Couchsurfing im Iran
11. Juni 2019Hossein tut so, als müsse er sich übergeben, dann lacht er laut. Der Teheraner Taxifahrer zeigt auf ein übergroßes Schwarz-Weiß-Plakat, von dem Irans oberster Führer Ali Chamenei bedrohlich auf uns herunterschaut. Wenige Meter dahinter ruht dessen Vorgänger in einem gigantischen Mausoleum mit goldenen Kuppeln und Türmen. "Keine Casinos, keine Disko, kein Alkohol - nicht gut", sagt Hossein in gebrochenem Englisch. Die Schuld dafür gibt er dem Toten unter den goldenen Kuppeln, Ruhollah Khomeini, jenem Geistlichen, der vor 40 Jahren die Islamische Revolution im Iran anführte und das Land anschließend in einen Gottesstaat verwandelte.
Seitdem hat das Land vor allem im Westen einen schlechten Ruf. Das merkt man nicht nur in der medialen Berichterstattung, sondern auch an den Reaktionen von Familie, Freunden und Bekannten, wenn man erzählt, dass man in den Iran reist. Ein ungläubiges "Was willst du denn da?" oder ein vorwurfsvolles "Bist du verrückt? Das ist doch gefährlich!" bleibt auch uns nicht erspart. Meine Freundin Anna und ich wollen es genau wissen, wollen hinter die Fassaden des einstigen Persiens blicken. Schon vor Reiseantritt nehmen wir deshalb über die Plattform "Couchsurfing" Kontakt zu zahlreichen Iranern auf, die uns anbieten, ein paar Nächte bei ihnen zu wohnen - obwohl "Couchsurfing" im Iran verboten ist.
Bloß raus aus Teheran
Irans Hauptstadt Teheran ist vor allem eins: anstrengend. Die malerisch am Fuß des Alborz-Gebirges liegende Metropole mit ihren knapp neun Millionen Einwohnern platzt aus allen Nähten; die Straßen sind verstopft, die Luft schmutzig, die Wege weit.
Nach zwei Tagen haben wir genug und fahren Richtung Süden. Rund 200 Kilometer südlich von Teheran liegt Kashan, eine wunderschöne alte Stadt am Rand der zentraliranischen Wüste. Im Gegensatz zur Hauptstadt tragen hier fast alle Frauen den langen schwarzen Tschador, einen Umhang, der nur das Gesicht frei lässt. Auch unsere Gastgeberin Bita trägt ihn, als sie uns die Tür öffnet, legt ihn aber sofort wieder ab, sobald wir im Haus sind.
"Die kleineren Städte im Iran sind immer noch sehr konservativ und religiös", erklärt sie. "Hier ist es eigentlich unmöglich, nur mit Kopftuch auf die Straße zu gehen." Zum ersten Mal wird uns klar, wie zerrissen dieses Land ist. Im Iran lägen Welten zwischen Alten und Jungen, Konservativen und Liberalen, sagt Bita - und hat wenig Hoffnung für die Zukunft: "Selbst wenn das Regime irgendwann fällt, weiß ich nicht, wie dieses Land zusammengehalten werden könnte." Wie so viele Iraner denkt sie daran, das Land zu verlassen.
"Welcome to Iran"
Obwohl uns Bita rundum bemuttert - sie ist nur ein paar Jahre älter als wir - und wir uns pudelwohl bei ihr fühlen, müssen wir weiter nach Isfahan. Zu Recht nennt man die alte Handelsstadt auch "die halbe Welt". Hier gibt es alles, wovon man zu träumen wagt. Rund um den gigantischen Imam-Platz, immerhin einer der größten Plätze der Welt, erstreckt sich ein schier unendliches Netz an Basaren, auf denen man so ziemlich alles bekommt. Wie überall im Iran werden wir wie Könige hofiert. Immer wieder grüßen uns die Menschen auf der Straße, als wären wir die ersten Touristen, die sie je gesehen haben. "Welcome to Iran" klingt es uns unzählige Male entgegen. Wir kriegen uns vor Euphorie kaum ein.
In einem Museum spricht uns Ali an. Der junge Mann, Anfang dreißig, kommt aus Shiraz, die Stadt ist nicht weit von Isfahan entfernt. Dort verabreden wir uns mit ihm am nächsten Tag. Voller Stolz zeigt er uns seine Heimatstadt und fährt uns zu den eindrucksvollen historischen Stätten des antiken Persiens, Persepolis und Nekropolis. Stundenlang stellen wir uns gegenseitig Fragen, reden über Deutschland und den Iran.
Irans obersten Führer Chamenei nennt Ali nicht beim Namen, sondern spricht vom "crazy Ayatollah". "Jeden Tag predigen er und seine Anhänger, wie böse der Westen ist. Aber ihre Kinder schicken sie auf westliche Universitäten und wenn sie krank sind, lassen sie sich im Westen behandeln, nicht hier." Vor allem verachtet Ali die Revolutionsgarden, die die Iraner "Sepah" nennen. "Die sind wie die Mafia in Italien", sagt er. "Die beherrschen alles: Öl, Baugewerbe, Banken, einfach alles. Sie werden immer reicher, während Millionen von Iranern in Armut verfallen", klagt er. Ob er schon einmal ans Auswandern gedacht hat, fragen wir. "Na klar, wenn meine Familie nicht wäre, wäre ich schon längst weg", sagt Ali. "Aber ich kann und will sie hier nicht zurücklassen."
Wir halten am Maharloo See, einem pinken Salzsee nahe Shiraz. Ali dreht die Musik in seinem alten Peugeot auf und wir versuchen uns an traditionellem südiranischem Tanz. Dann fahren wir stundenlang durch die wunderschönen karg-schroffen Wüstenlandschaften in Richtung Osten, bis wir schließlich Kerman erreichen. Kurz darauf heißt es: Abschied nehmen. Wir sind den Tränen nah. Doch unsere nächsten Gastgeber stehen bereits in der offenen Tür und warten mit dem Abendessen auf uns.
Ausflug in die heißeste Wüste der Welt
Fatemeh und Mohammad sind ein ungleiches Paar. Er ist zurückhaltend, fast schüchtern, sie extrovertiert. Fatemeh nimmt uns mit in die Umgebung ihrer Heimatstadt, in die kleine Stadt Mahan. Hier liegt der wohl schönste Garten im gesamten Iran, der Prinzengarten. Von dem historischen Haus, in dem im 19. Jahrhundert ein Kadscharenprinz residierte, fließt das Schmelzwasser der nahegelegenen Berge in prachtvoll angelegten Stufen bis zum Eingangstor hinunter - eine Oase mitten in der Wüste. Trotz der erfrischenden Umgebung ächzen wir unter der Hitze. Vor allem Anna leidet unter dem Kopftuch und der langen Kleidung.
Noch heißer wird es zwei Autostunden von Kerman entfernt in der Dasht-e Lut, der heißesten Wüste der Welt. 2005 wurden hier unglaubliche 70,7 °C Bodentemperatur gemessen! Hat man die vorgelagerte Bergkette überquert, wird es auf einen Schlag unfassbar heiß. Trockenheit soweit das Auge reicht. Wie aus dem Nichts ragen riesige Sandstein-Gebilde aus dem leblosen Boden. Wir fühlen uns wie auf einem anderen Planeten. Leider können wir dieses einzigartige Naturwunder nicht allzu lange bestaunen - die Hitze wird mit jeder Minute unerträglicher.
Auch der Iran verändert sich
Nach einem Zwischenstopp in der alten Wüstenstadt Yazd geht es mit dem Nachtzug weiter nach Mashhad, die heiligste Stadt Irans und Geburtsort des amtierenden Revolutionsführers Ali Chamenei. Über 20 Millionen Menschen pilgern jedes Jahr hierher. Sie beten am Schrein von Imam Ali Reza, einem Nachfahren Mohammeds, der den Schiiten besonders heilig ist. Wir fühlen uns fremd. Zum ersten Mal begegnen wir den berüchtigten Sittenwächterinnen, die Anna freundlich, aber bestimmt auffordern, ihr Kopftuch bis zum Haaransatz vorzuziehen.
Nach dem Besuch des tatsächlich sehr beeindruckenden Schreins wollen wir weiterziehen. Doch unsere Gastgeber Fatemeh und Meysam überreden uns zu bleiben. Wir besichtigen das 3000 Jahre alte Bergdorf Kang und gehen abends aus - ohne Alkohol versteht sich (auch wenn viele Iraner trotzdem regelmäßig trinken und uns mehrfach Wein angeboten wird).
Wie es ist, in einer solch religiösen und konservativen Stadt aufzuwachsen, wollen wir von Fatemeh wissen. "Ärgerlich ist, dass hier Konzerte verboten sind", erzählt sie. "Ich muss immer stundenlang in die nächste Stadt fahren, wenn ich meine Lieblingssänger sehen möchte". Doch verändere sich viel, wie überall im Land, sagt die junge Frau: "Heute haben wir Internet, chatten auf sozialen Medien. Und selbst wenn die Regierung gewisse Seiten blockiert, kommen wir über Umwege trotzdem dran."
Zwischen Bergen und Flugzeugträgern
Die letzten Tage unserer Reise wollen wir, nach soviel Stadt und Wüste, im Grünen verbringen. Nur wenige Touristen verirren sich in Irans nordöstliche Provinz Golestan. Dabei liegt sie nur rund acht Autostunden von Teheran entfernt - für iranische Verhältnisse fast um die Ecke. Wir kommen bei Hossein und Fereshteh unter. Wieder fühlen wir uns vom ersten Moment an mehr als wohl. Die beiden empfehlen uns, das Grab des Khalid Nabi an der Grenze zu Turkmenistan zu besuchen. Was sich zunächst wie ein trister Friedhofsbesuch anhören mag, ist vielmehr ein Ausblick auf eine unendlich weite Landschaft aus grünen und grauen Hügeln, der einem schlicht die Sprache verschlägt.
Doch der Iran ist ein Land, in dem man eben nicht einfach nur die Natur genießen kann. Die wirtschaftliche Lage der Iraner verschlechtert sich von Tag zu Tag, auch wegen der erneut verhängten Sanktionen der USA. Während wir in Golestans Bergen wandern, verlegt der US-Präsident Flugzeugträger und Bomber in die Region; der Iran seinerseits steigt teilweise aus dem Atomabkommen aus; alles spricht von Kriegsgefahr. Umso schwerer fällt der Abschied von Hossein und Fereshteh.
Als wir wenige Tage später wieder im Flugzeug in Richtung Deutschland sitzen, sind wir dennoch erleichtert. Vor allem Anna, die nach drei Wochen endlich ihr Kopftuch ablegen darf. Doch wir sind sicher: Wir werden wiederkommen. Denn obwohl der Iran auf den ersten Blick so fremd und verschlossen zu sein scheint, ist es wundervolles Reiseland, vor dem man keine Angst haben muss. Vielmehr ist es ein Land, in dem man auch als Reisender echte Freundschaften schließen kann.