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"COVID-19 könnte unser Arbeitsleben dauerhaft verändern"

15. Mai 2020

Twitter will seinen Mitarbeitern erlauben, auch nach Corona im Homeoffice zu arbeiten. Ein Interview mit dem renommierten Arbeitsmarktforscher Hilmar Schneider über die Arbeitswelt der nahen Zukunft.

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Heue hat Papa Homeoffice....
Bild: imago Images/Westend61

Der Kurznachrichtendienst Twitter wird seinen Mitarbeitern erlauben, auch nach dem Ende der Corona-Krise uneingeschränkt im Homeoffice zu arbeiten. "Wenn unsere Beschäftigten in einer Rolle und Lage sind, die es ihnen erlauben, von Zuhause aus zu arbeiten, und sie für immer damit weitermachen wollen, werden wir das möglich machen", erklärte das Unternehmen. Die vergangenen Wochen hätten gezeigt, dass es funktioniert, wenn Menschen an verschiedenen Orten zusammenarbeiteten.

Twitter hatte nach jüngsten Angaben zum Ende vergangenen Jahres 4.900 Beschäftigte. Twitter gehörte zu den ersten Unternehmen, die nach Ausbruch der Corona-Krise die Mitarbeiter zum Arbeiten ins Homeoffice schickten. Die Büros sollen nun mindestens bis September geschlossen bleiben. "Es wird unsere Entscheidung sein, die Büros zu öffnen - und die Mitarbeiter entscheiden, wann und ob sie zurückkehren", betonte Twitter-Personalchefin Jennifer Christie in einem Blogeintrag am Dienstag. (dpa)

Deutsche Welle: In der Corona-Krise haben sich viele Jobs ins Homeoffice verlagert. Das ist ja etwas, wogegen sich Arbeitgeber lange gewehrt haben und was sich Arbeitnehmer häufig gewünscht haben. Wie zufrieden sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit der Situation?

Hilmar Schneider: Viele Arbeitnehmer sind jetzt eher unfreiwillig im Homeoffice gelandet, weil in der Not gar keine andere Möglichkeit bestand. Die Erfahrungen der Arbeitnehmer sind daher nicht unbedingt positiv, vor allem wenn Eltern und Kinder gleichzeitig im Homeoffice sind.

Allein die IT-Ausstattung vieler Familien ist gar nicht darauf ausgelegt, dass man zu Hause produktiv arbeiten kann. Wenn Kinder ihre Hausaufgaben oder ihre Arbeitsblätter an dem einzigen PC machen müssen, der im Haushalt zur Verfügung steht und die Eltern gleichzeitig ihre Arbeit damit erledigen müssen, dann ist klar, dass es zu Konflikten und Stress führt. Und meistens ist auch der PC nicht an einem Ort, wo man ungestört arbeiten kann.

Hilmar Schneider, Chef des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn
Hilmar Schneider, Chef des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in BonnBild: picture-alliance/dpa

Wenn die Pandemie eines Tages wieder vorbei ist, kann es sein, dass es jetzt trotz allem einen Durchbruch gab, dass Arbeitgeber sich nicht mehr so sehr wehren dagegen, dass Arbeitnehmer Homeoffice machen? Können Sie sich vorstellen, dass nach der Pandemie Homeoffice etwas sein wird, was man öfter findet in der Arbeitswelt?

Das wird sicher so sein, denn jetzt sind viele Unternehmen gezwungen worden, sich kurzfristig mit der entsprechenden IT-Technologie auszustatten, die sie vielleicht vorher gar nicht hatten. Mittlerweile sind wir mit Videokonferenzen recht vertraut. Und das ist etwas, was vor der Corona-Krise in vielen Unternehmen eher noch ein Fremdwort gewesen ist. Insofern sammeln Firmen und Mitarbeiter damit Erfahrungen, und die werden vermutlich dann noch über die Krise hinaus noch Bestand haben.

Trotzdem, glaube ich, lernen wir gleichzeitig auch die Grenzen dieser Technologie kennen. Wer ständig in Videokonferenzen ist, der sehnt den Tag herbei, wo man auch einfach wieder ganz normal im persönlichen Kontakt mit seinen Kollegen über betriebliche Belange sprechen kann. Mal ganz davon abgesehen, dass Videokonferenzen nicht die zufälligen Kontakte mit Kollegen am Arbeitsplatz ersetzen. In solchen Situationen werden viele Dinge mehr oder weniger ganz elegant gelöst, was man einfach auf Knopfdruck und mit festen Zeitplänen online nicht erzwingen kann.

Wie viele Arbeitsplätze würden sich überhaupt dauerhaft für Homeoffice eignen?

Wahrscheinlich deutlich mehr, als wir das vor der Krise tatsächlich gesehen haben. Vor allem, wenn bei der Arbeit mehr oder weniger geistige Tätigkeiten verrichtet werden. Das kennzeichnet im Grunde auch schon einen großen Teil der heutigen Wertschöpfung. 80 Prozent der Tätigkeiten, die wir heute erbringen, sind sogenannte Dienstleistungen.

Von den Dienstleistungen ist aber nicht alles digitalisiert und digitalisierbar. Es gibt auch noch Dienstleistungen, die auf den direkten persönlichen Kontakt angewiesen sind. Aber ein großer Teil unserer Wertschöpfung ist tatsächlich dadurch gekennzeichnet, dass man Leistungen erbringt, die man digital austauschen kann. Da gibt es noch eine Menge Potenzial.

Wie wird sich die Pandemie ansonsten noch auf unsere Arbeitswelt auswirken? Kann man dazu jetzt schon etwas sagen?

Ich denke, die Pandemie wird wahrscheinlich einen Beitrag dazu leistet, unser Bewusstsein für Infektionsschutz zu stärken. In der Vergangenheit sind wir recht sorglos mit diesem Problem umgegangen. Jemand, der eine Erkältung oder eine Magen-Darm-Infektion hatte, ist in der Vergangenheit relativ sorglos trotzdem ins Büro gekommen und hat unter Umständen noch die Kollegen mit Handschlag begrüßt. Es hat eher als Schwäche gegolten, wenn man wegen einer Infektion zu Hause geblieben ist. Ich glaube, dass die Pandemie jetzt gerade dafür sorgt, dass wir uns bewusst werden, wie viel Schaden wir eigentlich anrichten, auch bei unseren Mitmenschen durch einen allzu sorglosen Umgang mit der Verbreitung von Krankheiten.

Heute hat Mama Homeoffice...
Heute hat Mama Homeoffice... Bild: Imago Images/photothek

Es ist sicher mit einer Grippe nicht ganz so extrem wie jetzt mit dem Coronavirus. Aber auch die Tatsache, dass jemand für zwei Wochen vielleicht ausfällt wegen einer Grippe, ist ja auch eine Form von Schaden, die ich dem Unternehmen, aber auch dem Menschen zufüge. Und das wäre alles vermeidbar, wenn wir ein wenig achtsamer werden.

Das betrifft schon banale Dinge wie, auf den Handschlag zu verzichten oder sich regelmäßig die Hände zu waschen. Norbert Elias, ein bekannter Soziologe, hat gezeigt, wie sich im Laufe der Jahrhunderte die Geschichte der Menschheit durch eine zunehmende Affekt-Beherrschung beschreiben lässt. In früheren Jahrhunderten sind die Menschen sehr ungezügelt und sehr ungehobelt miteinander umgegangen und haben wenig Rücksicht aufeinander genommen. Im Laufe der Geschichte haben wir immer feinere Formen des zwischenmenschlichen Miteinanders gefunden, die sozusagen diese ungezügelten Affekte quasi eingehegt haben.

Dadurch ist das entstanden, was wir heute als zivilisiertes Verhalten begreifen. Und das ist ein Prozess, der nicht am Ende ist, sondern der weitergeht.

Auch das ist Homeoffice: Die Ballettänzerin Vivian Assam Koohnavard trainiert in ihrer Berliner Einzimmerwohnung
Auch das ist Homeoffice: Die Ballettänzerin Vivian Assam Koohnavard trainiert in ihrer Berliner EinzimmerwohnungBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Wenn man in die Geschichte schaut ist es ja nicht das erste Mal, dass wir eine Pandemie haben. Konnte man beobachten, dass sich beispielsweise nach der Spanischen Grippe vor gut 100 Jahren das Verhalten im Arbeitsleben geändert hat?

Die Spanische Grippe hatte nach dem Ersten Weltkrieg zwar sehr viel mehr Todesopfer gefordert. Das ist damals aber nicht wirklich in das Bewusstsein der Menschen gedrungen, weil der Erste Weltkrieg die große Katastrophe war. Das ist diesmal anders. Wir haben in den letzten 70 Jahre permanent einen Wohlstandszuwachs erlebt. Unser Leben lief in planbaren und berechenbaren Bahnen. Im Grunde wurden die großen Lebensrisiken als beherrschbar empfunden.

Und jetzt kommt da plötzlich eine Pandemie, die das alles auf den Kopf stellt. Das löst natürlich extreme Ängste aus. Immer, wenn Menschen in die Situation geraten, in der die bisherigen Regeln auf einmal nicht mehr gelten, dann geraten sie in Panik. Das ist genau das, was jetzt gerade in dieser Pandemie passiert. Deswegen bin ich relativ sicher, dass das Bewusstsein im kollektiven Bewusstsein tiefe Spuren hinterlassen wird.

Konnte man denn bei anderen Epidemien wie SARS oder MERS Verhaltensänderungen beobachten?

Nein, nicht hier in Europa. Sonst wäre Sars-Cov-2 wahrscheinlich nicht so heftig gewesen. Das ist anders in Taiwan oder Südkorea. Die Länder waren damals von SARS und auch MERS vor allem betroffen. Offensichtlich haben diese Länder ihre Lehren gezogen und sind deswegen in der jetzigen Situation viel weniger betroffen als wir in Europa. Wir haben es im Grunde diesen Ländern zu verdanken, dass SARS damals nicht so stark nach Europa gekommen ist. Dieses Mal, weil wir eben so sorglos waren in der westlichen Hemisphäre, hat uns ein Virus, deswegen besonders hart getroffen, weil wir gedacht haben, das ist wie eine Grippe. Und nicht so wirklich begriffen haben, dass das diesmal anders ist.

Hilmar Schneider ist Leiter des Instituts für die Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Das Forschungsinstitut IZA ist ein von der Deutschen Post Stiftung gegründetes und gefördertes privates, unabhängiges Wirtschaftsforschungsinstitut.

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion