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Darusman: “Nordkorea-Sanktionen greifen zu kurz”

Alexander Freund24. Mai 2016

Die Sanktionen gegen Nordkorea treffen vor allem die Bevölkerung, kritisiert Marzuki Darusman, UN-Sonderbotschafter für Nordkorea. Im DW-Interview erzählt er, dass der internationale Druck dennoch Wirkung zeigt.

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Marzuki Darusman, UN-Sonderbeauftragter für Menschenrechte in Nordkorea (Foto:DW/A.Freund)
Bild: DW/A. Freund

Deutsche Welle: Glauben Sie, dass die unlängst beschlossenen schärferen Sanktionen tatsächlich das Führungspersonal Nordkoreas treffen, oder werden sie nicht vor allem die Not der Bevölkerung vergrößern?

Darusman: Diese Frage höre ich öfters: Was kann die internationale Gemeinschaft über das hinaus tun, was sie bereits getan hat? Ich interpretiere das so, dass man sich der Tatsache stellt, dass die Sanktionen ihre Wirkung verfehlen. Was kann man also mehr tun? Tatsächlich eine ganze Menge. Die Sanktionen könnten mit einem Maßnahmenpaket, das als BSD-Formel bekannt ist, verstärkt werden. BSD steht für Boykott, Sanktionen, "divestment" (Entzug von ausländischem Kapital, Anm. d. Red.). Ein solcher Schritt wär sehr wirksam, denn er würde sehr konkrete Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft nach sich ziehen.

Sanktionen führen auch dazu, dass es für die Bevölkerung noch härter wird, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, als es sowieso schon ist. Wenn die Sanktionen ihre Wirksamkeit entfalten, entsteht eine humanitäre Notlage, die ihrerseits das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft erfordert. Hier sind wir also mit einem Dilemma konfrontiert. Ich würde sagen, dass Sanktionen anfänglich durchaus wirksam sein können, aber dann mit all den verschiedenen Maßnahmen gekoppelt werden müssen, die im Zusammenhang mit Nordkorea in Frage kommen.

Wie schätzen Sie die Nahrungsmittelversorgung in Nordkorea ein, und welches Signal hat der jüngste Parteitag ausgesandt?

Es gab zuletzt eine vergleichsweise gute Ernte, auch das Wetter war günstig. Aber das öffentliche Verteilungssystem ist vollständig zusammengebrochen. Allerdings hat sich die Bevölkerung aus eigener Initiative mit Mitteln des Marktes darauf eingestellt. Weil die Führung nicht in der Lage ist, die Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen, hat sie ihre Legitimität in den Augen der Bevölkerung verloren, ebenso wie die herrschende Ideologie ihre Überzeugungskraft. Die Führung versucht deshalb, mit der Demonstration militärischer Stärke und von Kriegsbereitschaft ihre Legitimität bei der Bevölkerung wiederzuerlangen.

Was den jüngst abgehaltenen Parteitag der Nordkoreanischen Partei der Arbeit betrifft, den ersten seit 36 Jahren, so gibt er Anlass für vorsichtigen Optimismus. Er hat versucht, ein Gleichgewicht zwischen Souveränität Nordkoreas und wirtschaftlicher Entwicklung zu erzielen. Sollte das gelingen, wäre das ein gutes Zeichen für die Zukunft. Ich bin recht optimistisch, dass sich hier nach so vielen Jahren etwas bewegt. Die internationale Gemeinschaft hat eine sehr positive Rolle in diesem Prozess gespielt, so dass wir jetzt tatsächlich vor einer neuen innenpolitischen Entwicklung in Nordkorea stehen.

Parteitag in Pjöngjang - Parade und Jubel (Foto: picture-alliance/Kyodo)
Allen Jubelbildern zum Trotz: Darusman sieht die Führung in Pjöngjang ohne Legitimität beim VolkBild: picture-alliance/Kyodo

Anders als früher ist China jetzt bereit, mehr Druck auf Nordkorea auszuüben.

Peking ist stärker als früher daran interessiert, dass die internationale Gemeinschaft seine Handlungsweise versteht. In jüngster Vergangenheit hat es Flüchtlingen aus Nordkorea sicheres Geleit zur Weiterreise in Drittländer gewährt. Auch hat es sich ernsthafter als früher an der Anwendung von Sanktionen gegen Nordkorea beteiligt. China sendet also eine Botschaft an Nordkorea, dass dessen Verhaltensweise die Interessen Chinas beeinträchtigt. Gleichzeitig will China auch der internationalen Gemeinschaft seine Position in bezug auf Flüchtlinge aus Nordkorea und auf die Gewährleistung ihrer sicheren Weiterreise nach Südkorea verständlich machen.

Marzuki Darusman im Gespräch mit DW-Reporter Alexander Freund (Foto:DW/A.Freund)
Marzuki Darusman im Gespräch mit DW-Reporter Alexander FreundBild: DW/A. Freund

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass es schon bald zu neuen Sechs-Parteien-Gesprächen kommen wird?

Es ist bemerkenswert, dass China, genauer gesagt ein Sprecher der Außenministeriums, positiv auf die Aussage des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, er sei zu einem Treffen mit Kim Jong Un bereit, reagiert hat. Damit muss man auch erneut die Frage angehen, wie solche Gespräche letzten Endes zu einer Lösung der Atomfrage führen können. Denn der Knackpunkt ist die Befriedigung des Sicherheitsbedürfnisses Nordkoreas, es will Garantien, dass es nicht bedroht wird, hier müsste eine Übereinkunft gefunden werden. Damit wären die Menschenrechtsfragen nicht sofort gelöst, aber nach einem Abbau der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel könnten auch die Menschenrechtsfragen angegangen werden.

In sechs Monaten endet Ihre Amtszeit als UN-Sonderberichterstatter für Nordkorea. Welche Bilanz ziehen Sie? Sind Sie enttäuscht?

Nein, ich scheide mit dem Gefühl einer gewissen Zufriedenheit, dass wir in dem "Spiel um die Wahrheit" obsiegt haben. Die Erkenntnisse der UN-Untersuchungskommission zu Nordkorea werden weiterhin durch Aussagen von Flüchtlingen aus Nordkorea bestätigt. Es besteht jetzt ein institutioneller Rahmen für unsere weitere Arbeit, und zwar mit dem vorliegenden Bericht der Untersuchungskommission, mit der Errichtung des UN-Büros für Menschenrechtsfragen Nordkoreas in Seoul, mit der Befassung des UN-Sicherheitsrates mit dem Thema. Ich bin der südkoreanischen Regierung und den beteiligten NGOs dankbar, dass wir gemeinsam so weit gekommen sind.

Das Interview führte Alexander Freund.