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Coronavirus: Was ist die Zahl R?

Anna Carthaus Aktualisierung durch Fabian Schmidt
5. November 2020

Home Office, Supermarktschlange, Abstandhalten - wann können die Kontaktbeschränkungen im Alltag wieder gelockert werden? Mitentscheidend dafür ist die Reproduktionszahl R. Bitte was?

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Husten Niesen Arm Keime
Bild: Fotolia/Brenda Carson

Immer wieder gibt es Verwirrungen über die Reproduktionszahl R. Zum Beispiel Anfang November 2020. Da stieg die Zahl der registrierten Neuinfektionen in Deutschland immer weiter und erreichte zuletzt rund 20.000 Fälle pro Tag. Dabei schien es paradox, dass im gleichen Zeitraum der 4-Tage-R-Wert von über 1 auf auf nur noch 0,79 sank. Der 7-Tage-R-Wert betrug noch 0,93 (Stand: 05.11.2020). 

Das RKI erklärt solche scheinbaren Zahlenwidersprüchemit der Methode des "Nowcastings". Dabei wird der R-Wert unter Berücksichtigung des Diagnose-, Melde- und Übermittlungsverzugs geschätzt. Es handelt sich also nicht um eine tages- oder stundenaktuelle Berechnung. 

So wird die Reproduktionszahl ermittelt 

Hinter der Reproduktionszahl R versteckt sich das Verbreitungspotenzial eines Virus. Ist die Reproduktionszahl größer als 1, überträgt jeder Infizierte die Erkrankung an mindestens eine weitere Person – das Virus breitet sich aus. Ist die Zahl kleiner als 1, stecken sich immer weniger Menschen an und die Zahl der Infizierten geht zurück. Um die Verbreitung eines Virus einzudämmen, muss seine Reproduktionszahl also kleiner als 1 werden. Mathematisch ausgedrückt: R < 1.

Welche Faktoren hierbei eine Rolle spielen, erklärt der Epidemiologe Adam Kucharski. Er arbeitet an mathematischen Modellen infektiöser Erkrankungen, um deren Verlauf besser zu verstehen. Dieses Verständnis wiederum kann Politikern helfen, Entscheidungen zu treffen, die die Verbreitung eines Virus eindämmen sollen und dabei mündige Bürger mitunter um ihre Freiheitsrechte zittern lassen. 

Mehr dazu: Coronavirus-Zahlenwust: Was bedeuten all die Zahlen?

Infografik Symbole Corona-Infektion - Basisreproduktionsanzahl

Vier Stellschrauben

In der Vergangenheit hat Adam Kucharski bereits zu Krankheiten wie Ebola, SARS und Influenza geforscht, nun an COVID-19. In seinem Buch "The Rules of Contagion: Why Things Spread - and Why They Stop" benennt er vier Parameter, die das Ansteckungspotenzial einer Krankheit beschreiben. Auf Englisch beginnen sie mit den Anfangsbuchstaben D-O-T-S (dots, auf deutsch: Punkte). 

  • Duration (Dauer): Entspricht der Dauer der Infektiosität. Je länger eine Person krank ist, desto länger kann sie auch andere Menschen anstecken. Je früher eine erkrankte Person von anderen isoliert wird, desto weniger Zeit hat sie, das Virus an andere zu übertragen. Problematisch bei SARS-CoV-2: Betroffene scheinen schon zwei bis drei Tage vor Symptombeginn infektiös zu werden. Zeit, in der sie andere Menschen unbemerkt anstecken können.
  • Opportunity (Gelegenheit): Mit wie vielen Menschen hat eine infizierte Person derart Kontakt, dass das Virus von einer Person zur nächsten gelangen kann? Laut Adam Kucharski ist das unter normalen Umständen durchschnittlich etwa fünf Mal pro Tag der Fall. Die Variable bildet quasi unser Sozialverhalten ab. Sie lässt sich reduzieren, wenn wir den sozialen Abstand erhöhen, uns zur Begrüßung beispielsweise lieber zuwinken als zu umarmen.
  • Transmission probability (Übertragungswahrscheinlichkeit): Wie wahrscheinlich ist es, dass das Virus auch tatsächlich von einer Person auf die nächste übertragen wird, wenn zwei Menschen sich treffen? Adam Kucharski und sein Team gehen davon aus, dass dies bei jeder dritten Gelegenheit stattfinden könnte.
  • Susceptibility (Anfälligkeit): Wenn nun Zeit, Gelegenheit und Übertragungswahrscheinlichkeit vorliegen: Wie wahrscheinlich ist es dann, dass eine Person ein Virus empfängt und auch daran erkrankt? Da es bislang keinen Impfstoff gibt und die Durchseuchungsrate (und somit Rate potentiell Immuner) recht gering ist, ist diese Variable annähernd 100%. Mit zunehmender Immunisierung wird sie zwar abnehmen. Entscheidend kann sie aber wahrscheinlich erst durch eine flächendeckende Impfung reduziert werden. 

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Was ist die Reproduktionszahl?

Maßstab für politische Entscheidungen

Der Rest ist Mathematik: Multipliziert ergeben D, O, T und S die Reproduktionszahl. Alle vier Parameter sind Stellschrauben, um die Ausbreitung des Virus zu unterbinden. Normalerweise sind dafür insbesondere Impfungen wirksam. Da diese momentan noch nicht existieren, kann man lediglich an D, O und T arbeiten: Erkrankte isolieren, soziale Kontakte meiden, in die Armbeuge husten, Hände waschen.

Die effektive Reproduktionszahl R ist zu unterscheiden von der Basisreproduktionszahl R0. Während R angibt, wie viele ein Infizierter durchschnittlich ansteckt, nachdem eindämmende Maßnahmen ergriffen wurden oder ein Teil der Bevölkerung immun ist, beschreibt R0, wie viele Menschen ein Infizierter ohne Gegenmaßnahmen ansteckt. R0 geht also davon aus, dass niemand geimpft ist, niemand die Krankheit hatte und dadurch immun ist und es keine Möglichkeit gibt, die Ausbreitung einzudämmen.

Das Robert Koch-Institut, das in Deutschland dafür zuständig ist, Infektionskrankheiten zu überwachen, geht davon aus, dass die Basisreproduktionszahl von SARS-CoV-2 zwischen 2,4 und 3,3 liegt. Ohne Gegenmaßnahmen würde jeder Infizierte also ungefähr zwei bis drei weitere Personen anstecken. Anders ausgedrückt: Um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen (also R < 1), müssen ungefähr zwei Drittel aller Übertragungen verhindert werden.

Die momentan angewendeten Maßnahmen zielen darauf ab, "die Kurve zu verflachen" (englisch: "to flatten the curve"). Die Zahl der erkrankten Fälle soll die Kapazität von Gesundheitssystemen nicht übersteigen. Damit Ärzte nicht vor die Entscheidung gestellt werden, welche Patienten sie behandeln können und welche nicht. 

Mehr dazu: Das Immunsystem im Kampf gegen Corona

Dieser Artikel vom 28. April 2020 wurde zuletzt am 5.11.2020 aktualisiert