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Coronavirus: Chinas Umgang mit der Verantwortung

27. März 2020

In der Corona-Krise liefert China dringend benötigte Hilfsmittel nach Europa. Das hilft aber nur kurzfristig. Verantwortungsvoller wäre, endlich den Wildtierhandel zu verbieten, denn sonst droht die nächste Pandemie.

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Smbolfoto Illegaler Gürteltier-Handel in
Der illegale Handel mit Schuppentieren hat wahrscheinlich die Coronavirus-Pandemie ausgelöst Bild: AFP/G. Ginting

In der Not hilft man sich, das gilt als Selbstverständlichkeit. Zu Beginn der Corona-Krise im Januar schickte die Europäische Union innerhalb kürzester Zeit 50 Tonnen Schutzbekleidung und medizinische Ausrüstung in die Provinz Hubei, wo das Virus erstmals auftauchte.

Mittlerweile liegt das Hauptkampfgebiet gegen das Coronavirus - um die Kriegsrhetorik vieler Staatsmänner zu bemühen - in Europa, das keine wirklich überzeugende Figur abgibt. Seit geraumer Zeit schickt China daher dringend benötigtes Material nach Italien, Spanien, Griechenland und in einige andere europäische Länder außerhalb der EU.

Mehr dazu: Coronavirus: Masken aus Peking, Geld aus Brüssel

Diese Hilfe aus China ist sehr willkommen in Zeiten, wo vielerorts die medizinische Versorgung an ihre Belastungsgrenze stößt oder diese bereits überschritten ist. Es sind Zeiten, in denen viele Staaten im nationalen Alleingang Grenzen dicht gemacht haben und die Solidarität auf eine harte Probe gestellt wird. Zeiten, in denen Tausende sterben, Millionen Existenzen zerstört oder bedroht werden. Zeiten, in denen rund um den Globus Millionen Menschen drastische, bis dato unvorstellbare Einschnitte in ihre persönliche Freiheiten erdulden müssen. Und selbst wenn dieses Virus erfolgreich eingedämmt wurde, wird es Jahre dauern, bis sich die Welt von diesem Corona-Schock erholt hat. 

Propagandaschlacht der Supermächte

Angesichts des Gesundheitsnotstands seien "Solidarität und Zusammenarbeit die mächtigste Waffe, die wir haben", sagte Chinas Staatsführer Xi. Hilfe als Waffe. Auch das macht deutlich, wie diese solidarischen Hilfsleistungen in Zeiten von Handelskonflikten und Nationalismus zu einem zentralen Bestand eines Propaganda-Krieges geworden sind.

"Peking inszeniert sich als Retter in der Not. Die Corona-Pandemie verschiebt die Machtbalance: China will die USA als 'Weltkümmerer' ablösen", schreibt etwa das Handelsblatt. 

In der Weltpolitik habe eine neue Ära begonnen, in der ausgerechnet das Land, in dem die Pandemie ihren Ursprung nahm, die globale Führungsrolle beansprucht. "Chinas Hilfsbereitschaft ruft in Europa auch Misstrauen hervor. Seit Jahren versucht Peking, seinen Einfluss auszuweiten, jetzt sieht es seine Chance. Die Hilfslieferungen sollen nicht nur Leben retten, sondern auch Partnerschaften begründen – und die Geschichte der Pandemie umschreiben", so das Handelsblatt.

Polemik statt gemeinsames Krisenmanagement

In der Tat reagierte China sehr gereizt auf die polemischen Äußerungen von US-Präsident Trump, der immer wieder von chinesischen Versäumnissen und von dem "chinesischen Virus" sprach.

Ein Fotograf hielt sogar fest, dass Trump in einem Redemanuskript handschriftlich den Begriff "Coronavirus" in "Chinese Virus" abänderte. Erst als dies vermehrt zu Übergriffen auf asiatisch-stämmige US-Bürger führte, stoppte Trump seine rassistische Polemik. 

Peking wiederum reagierte scharf auf die Kritik. Wer China beschuldige, könne ja in der Corona-Krise auf Schutz-Equipment aus China verzichten, so Außenamtssprecher Geng. Schmerzlich wird den USA und den Europäern vor Augen geführt, wie abhängig sie inzwischen nicht nur wirtschaftlich von der aufstrebenden Supermacht China sind. Zhao Lijian, der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, ging noch einen Schritt weiter und unterstellte den USA sogar in mehreren Tweets, dass das US-Militär das neuartige Virus nach Wuhan gebracht habe.

Immer wieder sorgen Zoonosen für Infektionskrankheiten

Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer, das zeigt diese Propagandaschlacht einmal mehr.

Spätestens die schon jetzt rund 143.000 Infizierten und 2500 Toten in den USA belegen, dass dieses SARS-CoV-2 Virus selbstverständlich nicht in irgendeinem US-Labor entstanden ist, sondern durch eine Zoonose. 

Das sind Tierkrankheiten, die von tierischen Wirten auf Menschen übertragen werden. Meistens werden sie von Säugetieren übertragen, unseren nächsten Verwandten im Tierreich. Das war bei AIDS so, bei Ebola, bei SARS und jetzt eben auch bei COVID-19. 

Wie der Evolutionsbiologe Jared Diamond und der Virologe Nathan Wolfe gerade noch einmal anschaulich in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung  erläutert haben, lief die Übertragung bei SARS und sehr wahrscheinlich auch bei dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 über die Wildtiermärkte in China, wo eben solche Wildtiere für den Verzehr oder für die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) verkauft werden. 

Nachvollziehbare Übertragungswege

Bei SARS war ein Larvenroller, eine fleischfressende Schleichkatze, das Wirtstier, das sich zuvor bei Fledermäusen mit SARS infiziert hatte. Bei COVID-19 sollen Schuppentiere der Wirt gewesen sein, berichtet jetzt die Fachzeitschrift Nature.  

Die Schuppen der Säugetiere gelten in der TCM quasi als Wundermittel. In den dichtbesiedelten Städten einer globalisierten Welt dauert es nicht lange, bis sich eine solche lokale Zoonose zur weltweiten Pandemie entwickelt. 

Zwar wurde der Wildtiermarkt in Wuhan nach Auftreten des neuen Coronavirus umgehend geschlossen, an den Wildtierhandel selbst aber traut sich auch die übermächtig erscheinende Kommunistische Partei Chinas nicht heran. Zu wichtig sind die tierischen Bestandteile und Pulver für die TCM.

China Wuhan City mit Marktplatz
Auf dem Lebensmittelmarkt in Wuhan sind Mensch und Tier sich sehr nahe gekommen Bild: Getty Images/China Photos

Fester Glaube an die Traditionelle Chinesische Medizin

Gerade erst hat die Nationale Gesundheitskommission Chinas empfohlen, Tan Re Qing, eine Injektion mit Bärengalle zur Behandlung schwerer und kritischer COVID-19-Fälle einzusetzen. 

Bereits seit dem achten Jahrhundert werde die aus der Galle gewonnene Ursodeoxycholsäure zur Behandlung von Gallensteinen und Lebererkrankungen verwendet.

Und letzte Woche titelte die staatliche Medienagentur Xinhua: "Traditionelle chinesische Medizin bietet orientalische Weisheit im Kampf gegen das neuartige Coronavirus". Weiter heißt es dort: "Die TCM hat in der gesamten chinesischen Geschichte keinen einzigen Kampf gegen Epidemien versäumt. Die TCM-Klassiker haben genügend Beweise dafür geliefert, wie die TCM in den letzten tausend Jahren epidemische Krankheiten wie die Pocken geheilt hat. Der Kampf gegen SARS im Jahr 2003 war ein aktuelles Beispiel. Die TCM bot rechtzeitige und wirksame Lösungen für die Behandlung und Genesung von SARS-Patienten."

Idealerweise sollten bei einer solch gefährlichen Infektion beide medizinischen Denkschulen zusammenwirken, sagen chinesische Akademiker: "Die westliche Medizin bietet wichtige lebenserhaltende Maßnahmen wie Unterstützung der Atmung und des Kreislaufs, während die TCM sich auf die Verbesserung der körperlichen Bedingungen und der Immunfunktion der Patienten konzentriert. Sie ergänzen sich gegenseitig", so Zhang Boli von der Chinesischen Akademie der Ingenieurwissenschaften. 

Wildtierhandel - Was tun gegen das kriminelle Geschäft?

Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Verantwortung

Die traditionelle Chinesische Medizin und der Wildtierhandel als ihr Rohstofflieferant werden wahrscheinlich auch die jüngste Corona-Krise überdauern, so wie sie damals schon die SARS-Epidemie überdauert haben.

Traditionelle Medizin spielt in China und in vielen anderen Teilen der Welt eine zentrale Rolle. Ihre Verfechter können auch durchaus auf Behandlungserfolge im Vergleich zur klassischen westlichen Schulmedizin verweisen. Diese ignoriere weitgehend den ganzheitlichen Aspekt und kuriere eher Symptome als Ursachen, sagen sie.

Entsprechend sollten wir uns mitten in der derzeitigen Krise bereits auf die nächste Pandemie vorbereiten, sagen der Evolutionsbiologe Jared Diamond und der Virologe Nathan Wolfe. Unwissenheit oder Ignoranz werden auch in Zukunft dazu führen, dass Tierkrankheiten auf den Menschen überspringen. Es gehe dabei nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Verantwortung. Auch wenn es kaum durchzusetzen ist, könnte ein weltweites Verbot des Wildtierhandels aber das Risiko einer tödlichen Zoonose zumindest reduzieren. 

Mehr dazu: Das oft zwielichtige Geschäft mit wilden Tieren und Pflanzen - 6 wissenswerte Dinge

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund