Cremaster Matthew
19. Juni 2002Die Welt des Multimediakünstlers Matthew Barneys ist eigen. Duellierende Dudelsackpfeifer und eine handvoll lüsterner Waldgeister, die sich in einer Luxuslimousine um den besten Platz rangeln, zeigte Matthew Barney in seinen Videoinstallationen bei der Documenta IX und 1993 auf der Biennale in Venedig. Seinem Faible für Sportgeräte frönte der ehemalige Footballspieler mit einer Trainingsbank aus Vaseline und Hanteln aus Paraffin.
Fantastische Bilderwelten
Jetzt hat Matthew Barney sein monumentalstes Werk abgeschlossen. Der fünfteilige Filmzyklus "Cremaster" und eine begleitende Ausstellung feiern Europapremiere in Köln. Fast sieben Stunden Film, Bilderrahmen aus Bienenwachs und Installationen mit Gefrierschränken und lebenden Tauben geben Einblick in Barneys privaten Kosmos.
Acht Jahre lang hat der 35-Jährige am "Cremaster Cycle" gebastelt, kompromisslos alles mit allem kombiniert und eine fantastische, surreale Bilderwelt erschaffen. "Cremaster 3" - der gerade fertig gewordene und zuletzt produzierte Film - bildet dabei das Rückrat des Filmzyklus. Mit keltischer Mythologie und Freimaurerlegenden gespickt, spielt er im Chrysler Building in New York. Inhaltlich und stilistisch sprengt die dreistündige Filmerzählung den Rahmen konventioneller Sehgewohnheiten: Auf Zerstörungsorgien folgen Slapstick und Revueinlagen. Eine Schürze aus Fleisch spielt auch mit.
Hodenheber
Thematisch kreist Matthew Barney um die Möglichkeiten des menschlichen Körpers. Ihn interessiert das Androgyne, das Unfertige, das noch nicht Definierte. Gleichzeitig propagiert er das Erreichen eines völlig differenzierten Zustandes als Erlösung. Paradox? Nicht bei Matthew Barney.
Leitmetapher für Barneys Filmzyklus ist der Cremaster-Muskel. Dieser befindet sich in der männlichen Leistengegend. Je nach Temperatur hebt oder senkt er die Hoden." Ein autonomes System, das nicht beeinflusst werden kann," erklärt Matthew Barney in einem Interview mit der Süddeutsche Zeitung und könnte damit ebenso sein kompliziertes System von Verweisen und Metaphern meinen.
Steppen, Reiten, Schweben
Barneys filmischer Kosmos reicht vom Footballstadion seiner Heimatstadt in Idaho bis zur prachtvollen ungarischen Staatsoper. Er lässt Revuegirls tanzen und Elfen picknicken. Models ohne Beine und Hardcorebands tauchen auf, springen ins Auge und verschwinden in der Bilderflut. Matthew Barney durchschreitet sein Paralleluniversum als Zauberer, Waldgeist und Diva. Er steppt, reitet und klettert, um schließlich im fünften Teil des Zyklus nackt und gefesselt in die nächtliche Donau zu stürzen.
Auf solche Stunts wird Matthew Barney wahrscheinlich auch in Zukunft nicht verzichten. Vielleicht wird er es aber auch erstmal ruhig angehen lassen. Seine neue Freundin, die isländische Popdiva Björk, erwartet schließlich ein Kind von ihm. Und beruflich hat er ja immer noch seine eigene Firma in Manhattan: eine Manufaktur zur Herstellung von künstlichen Organen und verblüffend echt aussehendem Schleim.
The Cremaster Cycle. Matthew Barney.
6. Juni 2002 bis 1. September 2002
Museum Ludwig, Köln
10. Oktober 2002 bis 5. Januar 2003
Musée d`Art Moderne de la Ville de Paris
13. Februar 2003 bis 11. Mai 2003
Guggenheim Museum, New York