Der Tod im Pelzmantel
21. Dezember 2020Die Bilder aus Dänemark sind nur schwer erträglich. Sie zeigen, wie Nerze vergast und Millionen Tiere mit Baggern in Massengräbern verscharrt werden.
Dabei ist die massenhafte Tötung von Tieren weder einmalig noch ist sie neu. Ob Vogelgrippe, Schweinepest, BSE oder Maul- und Klauenseuche - um eine Seuche einzudämmen werden immer wieder Millionen Hühner, Rinder und Schweine getötet.
Nun also die Nerze.
Der Grund waren einige mit einer mutierten Version von SARS-CoV-2 infizierten Tiere. Die Angst war groß, die Virus-Mutante könne auf den Menschen zurückspringen und die Pandemie zusätzlich befeuern, womöglich ohne dass ein Impfstoff etwas ausrichten könnte.
Ist angesichts der Bedrohungslage nicht ein radikaler Schritt angemessen? Dies scheint eine kollektive Übereinkunft zu sein, immer dann, wenn Tiere von einer Seuche befallen werden, die dem Menschen gefährlich werden könnte.
Eine Übereinkunft, die auch in der Berichterstattung über die infizierten und infektiösen Nerze deutlich wird: Es geht dort um die Gefahr des mutierten Virus für den Menschen, um Nerzfarmer, die nun vor dem Ruin stehen; um Nerze, die zombiegleich aus ihren zugeschütteten Massengräbern wieder an die Oberfläche dringen; um die Frage nach einer möglichen Verseuchung des Grundwassers.
Von Gewissensbissen den erst gequälten und dann getöteten Tieren gegenüber ist wenig zu spüren.
Mette Frederiksen weint. Die dänische Regierungschefin ringt vor laufenden Kameras mit den Tränen, als sie über die Tragödie mit den Nerzen spricht. Allerdings nicht, weil sie das Schicksal der Tiere so rührt, sondern das der Nerzfarmer, deren "Lebenswerk zerstört wurde".
Dänemark war lange einer der größten globalen Exporteure von Nerzpelzen. Das war einmal. Die Regierung ordnete die sogenannte Keulung aller Nerze im Land an. Kopenhagen Fur, das größte dänische Auktionshaus für Pelze, musste dichtmachen.
Nicht nur Mette Frederiksen ist erschüttert, auch Edmund Haferbeck zeigt sich fassungslos. Die Gründe könnten allerdings verschiedener nicht sein. Haferbeck ist Leiter der Wissenschafts- und Rechtsabteilung der Tierrechtsorganisation PETA. Sein Mitgefühl gilt den Tieren.
Haferbeck ist Agrarwissenschaftler und hat zur Nerzzucht promoviert, er komme "von der Gegenseite", sagt Haferbeck. Im Zuge seiner Doktorarbeit habe er die Pelztierfarmen Deutschlands besucht. "Damals, zwischen 1983 und 1989 gab es noch etwa 150 bis 200 Betriebe", sagt Haferbeck.
"Wenn Sie so einen Stall mit tausenden Tieren betreten, trifft Sie erstmal der Schlag, weil es so fürchterlich stinkt", berichtet Haferbeck von seinen Erfahrungen. Wie bei jeder Massentierhaltung gehen auch mit der Pelztierzucht enorme Umweltprobleme einher.
Die Tiere verbringen ihr Leben einzeln in kleinen Drahtkäfigen. Während die Exkremente durch den Gitterboden fallen, wird das Futter, ein Fleischbrei, auf den oberen Teil des Gitters gelegt, von wo aus die Tiere es sich stückchenweise durch die Maschen ins Innere ziehen.
"Die Tiere haben fast alle Verhaltensauffälligkeiten gezeigt, das sogenannte Hospitalisieren, und sich permanent im Kreis gedreht", sagt Haferbeck.
Diesen Eindruck bestätigt Jana Zschille, Biologin und Forstzoologin an der TU Dresden, die ebenfalls Nerzfarmen besucht hat. Auch sie hat die Nerze zum Thema ihrer Doktorarbeit gemacht, allerdings die Tiere, die in Mecklenburg-Vorpommern in Freiheit leben.
Die Biologin weiß deshalb, was Nerze zum Leben brauchen. Ein kleiner Drahtkäfig ist es definitiv nicht. "Die Tiere sind sogenannte Semiaquaten, die ähnlich wie der Fischotter, an Gewässer gebunden sind. Sie jagen am Wasser und sie schwimmen", weiß Zschille.
Nerze klettern gut, schlafen in Erd- und Baumhöhlen und durchstreifen ihr Territorium am liebsten in der Dämmerung und nachts. Zschilles Schilderungen machen eines klar: Das Leben auf einer Pelzfarm ist eine absolute Quälerei.
Obwohl die Produktion von Nerzpelzen, laut Kopenhagen Fur, seit einiger Zeit einbricht, ist der globale Pelz-Hunger gestiegen. UN-Daten zufolge ist China der mit Abstand größte Exporteur von Pelzen. Die chinesische Sonderverwaltungszone Hongkong und Russland zählen zu den dankbarsten Abnehmern.
Die Gründe, weshalb die Pelzzucht trotz der Qual für die Tiere weiter betrieben wird, sind wirtschaftlicher Art. Die Massentötung der flinken Tiere wird deshalb auch in erster Linie als wirtschaftliche Massenkarambolage betrachtet.
Rührt uns das Schicksal der Lebewesen, die für ein reines Luxusgut wie den Pelz leben und sterben so wenig? Oder gar nicht?
Was ist eigentlich los mit uns?
Tiere zu töten, egal ob zu Nahrungs- oder Kleidungszwecken, macht nur den wenigsten Menschen Freude. Die meisten möchten kein Tierleid verursachen, sagen Psychologen. Fleisch essen wollen sie trotzdem. Und manch einer möchte eben auch einen Pelz tragen.
Diese widersprüchlichen Empfindungen und das daraus resultierende moralische Dilemma, in das Fleischesser deshalb geraten, bezeichnen Wissenschaftler als "Fleisch-Paradox". Ähnlich verhält es sich auch mit den Pelzen.
Der Sozialpsychologe Benjamin Buttlar von der Universität Trier forscht unter anderem zum Fleisch-Paradox. Um den Widerspruch, Tiere zwar eigentlich nicht töten zu wollen, es aber doch aus unterschiedlichen Gründen zu tun, erträglicher zu machen, wenden Menschen verschiedene Strategien an.
Unerträgliches erträglich machen
"Zunächst unterscheiden wir Tiere in verschiedene Gruppen, also Nutz- und Haustiere", sagt Buttlar. Die Nutztiere würden abgewertet und als weniger empfindsam wahrgenommen. So kann das Steak genossen werden, während der Hund im Bett schlafen darf.
Die Zucht von Pelztieren lässt sich beispielsweise mit Nachhaltigkeit rechtfertigen. In einer Stellungnahme des Deutschen Pelzverbandes gegenüber der DW heißt es, die "gehaltenen Tiere liefern ein nachhaltiges Naturmaterial, das deutliche Vorteile gegenüber den auf Erdöl basierten Plastikteilen aufweist, die heute getragen und schon morgen wieder weggeworfen werden und unsere Umwelt schwer belasten."
Die Fragen nach dem Ressourcenverbrauch für das Futter der fleischfressenden Pelzer, der Belastung durch die Exkremente und durch die zur Behandlung der Felle nötigen Chemikalien wird übrigens nicht beantwortet.
Eine weitere "Rationalisierungsstrategie", wie Buttlar es ausdrückt, ist die Norm die eine Gesellschaft entwirft und die das eine Handeln verurteilt, während sie das andere als normal anerkennt.
Weil Pelzträger eher selten anzutreffen sind, die meisten Menschen aber Fleisch essen, ist der Nerz insofern dem Rind oder Schwein gegenüber im Vorteil.
Auch wenn die Tiere in beiden Fällen nur existieren, um zu sterben, ist die Tatsache "dass es im Fall der Nerze einen größeren moralischen Aufschrei gibt, wahrscheinlich auch dadurch bedingt, dass es heutzutage nicht mehr unbedingt als normal gilt, Pelze zu tragen."
Diese Strategien, zu denen auch die Abwertung von Vegetariern, Veganern und Tierrechtlern zählt, dienen laut Buttlar dem Zweck, die kognitive Dissonanz ausgleichen, also den Widerspruch zwischen Wissen, Denken und Handeln aufzulösen. Denn dieser innere Konflikt wird als unangenehm empfunden.
Ein Tierschutzgesetz ohne Tierschutz
In Paragraph 1 des Deutschen Tierschutzgesetzes heißt es schließlich: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen."
Ein Blick in die Welt reicht aus, um zu bemerken, dass es an vermeintlichen vernünftigen Gründen nicht zu mangeln scheint.
Für den Tierethiker Johann Ach, Geschäftsführer und Leiter des Centrums für Bioethik an der Universität Münster, drückt sich das Dilemma für die Tiere schon mit der bloßen Existenz dieses Satzes im Tierschutzparagraphen aus.
"Viele Tierethiker vertreten die Position, dass ein vernünftiger Grund ein Tier zu töten nur dann besteht, wenn der Tod dem Tier selbst dient", sagt Ach. So wie wir etwa unser Haustier einschläfern lassen, wenn es große Schmerzen erleidet und ein Ende dieses Leides nicht in Sicht scheint.
Einen vernünftigen Grund gäbe es dieser tierethischen Auslegung nach nie, "wenn man Tiere zugunsten menschlicher Interessen quält und tötet", sagt Ach. In der Formulierung des Tierschutzgesetzes drücke sich die Hierarchie aus, die zwischen Mensch und Tier herrscht. Mensch oben, Tier unten.
Mit dieser Haltung erklärt sich nicht nur die Massentierhaltung für die Fleischproduktion, sondern auch die Pelztierzucht sowie das massenhaften Schlachten zur Eindämmung einer Seuche.
Würden wir die Frage, ob die Nutzung eines Tieres ein legitimes Interesse des Menschen darstellt, mit ja beantworten, dann wäre die Verteufelung der Pelzzucht einerseits und das als notwendig empfundene Quälen und Töten von Tieren zu Nahrungszwecken andererseits, nichts weiter als moralische Willkür.
So wie niemand Pelze tragen muss, müsse auch niemand Tierprodukte essen - argumentieren etwa Veganer und zeigen, dass es tatsächlich funktioniert. Für die Tiere selbst macht es am Ende keinen Unterschied, wofür sie leiden und sterben.