchen, häufen sich. Vitamin D scheint ein vielversprechender Kandidat, um COVID-19-Verläufe zu mildern. Stimmt das?

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Eine Erdbeere, ein Apfel, ein Maßband und ein Brot mit Frischkäse, Radieschen und Gurke. Ein Kalender mit der Aufschrift: gesünder leben!
Bild: Colourbox/Erwin Wodicka

Streiten lässt sich ja bekanntlich über vieles. Unstrittig ist allerdings, dass eine gute Versorgung mit Mikronährstoffen wie Vitaminen und Mineralien für ein funktionierendes Immunsystem unerlässlich ist.

Grund genug für viele Forschende rund um den Globus, zu untersuchen, ob nicht einzelne Mikronährstoffe - gezielt eingesetzt - den Verlauf einer COVID-19-Infektion mildern und so schwere Folgen oder gar den Tod von Patienten verhindern können.

Vitamin D ist eines der beliebtesten Forschungsobjekte. Einige der publizierten Studien klingen durchaus vielversprechend. Beispielsweise die Arbeit der spanischen Pneumologin Marta Castillo.

"Das ist eine der Studien, die immer wieder herangezogen werden, um die Wirksamkeit von Vitamin D zu beweisen", sagt Martin Smollich, Pharmakologe und Professor am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck.

Smollich forscht selbst zu Mikronährstoffen und Nahrungsergänzungsmitteln. In einer Zeit, in der der Einfluss von Vitaminen und Co. entweder aus ideologischen und wirtschaftlichen Gründen stark überhöht oder abwertend belächelt wird, bemüht sich Smollich um ein differenziertes Bild. 

Auf Basis wissenschaftlicher Evidenz

Das Ergebnis der Studie von Castillo stimmt auf den ersten Blick optimistisch: Von den 50 COVID-19-Patienten, die Vitamin D verabreicht bekamen, landete nur einer auf der Intensivstation. In der Kontrollgruppe, also den Probanden, denen kein Vitamin D verabreicht wurde, wurden hingegen 50 Prozent intensivpflichtig.

"Bei solchen Studien ist es im ersten Schritt wichtig, sich anzuschauen, wie diese beiden Gruppen zusammengesetzt sind", sagt Smollich. Um die Frage nach der Wirksamkeit von Vitamin D tatsächlich beantworten zu können, müssten die Gruppen möglichst identisch zusammengesetzt sein.

Methodisch sauber?

Doch genau hier liegt das Problem. Die Studie listet einige Risikofaktoren auf und gibt Auskunft darüber, wie viele Patienten unter bestimmten Vorerkrankungen leiden - Diabetes Typ 2 zum Beispiel.

"Nur sechs Prozent der Probanden in der Gruppe, die Vitamin D bekommen hat, waren Diabetiker. Aber 19 Prozent der Patienten, denen nur ein Placebo gegeben wurde", sagt Smollich.

Noch gravierender ist der Unterschied beim Bluthochdruck: 57 Prozent der Teilnehmer, die kein Vitamin D verabreicht bekamen, litten unter zu hohem Blutdruck. In der anderen Gruppe wurde nur bei 24 Prozent der Probanden ein zu hoher Blutdruck festgestellt.

"Das heißt, in der Gruppe ohne Vitamin D waren die krankeren Menschen", resümiert der Pharmakologe. Und derart heterogene Gruppen verzerren das Ergebnis.

Infografik SARS-CoV-2 Sterblichkeitsrate nach Vorerkrankung DE

Doch nicht nur das ist bemerkenswert: "Im Fall von COVID-19 wissen wir, dass sowohl Diabetes als auch Bluthochdruck Risikofaktoren sind, die einen schweren Verlauf begünstigen", sagt Smollich. "Kein Wunder also, dass die Patienten in der Gruppe ohne Vitamin D häufiger auf der Intensivstation landeten." 

Ob die Probanden der Kontrollgruppe also häufiger intensivmedizinisch betreut werden mussten, weil ihnen Vitamin D gefehlt hat oder weil sie gravierendere Vorerkrankungen hatten, beantwortet eine methodisch derart unsauber durchgeführte Studie nicht. 

Beziehung zwischen ernährungsbedingten Krankheiten und COVID-19

Zahlreiche andere Studien und Reviews kommen indes bisher zu dem Schluss, dass die Gabe von Vitamin D keinen signifikanten Einfluss auf den Verlauf einer COVID-19-Infektion hat. 

Diabetes Typ 2, Adipositas oder Bluthochdruck haben mehrere Dinge gemeinsam: Sie sind nicht nur Risikofaktoren für schwere COVID-19-Infektionen. Es sind auch allesamt ernährungsbedingte Krankheiten.

Wer also geglaubt hat, Ernährung und Nährstoffstatus spielten für den Umgang mit der Corona-Pandemie keine Rolle, irrt sich. Das Gegenteil ist der Fall.

"Nährstoffe sind für die verschiedensten Ebenen des Immunsystems wichtig", sagt Anika Wagner, Professorin für Ernährung und Immunsystem an der Universität Gießen. Ein Nährstoffmangel schwächt die verschiedenen Verteidigungsmechanismen des Immunsystems und macht es Pathogenen viel leichter, Schaden anzurichten.

Müssen Nahrungsergänzungsmittel sein?

Neben der Frage, wie wichtig Mikronährstoffe zur Vermeidung von Krankheiten sind, wird auch immer wieder darüber debattiert, ob sich unser Immunsystem mit gesunder Nahrung allein zufriedengibt oder ob das Abwehrsystem Nahrungsergänzungsmittel braucht, um zur Höchstform aufzulaufen.

Die Antwort ist: Es kommt drauf an. "Prinzipiell empfehle ich, den Bedarf an Nährstoffen durch die tägliche Nahrung zu decken", sagt Wagner. Möglich sei das durchaus.

Die steigende Rate übergewichtiger Menschen lässt allerdings vermuten, dass es an der praktischen Umsetzung einer gesunden Ernährung viel zu oft mangelt. Und damit auch an einer adäquaten Nährstoffversorgung.

"Häufig nehmen adipöse Menschen vermehrt Lebensmittel mit hoher Energiedichte zu sich, die aber nur wenige Mikronährstoffe enthalten", sagt Wagner. Gezuckerte Getränke, Fertiggerichte und Süßigkeiten.

"Irgendwann entwickelt die adipöse Person möglicherweise noch Diabetes und Bluthochdruck." Der Nährstoffmangel schwächt das Immunsystem, während Übergewicht, Diabetes und Bluthochdruck einem schweren COVID-Verlauf den Weg ebnen.

Hier kommt wieder das Vitamin D ins Spiel: Ein Vitamin-D-Mangel tritt "überdurchschnittlich häufig bei Erkrankungen und Lebensumständen auf, die ihrerseits das COVID-19-Risiko erhöhen, also in hohem Lebensalter, bei Adipositas oder bei Diabetes Typ 2", schreibt Martin Smollich in seinem Fachblog "Ernährungsmedizin".

Ein Teufelskreis, der zwar weder neu noch unbekannt ist. "Viele Corona-relevante Vorerkrankungen hätten durch wirksame Prävention verhindert werden können", sagt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) bereits in einer Pressemitteilung im Mai. 

Und trotzdem: "In Deutschland wird der Zusammenhang zwischen Ernährung und Krankheit häufig komplett ignoriert. Und das finde ich schon sehr dramatisch, weil es etwas ist, was man hätte modifizieren können", sagt Smollich. "Die Corona-Pandemie traf stattdessen auf eine Gesellschaft, in der ernährungsbedingte Krankheiten fast der Normalzustand sind."

Alte und chronisch Kranke brauchen mehr Nährstoffe

Eine weitere Risikogruppe könnte von der Priorisierung von Nährstoffen für die Gesundheit profitieren: die Älteren. "Wir wissen, dass das Immunsystem im Alter nicht mehr so gut funktioniert und dass auch die Möglichkeiten zur Vitamin-D-Synthese abnehmen", sagt Anika Wagner. Hier solle man tatsächlich über eine Supplementierung nachdenken.

Zu dem Schluss kommt auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das älteren und chronisch kranken Menschen eine Vitamin D-Supplementierung empfiehlt - vor allem, wenn diese Personen pflegebedürftig sind.

Wichtiger als die Einnahme einzelner Mikronährstoffe sei der Fokus auf einen grundsätzlich optimierten Nährstoffstatus, um verschiedenen Krankheiten vorbeugen zu können, schreibt der Pharmakologe Smollich in seinem Blog. "Entsprechende ernährungs- und gesundheitspolitische Maßnahmen wären angesichts der Corona-Pandemie dringender denn je."