Costa Rica: Stichwahl ohne Wettbewerb
4. April 2014Vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Costa Rica im Februar schien der Favorit klar: Es war Johnny Araya, der frühere Bürgermeister der Hauptstadt San José, Kandidat der derzeit regierenden sozialdemokratischen Partei PLN (Partido de Liberación Nacional). Doch dann geriet Araya ins Straucheln.
Und so kommt jetzt wohl alles anders. Schon vor der Stichwahl am Sonntag (06.04.2014) ist absehbar: Nicht Araya, sondern sein Herausforderer Luis Guillermo Solís von der gemäßigten linksliberalen PAC (Partido Acción Ciudadana) wird die Wahl für sich entscheiden. Denn Araya hat angekündigt, bei der zweiten Runde der Wahl nicht mehr anzutreten. "Damit tut er der Demokratie in Costa Rica keinen Gefallen. Arayas Haltung erscheint mir etwas unwürdig", sagt Manuel Alcántara, Politikwissenschaftler von der Universität Salamanca.
Völlig unerwartete Wende
Der Grund für Johnny Arayas Rückzug: Nach dem Ergebnis des ersten Wahlgangs und den Vorhersagen der jüngsten Meinungsumfragen rechnet er sich zu geringe Chancen aus, die Wahl zu gewinnen. Bei der ersten Abstimmung Anfang Februar hatte die gegnerische Partei, die linksliberale PAC, völlig unerwartet 30,6 Prozent der Stimmen erhalten. Arayas Sozialdemokraten kamen auf 29,7 Prozent. Die Linkspartei "Frente Amplio" (FA) ging als drittstärkste Kraft aus dem ersten Wahlgang hervor, wenngleich sie nicht das überragende Ergebnis erzielte, das ihr in Umfragen vorausgesagt worden war.
Weil nach dem ersten Wahlgang keiner der Präsidentschaftskandidaten die Schwelle von 40 Prozent plus einer Stimme erreichte, wurde die nun anstehende Stichwahl nötig. Sofern es nicht noch eine weitere überraschende Wendung gibt, dürfte der verbleibende starke Kandidat Luis Guillermo Solís die Wahl gewinnen - "und das gibt zu denken", wie Beobachter Alcántara betont: "Etwas Ähnliches passierte 2003 in Argentinien, als Kirchner und Menem ums Präsidentenamt konkurrierten. (Damals zog Menem seine Kandidatur in der Stichwahl zurück. Anm. d. Red.) Aber Lateinamerika könnte auf eine Wiederholung dieses Szenarios gut verzichten."
Linksruck in Costa Rica?
Ein Sieg der linksliberalen PAC am 6. April würde zwei aufeinanderfolgende Legislaturperioden der sozialdemokratischen PLN beenden; jene von Präsident Oscar Arias (2006 bis 2010) und die von Laura Chinchilla - der derzeitigen Amtsinhaberin und ersten Frau, die in Costa Rica ins Präsidentenamt gelangte. Nach der costaricanischen Verfassung darf ein amtierender Präsident nicht unmittelbar wiedergewählt werden. Daher kann Laura Chinchilla diesmal nicht antreten. "In der Wählerschaft herrscht eine gewisse Verdrossenheit gegenüber der Regierungspartei - das zeigt sich nun im Aufkommen eines starken linken Gegenkandidaten mit dem besten Wahlergebnis in der Geschichte der Linken in Costa Rica", meint der Politikwissenschaftler Manuel Alcántara. Das gute Abschneiden des linken Spektrums sieht er aber nicht als Zeichen für einen Linksruck des Landes.
Ähnlicher Ansicht ist Manuel Rojas Bolaños vom Think Tank FLACSO in Costa Rica. "Die Mehrheit der Wähler hat ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation ausgedrückt. Der Kandidat hat ein gewisses Charisma, das vor allem auf die jüngeren Wähler gewirkt hat. Aber man kann nicht von einem Linksruck in dem Sinne sprechen, wie er mit Blick auf Lateinamerika generell verstanden wird", so Rojas Bolaños im DW-Interview. Verhältnisse wie in Venezuela stehen also wohl nicht bevor.
Gewichtsverschiebung zwischen den Parteien
"Die PLN kommt aus der Tradition der lateinamerikanischen Sozialdemokraten. Doch schon Ende der 1980er Jahre, mit der ersten Präsidentschaft von Oscar Arias, bewegte sie sich immer mehr ins Mitte-Rechts-Spektrum", erklärt Rojas Bolaño, der zahlreiche Studien über die politischen Systeme Lateinamerikas verfasst hat. Vor den Wahlen 2006 wechselten einige Mitglieder der PLN zur PAC - "und dort verfolgten sie vor allem Ziele, für die vormals die PLN stand: zum Beispiel eine starke Rolle des Staates", sagt Rojas Bolaño. Die PLN habe sich immer mehr von sozialdemokratischen Positionen wegbewegt. Ein Kurs, der sich nach den Wahlen 2006 etwa darin gezeigt habe, dass die Regierung zu einem Referendum über ein Freihandelsabkommen mit den USA aufrief; es wurde mit knapper Mehrheit angenommen.
Protestwahl gegen Arayas Rückzug?
"Es herrscht viel angestauter Unmut über die Ineffizienz der staatlichen Behörden, über einen Regierungsstil von oben herab, und Frust über die Korruption im Land", so beschreibt Beobachter Rojas Bolaños die derzeitige Stimmung in Costa Rica, die sich am Sonntag an den Wahlurnen entladen wird. Experten rechnen damit, dass die Zahl an Nichtwählern - im Vergleich zum ersten Wahlgang - zunimmt, jedoch nicht in einem Ausmaß, das die demokratische Legitimität der Wahl gefährden würde.
Der Politologe Rojas Bolaños sieht einen anderen Trend: "Viele werden schon allein deshalb zur Wahl gehen, weil sie sehr verärgert sind, dass Araya seine Kandidatur zurückgezogen hat. Vor allem die Leute, die ihm im ersten Wahlgang ihre Stimme gegeben haben, obwohl sie eigentlich gar nicht für seine Partei sind - sondern eher seinem Appell gefolgt waren, man müsse ein Erstarken der Linkspartei FA verhindern." Das könne Luis Guillermo Solís von der linksliberalen PAC, dem verbleibenden starken Präsidentschaftskandidaten, letzlich noch mehr Zustimmung verschaffen, als ihm ohnehin schon gewiss sei.