Dalbert: "Rassismus ist wieder gesellschaftsfähig"
2. März 2016DW: Welche Rolle spielt das Thema Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt, wo am 13. März gewählt wird?
Claudia Dalbert: Es ist das alles überragende Thema im Wahlkampf. Alle Diskussionen landen früher oder später beim Thema Flüchtlinge. Erst in den letzten Tagen sind vermehrt Leute auf mich zugekommen, die auch über andere Dinge sprechen wollten.
Wie würden Sie das gesellschaftliche Klima beschreiben, das in Sachsen-Anhalt derzeit herrscht?
Im Vergleich mit dem Landtagswahlkampf vor fünf Jahren hat sich das gesellschaftliche Klima dramatisch verändert. Was wir erleben, sind tatsächlich Anfeindungen aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Der flüchtlingspolitische Sprecher unserer Landtagsfraktion, Sören Herbst, wurde über Facebook bedroht: "Warte nur, gib' Acht, wir bekommen dich!" Und morgens fand sich an seinem Wohnhaus die Zeichnung eines Galgens mit einem baumelnden Strichmännchen daran (siehe Foto oben).
Auch Sebastian Striegel, unser innenpolitischer Sprecher und Rechtsextremismus-Experte, wird ständig bedroht. Sein Wahlkreisbüro in Bitterfeld wurde schon zweimal, sein Wahlkreisbüro in Merseburg allein im Jahr 2015 zehn Mal angegriffen. Da werden Scheiben eingeschlagen, Gullideckel geworfen und die Wände beschmiert. Nicht mitgezählt sind da die Bürger, die in das Büro reinkommen und sagen: "Man müsste euch alle anzünden!" Es verlangt viel Kraft und Mut im Bauch, um dann weiter eine Politik für Weltoffenheit zu machen.
Neu ist also, dass das alles auf offener Bühne geschieht?
Genau. Das sind offene Drohungen, das ist offen ausgedrückter Hass, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Das richtet sich im Übrigen nicht nur gegen Abgeordnete, sondern auch gegen Flüchtlingshelfer. In der "Goldenen Rose", einem Beratungs- und Begegnungsort für Flüchtlinge in Halle, wurden zweimal die Scheiben eingeschlagen, einmal wurde ein Brandsatz gezündet. Da sind große Schäden entstanden.
Worauf führen Sie diese Verrohung zurück?
Ich glaube, der Boden wird dadurch bereitet, dass Rassismus heute wieder gesellschaftsfähig ist. Die Leute trauen sich, Sachen zu sagen, die sie vor einem halben Jahr oder Jahr nicht gesagt hätten. Und da hätten sie auch keine Zustimmung gefunden. Deswegen finde ich es auch so wichtig, überall, auch im privaten Kontext, solchen rassistischen, hetzerischen Äußerungen immer wieder entgegenzutreten und zu sagen: "Das ist nicht unsere Meinung, und ihr sprecht nicht für die Mehrheit der Gesellschaft."
Müssen die Grünen in Sachsen-Anhalt Wahlkampf unter Polizeischutz machen?
So würde ich das nicht beschreiben, aber man muss sich schon überlegen, wie man sich verhält. Man muss die Dinge so planen, dass das Risiko überschaubar bleibt. Wer sich heute für Flüchtlinge engagiert, der läuft Gefahr, dass er Widerstand bei den Rassisten findet, beim rechten Rand. Das finde ich einen unerträglichen Zustand.
Als Oppositionspartei unterstützen die Grünen in Sachsen-Anhalt Merkels Kurs der offenen Grenzen und lehnen Obergrenzen für Flüchtlinge ab. Anders CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, ein Parteifreund der Bundeskanzlerin - er fordert Obergrenzen. Verunsichert der Streit in den Regierungsparteien die Wähler?
Das ist Gift für die Debatte, weil die Flüchtlingsfrage und die Frage von Integration von Gezänk in Berlin und auch hier im Land überlagert werden. Sachsen-Anhalt hat die Erstaufnahme der Flüchtlinge gut hingekriegt. Wir haben einen großen Leerstand an Wohnungen, in denen wir Flüchtlinge unterbringen können.
Unser Bundesland hat gute Möglichkeiten, auch die Integration hinzubekommen. Die Versuche von Ministerpräsident Reiner Haseloff, mit der Forderung nach Obergrenzen und Grenzschließungen die Flüchtlingsdebatte zu befeuern, halte ich für hochgefährlich. Das ist ein Fischen von Stimmen am rechten Rand.
Sachsen-Anhalt nimmt nur 2,9 Prozent aller Flüchtlinge auf, die nach Deutschland kommen. Dennoch reagiert ein Teil der Bevölkerung mit Ablehnung. Woher rühren diese Ängste Ihrer Meinung nach?
Zum einen ist es so, dass Sachsen-Anhalt und Ostdeutschland wenig Erfahrung mit Fremden haben, die hier leben. Bevor die Flüchtlinge kamen, waren hier weniger als zwei Prozent der Bevölkerung ausländischen Ursprungs.
Der andere Teil hat überhaupt nichts mit Flüchtlingen zu tun. Ich erlebe, dass die Menschen frustriert sind von der Politik im Land. Das, was bei ihnen im Alltag ankommt, ist auch schlechte Politik - vom Unterrichtsausfall in den Schulen bis hin zu immer längeren Wartezeiten, wenn jemand die Polizei ruft. Das sind Dinge, die die Menschen frustrieren und die Parteien wie die AfD dann einsammeln und ummünzen in Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Diese Unzufriedenheit ist ein Nährboden für das, was wir heute erleben, für diesen Hass und diesen Rassismus in der Gesellschaft.
Bei der letzten Wahl in Sachsen-Anhalt haben die Grünen mit 7,1 Prozent den Einzug in den Landtag geschafft, in dem sie zuvor 13 Jahre lang nicht vertreten waren. Laut Umfragen liegt Ihre Partei derzeit bei etwa fünf Prozent. Bangen Sie um den Wiedereinzug?
Nein. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir am 13. März sechs oder sieben Prozent der Stimmen bekommen.
Claudia Dalbert ist Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag in Magdeburg und Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Landtagswahl am 13. März. Zuvor war sie Professorin für Psychologie an der Universität Halle. Im Landtag in Sachsen-Anhalt sind derzeit vier Parteien vertreten: CDU, SPD, Linke und Grüne. Es regiert ein Bündnis aus CDU und SPD unter Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Der Einzug der rechtspopulistischen AfD in den Landtag gilt als wahrscheinlich.