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"Alles unter dem Mantel der Anonymität"

Jakob Resneck/Matthias von Hein25. Juli 2016

Der Todesschütze von München besorgte sich seine Pistole im Darknet. Diesen digitalen Untergrund hat der Brite Jamie Bartlett intensiv erforscht. Im DW-Interview erläutert er, wie der illegale Handel abläuft.

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Symbolbild Waffe Pistole Revolver (Foto: Colourbox)
Bild: Colourbox

Deutsche Welle: Nach Angaben deutscher Ermittler hat der Amokläufer von München seine Waffe auf einem sogenannten Darknet-Markplatz gekauft. Was sind das für Handelsplattformen?

Jamie Bartlett: Darknet-Marktplätze sind anonyme Marktplätze. Es gibt dort nur wenige tausend davon. Zugänglich werden sie über den sogenannten Tor-Browser; der ermöglicht anonymes Surfen im Internet. Diese Marktplätze verkaufen mehr oder weniger alles, so ähnlich wie Amazon oder ebay. Es handelt sich um wettbewerbsorientierte, hoch funktionale Marktplätze mit all den Kennzeichen moderner E-Commerce-Seiten - inklusive Kundenbewertungen. In erster Linie werden sie für den Drogenhandel genutzt.

Zehntausende oder gar Hunderttausende Käufe werden Jahr für Jahr über solche Seiten abgewickelt. Generell gehen die Leute auf diese Seiten, um dort Dinge zu kaufen, die sonst schwer zugänglich sind. Bezahlt wird mit der Krypto-Währung Bitcoin. Dann wird die Ware nach Hause geliefert, ganz so wie bei Amazon oder ebay. Der einzige Unterschied: Hier geschieht alles unter dem Mantel der Anonymität.

Portrait Jamie Bartlett (Foto:Jeff Overs)
Jamie Bartlett hat für sein Buch jahrelang im Darknet recherchiertBild: Jeff Overs

Ganz praktisch gefragt: Wie kann denn ein Darknet-Händler eine komplette Waffe verschicken? Würde nicht das Gewicht oder die Größe des Pakets die Aufmerksamkeit der Polizei erregen - oder des Zolls, falls über Staatsgrenzen hinweg gehandelt wird?

Natürlich wird auch einiger Handel innerhalb eines Landes abgewickelt. Und man kann niemals wissen, wo genau ein Darknet-Händler sitzt. Allerdings machen die Händler gelegentlich Angaben, in welche Länder sie ihre Waren verschicken oder in welchem Land sie selbst sind. Bei manchen Produkten ist es nämlich sicherer, bei einem heimischen Lieferanten zu ordern. Natürlich kennt man zwar nie die genaue Adresse, aber man kann schon wissen, in welchem Land sie sind.

Was das Risiko des Verschickens von Drogen, Waffen oder sonstigen Produkten angeht: Allein in Großbritannien stellt die Post Tag für Tag Millionen von Paketen zu. Da gibt es zwar Stichproben. Aber es ist unmöglich, alle Pakete zu prüfen. Deshalb kommen die allermeisten Sendungen durch. Und die Verkäufer sind sehr raffiniert und extrem innovativ beim Umgehen von Systemen, die sie stoppen sollen. Aus meiner Sicht ist die Frage der Zustellung kein so großes Problem.

Einige der größeren Darknet-Handelsplätze haben angekündigt, sie wollten auf ihren Webseiten den Verkauf tödlicher Waffen nicht mehr dulden. Das scheint einen gewissen Grad an Selbstregulierung zu zeigen. Haben Darknet-Handelsplätze tatsächlich einen eigenen Ethik-Code?

Interessanterweise haben Darknet-Marktplätze tatsächlich häufig eine Form von Selbstregulierung. Die bekannteste Darknet-Handelsplattform war "Silk Road", die vor rund 18 Monaten geschlossen wurde - allerdings nicht, bevor Hunderttausende von Käufen abgewickelt worden waren. Obwohl es eine anonyme Handelsplattform war, hat sie den Handel mit illegaler Pornografie, mit Waffen oder gefälschten Ausweispapieren nicht zugelassen. Die Betreiber sagten, das würde gegen ihre libertären Prinzipien verstoßen. Diese libertären Prinzipien besagen, du solltest in der Lage sein, mit dir selbst, mit deinem Körper zu machen was du willst. Aber Waffen und gefälschte Identitäten hätten diese Grenze überschritten.

Allerdings gab es immer auch andere Markplätze, die sich um solche Bedenken nicht gekümmert haben, wo es keinerlei Form von Regulierung gab. Weil aber das Darknet ein Netzwerk für jedes Individuum ist, das einen Service anbieten will, gibt es jenseits von Selbstregulierung keinerlei Beschränkung. Während also einige Marktplätze sich für die Einführung von Regeln entscheiden, wird es unglücklicherweise immer auch andere geben, die das nicht tun.

Screenshot Webseite Silk Road 2.0 nach Schließung (Foto: Reuters)
In November 2014 wurde "Silk Road 2.0" geschlossen. Andere illegale Marktplätze haben die Lücke schnell geschlossenBild: Reuters/Staff

Können Sie einschätzen, wie umfangreich der Handel mit Waffen über das Darknet in Europa ist? Auch im Verhältnis zum illegalen Waffenhandel auf der Straße.

Es ist extrem schwer, eine Einschätzung zur Größe des Handels mit Waffen im Darknet zu bekommen. Worüber wir durch Untersuchungen und Umfragen etwas wissen, ist der Handel mit Drogen im Darknet: In England sagen rund zehn Prozent derjenigen, die im letzten Jahr illegale Drogen genommen haben, sie hätten Drogen über einen Darknet-Handelsplatz bezogen.

Bei Waffen kann man solche Umfragen nicht machen; die Leute würden illegalen Waffenbesitz in Umfragen nicht zugeben. Und ich war ehrlich überrascht zu lesen, der Attentäter von München habe seine Waffe im Darknet gekauft. Ich beobachte diese Handelsplätze schön längere Zeit. Einige behaupten, auch Waffen zu verkaufen. Aber ich habe nicht viele Fälle gesehen, wo Leute dort tatsächlich Waffen gekauft und sie benutzt haben. Meines Erachtens ist es weit einfacher, Waffen auf der Straße von kriminellen Netzwerken zu kaufen. Der Waffenhandel im Darknet dürfte im Vergleich dazu minimal sein.

Jamie Bartlett ist Journalist und Direktor des Zentrums für die Analyse Sozialer Medien bei dem Think-Tank Demos. Sein Buch "The Dark Net: Unterwegs in den dunklen Kanälen der digitalen Unterwelt", liegt auch auf deutsch vor.

Die Fragen stellte Jacob Resneck