CSU - Rechter werden mit den Grünen?
10. November 2017Von Berlin aus gesehen, ist Jamaika weit weg. Ziemlich genau 8700 Kilometer. Eine lange Strecke. Ungefähr so weit sind auch die Koalitionäre in spe für das historische Vierparteien-Bündnis von einem Koalitionsvertrag entfernt. CDU, CSU, FDP und Grüne haben noch nicht einmal die Sondierungsrunden hinter sich. Echte Verhandlungen sind bei schwarz-gelb-grün - den Farben der Flagge Jamaikas - noch nicht in Sicht. Das ist schlecht für alle, besonders aber für die CSU. Sie erlebt gerade prekäre Verhältnisse. So schlecht erging es der Partei aus Bayern schon lange nicht mehr. Und das hat Gründe.
Abstieg mit Ansage
Noch nie war sie so klein wie heute. Mit etwas über sechs Prozent Stimmenanteil im neuen Bundestag bringt die CSU die geringste Masse auf die politische Unionswaage seit 1953. Sie ist nur die Nummer vier im Parteienquartett, das sich anschickt, eine Regierungskoalition zu bilden. Und an ihrer Seite die große Schwester CDU. Auch die hat beim Wähler am 24. September mächtig Federn lassen müssen. Zusammen sind sie die Union der Verlierer.
Die Schwäche der CSU, die in Bayern ein Alleinvertretungsrecht für das Konservative reklamiert, wird im Wahlergebnis offenbar. Nur 38 Prozent CSU-Stimmen in Bayern - wo die CDU nicht antreten darf - sind ein vorläufiger Tiefpunkt einer mittelfristigen Misere. So schwach war die Partei zuletzt Mitte der 1950er-Jahre. Im wirtschaftlich stabilen Bayern, in dem für die CSU jahrzehntelang die 50 vor dem Komma stand, kommt das einem Anschlag auf das Selbstbewusstsein der CSU gleich, die sich insgeheim als Staatspartei definiert. Doch die rechtspopulistische AfD ging mit christsozialen Kernthemen auf Stimmenfang und erzielte ausgerechnet in Bayern ein Ergebnis, das noch über dem Bundesschnitt lag - ein maßgeblicher Grund für die Verluste der CSU.
Seehofer: Machtkampf in München, Attacke in Berlin
Und mitten in der Krise leistet sich die Partei nun auch noch einen Führungskampf. Parteichef Horst Seehofer hatte seinen Abschied schon verkündet und blieb dann doch - sehr zum Verdruss seines Finanzministers in Bayern, Markus Söder, der Seehofer als Landesvater und CSU-Vorsitzender beerben will. Söder hat Rückhalt bei der Parteijugend und bekommt schon Solidaritätsadressen zahlreicher Kreisverbände.
Parteifreundin Ilse Aigner, Wirtschaftsministerin in München und ebenfalls noch im Rennen um die Seehofer-Nachfolge, warnt schon vor einer Spaltung der Partei. Auch wenn es dazu nicht kommen sollte, ist der Machtkampf an der Parteispitze Gift für die Koalitionsgespräche in Berlin. Die CSU will und muss dabei konservatives Tafelsilber retten. Doch die CSU ist derzeit schwach und ihr Verhandlungsführer Seehofer führt einen Zweifrontenkrieg: für sich und die Partei.
Bislang zeigt sich das nur durch Kompromisslosigkeit gegenüber den Grünen. Und auch zeitlich verspürt der bayerische Ministerpräsident Druck. Am 15. Dezember will Seehofer beim CSU-Parteitag Ergebnisse liefern.
Symbolpolitik "Obergrenze"
Nicht nur die Koalitionsverhandlungen dürften dann zur Diskussion stehen, auch die politische Bilanz der gerade zu Ende gehenden schwarz-roten Legislaturperiode, in der die CSU gemeinsam mit CDU und SPD regierte, rücken dann nochmals in den Fokus. Auch die fällt alles andere als positiv aus. Mehr als der endlose Streit mit Angela Merkel um eine Flüchtlingsobergrenze, die es tatsächlich nicht gibt, wird nicht in Erinnerung bleiben. Und auch mit dem zweiten Reizthema der Jahre 2013 bis 2017 hat sich die CSU nicht mit Ruhm bekleckert: die Autobahn-Maut. In beiden Fällen viel Lärm um nichts.
Während des gesamten Bundestagswahlkampfes war die CSU vor allem gegen die Grünen zu Felde gezogen. Insbesondere in der Flüchtlingsfrage standen sich die programmatisch so unterschiedlichen Parteien kontrovers gegenüber. Jetzt sollen sie gemeinsam regieren. Von Wollen kann vor allem auf CSU-Seite kaum gesprochen werden - bei denen einzelne Verhandlungsführer immer noch so auftreten, als wären sie im Wahlkampf. Dazu kommt noch das Problem mit der "Seehofer-Falle". Zwei Jahre lang hatte Horst Seehofer ultimativ eine Obergrenze für Flüchtlinge gefordert, die nun erfolgreichen Koalitionsverhandlungen im Wege steht.
Trauma AfD: In Bayern soll nur die CSU rechts sein
Und nicht nur in der Flüchtlingsfrage, auch grundsätzlich steht die kleine Unionsschwester vor einem Dilemma. Der überdurchschnittliche Erfolg der populistischen AfD in der Heimat der Christsozialen bei gleichzeitigem Absturz der Christsozialen hat eine alte Debatte wieder belebt: die Frage, ob es rechts von der CSU noch eine Partei gegen darf.
Die Antwort ist eindeutig: Die CSU will die bürgerlich-konservative Mitte bis hin zum äußersten demokratisch-rechten Rand selbst repräsentieren. Die 12,4 Prozent AfD-Wähler waren für die CSU so etwas wie politischer Hausfriedensbruch. Das soll sich nicht mehr wiederholen.
Dennoch: In Bayern rechte AfD-Wähler einzusammeln und gleichzeitig in Berlin mit den Grünen zu koalieren, gleicht einem Spagat, bei dem die politische Überdehnung droht. Wenn sich die CSU nächstes Jahr im Herbst bei den bayrischen Landtagswahlen nicht deutlich erholen wird von der Stimmenschmelze an der Urne, wird die Schuldfrage in München schnell beantwortet werden: Jamaika! Sollte die schwarz-grün-gelbe Koalition bis dahin noch stehen, könnte das Thema Neuwahlen plötzlich akut werden.