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PolitikEuropa

"Danke für die Helme!"

Kate Brady
14. Februar 2022

Bundeskanzler Olaf Scholz will zwischen Kiew und Moskau vermitteln. Vor seiner Abreise in die Krisenländer demonstrierten Ukrainer in Berlin. Sie wünschen sich mehr Unterstützung für ihr Land. Kate Brady aus Berlin.

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Ukraine-Konflikt | Protest gegen russischen Truppenaufmarsch in Charkiw
Bild: Kate Brady/DW

"Slawa Ukraijini" - "Ruhm der Ukraine" ertönt der Wahlspruch des ukrainischen Militärs am späten Sonntagnachmittag vor dem Brandenburger Tor. Die tief stehende Sonne Februarsonne wird von den Töpfen, Pfannen und Küchensieben reflektiert, die einige der ukrainischen Demonstranten auf den Köpfen tragen - als satirische Anspielung darauf, dass die Bundesregierung die 5000 Helme anstelle der angefragten Defensivwaffen nach Kiew geschickt hat, um die Ukraine im Konflikt gegen Russland zu unterstützen. Unter dem sarkastisch gemeinten Motto "Danke für die Helme!" forderten rund 200 Menschen die Bundesregierung auf, mehr zur Lösung der Ukraine-Krise beizutragen.

Die Demonstration fand  einen Tag vor der Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz in die Krisenregion statt. Am Montag trifft Scholz den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew, am Dienstag Wladimir Putin in Moskau. Die Russische Föderation fordert Zusicherungen, dass die Ukraine niemals in die NATO aufgenommen wird. In den vergangenen Wochen hat sie mehr als 100.000 russische Soldaten an die Grenze zum Nachbarland verlegt.  Die Erwartung der westlichen Verbündeten an Scholz' Gespräche sind verhalten, die Demonstranten haben ihre eigenen Forderungen an den Kanzler.

Die beiden Demonstranten mit Schildern auf Englisch: "Öffne die Augen, sonst schließt Putin sie", "Friendly Diplomacy (durchgestrichen) Fire"
Vitali Olijnik und Artur fordern sofortige Sanktionen gegen RusslandBild: Kate Brady/DW

Vitali Olijnik ist 52 Jahre alt und lebt seit fast 30 Jahren in Deutschland. Er sagt, das deutsche Zögern spiele Russland in die Karten und verstärke die militärische Übermacht des großen Nachbarn: "Die wirtschaftliche Unterstützung, die Deutschland der Ukraine gegeben hat, waren eine große Hilfe, aber jetzt brauchen wir andere Mittel. Wie wir in der Ukraine sagen: Zum Mittagessen brauchst Du einen Löffel."

Ruhig bleiben, Panik vermeiden

Auch der 30-jährige Artur, der vor acht Jahren nach Berlin gezogen ist, erwartet eine zackigere Ansage von der deutschen Regierung: "Vielleicht sollten die Sanktionen (gegen Russland, Anm. d. Red.) schon jetzt gelten - irgendwann ist es zu spät." Einerseits sei er froh, dass der größte Teil seiner Familie in Deutschland sei, sagt Artur. Andererseits: "Wenn Du hier lebst, kannst Du nicht viel tun, ich kann nur meine emotionale Unterstützung anbieten. Aber wir müssen auch ruhig bleiben und eine Massenpanik vermeiden."

Ganz ähnlich hatte sich auch der ukrainische Präsident in den letzten Tagen geäußert, nachdem US-Präsident Joe Biden gesagt hatte, eine russische Invasion könne jeden Augenblick beginnen. Der größte Feind zu diesem Zeitpunkt sei Panik, sagte Selenskyj und mahnte zur Ruhe.

Die Demonstrantin Debby mit einer Begleiterin, die ein Schild auf Englisch hält: "Frieden für die Ukraine"
"Die Menschen in der Ukraine sind müde", sagt die in Berlin geborene Ukrainerin Debby.Bild: Kate Brady/DW

Viele Ukrainer tun offenbar genau das: Ihre Verwandten in der Heimat, sagten ukrainische Demonstranten am Sonntag, hätten sich eine "Ruhig-bleiben-und-weitermachen"-Einstellung angewöhnt. "Viele Menschen wollen einfach keine Nachrichten mehr hören", sagt die 18-jährige Debby, die als Tochter ukrainischer Einwanderer in Berlin geboren wurde. "Dieser Konflikt ist nicht neu, das sollten wir nicht vergessen."

Zankapfel Nord Stream 2

Ein weiterer Stein des Anstoßes ist Nord Stream 2: Auf zahlreichen Plakaten kritisierten die Demonstranten, dass die Bundesregierung an der Nordsee-Gas-Pipeline von Russland nach Deutschland festhält.

Nord Stream 2 Eine Pipeline sorgt für Streit

"Alles scheint irgendwie auf Nord Stream 2 zurückzugehen, und das muss sich ändern", sagt Leah Dorotiak. Kritiker - insbesondere aus Osteuropa, Frankreich und den USA - mahnen, dass die geplante baldige Inbetriebnahme Deutschland zu abhängig von russischem Erdgas mache.

Gemischte Gefühle

Deutschland müsse stark bleiben und nicht allein auf die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland blicken, sagt Dorotiak. Doch sie hadert noch mit einem weiteren Punkt: "Außerdem finde ich es problematisch, dass Deutschland wegen seiner Geschichte nicht so mutig auftritt, wie es könnte, wenn darum geht, sich gegen Ungerechtigkeiten in der Welt zu auszusprechen."

Demonstrant Ruslan mit Begleitung hält ein Schild auf Englisch: "Desinformation, Manipulation, Korruption - Stoppt die russische Aggression"
Ruslan schätzt die Stabilität in Deutschland, hadert aber mit der Außenpolitik der BundesregierungBild: Kate Brady/DW

Bei einigen hier lebenden Ukrainern hat Deutschlands Zurückhaltung gemischte Gefühle über ihre neue Heimat ausgelöst. Der 37-jährige Ruslan sagt: "Einerseits lebe ich in einem Land, dass sich der russischen Aggression nicht wirklich entgegenstellt. Andererseits gibt es hier sehr viel Stabilität." Auch Ruslan meint, Deutschland sollte bereits jetzt weitere Sanktionen gegen Russland durchsetzen, statt auf einen Angriff zu warten.

Bedeutende Signale oder schlechter Scherz?

Doch nicht alle Ukrainer in Deutschland sehen die deutsche Regierung so kritisch wie die Demonstranten: Der Arzt Sergej Fortunjew Steuer arbeitet ehrenamtlich bei der humanitären "Ukraine-Hilfe Berlin". Seit 30 Jahren lebt er in der deutschen Hauptstadt. Er hat sich dem Protest am Sonntag bewusst nicht angeschlossen: "Mir scheint, die Generation, die schon länger hier lebt, hat ein anderes, vielleicht tieferes Verständnis davon, wann und warum Deutschland handelt oder nicht", sagt der 55-Jährige. Selbst die Lieferung von 5000 Helme sei ein bedeutendes Signal, das es vor Kurzem noch nicht gegeben hätte. "Stattdessen wird es sofort als schlechter Scherz verstanden."

Fortunjew Steuer leistete im Winter 2015 medizinische Hilfe im ukrainische Donbass, wo sich pro-russische Separatisten und die ukrainische Armee gegenüberstehen. Heute, sagt er, würde er nicht mehr an die Front zurückkehren, weil er inzwischen Vater sei: "Freunde haben mich gefragt und ich habe mit einem klaren Nein geantwortet. Aber wer weiß, was man tut, wenn es wirklich so weit ist."

Ukraine: Ein Dorf zwischen den Fronten