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Gesellschaft

Der Kampf ums Klopapier

Marco Müller
26. März 2020

So langsam fängt der Kampf ums Klopapier an, seltsame Züge anzunehmen. Wenn es nicht so ernst wäre, müsste man eigentlich drüber lachen, was sich in einem ganz normalen Drogeriemarkt so abspielt. Marco Müller berichtet.

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Deutschland Bonn Coronavirus Toilettenpapier
Bild: DW/M. Müller

Donnerstagmorgen, 9.50 Uhr. Eine lange Menschenschlange, wie man sie sonst nur von den Fahrgeschäften in einem Freizeitpark kennt. Sie zieht sich schnurgerade den Bordstein entlang und endet vor der geschlossenen Schiebetüre eines Drogeriemarktes am Rande der Bonner Innenstadt. Nur noch zehn Minuten, dann öffnet der Markt. Ich bin Teil dieser Schlange und aufgeregt. Denn heute soll es etwas Besonderes geben: Toilettenpapier. Woher ich das weiß?

Rückblick: Wir spulen exakt zwei Tage zurück. Es ist Dienstagmorgen, 9.50 Uhr. Gleiche Schlange, gleicher Laden. Ich wollte, wie anscheinend die meisten Menschen in dieser Schlange, Toilettenpapier kaufen. Um 10.00 Uhr stürmen alle hinein. Das Toilettenpapier steht ganz hinten im Laden. Wie der Mist die Fliegen zieht, das Toilettenpapier die Kunden an. Plötzlich schaue ich in leere Regale und ebenso leere Gesichter vor mir. Heute gibt es kein Toilettenpapier. Alles war umsonst. Mittlerweile weiß ich, dass Toilettenpapier immer montags, mittwochs und freitags geliefert wird. Seltsam genug, dass ich nun so etwas weiß. Trotzdem frage ich beim Rausgehen sicherheitshalber die Kassiererin, wann das nächste kommt. Zu meiner Überraschung sagt sie "Wenn, dann am Donnerstag. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir welches bekommen." Eine wichtige Info in diesen Tagen. Schließlich war ich zuvor vergeblich in zehn (!) Geschäften gewesen. Rückblick Ende.

Deutschland Bonn Coronavirus Toilettenpapier
Hier sollte das Toilettenpapier stehenBild: DW/M. Müller

Verdächtig unverdächtiges Rumstehen

Ich beobachte, wie hinter mir die Schlange immer länger wird. Ich beobachte aber auch, wie ein gut gekleideter älterer Herr sich ganz vorne vor die Schlange neben den Drogeriemarkt stellt und unauffällig auf den Boden schaut. Ich habe das starke Gefühl, dass er sich positioniert, um sich damit einen Vorteil bei der Suche nach dem neuen "Weißen Gold" zu verschaffen.

10.00 Uhr. Der Türsteher des Drogeriemarkts öffnet die Tür. Ja, der Drogeriemarkt hat mittlerweile einen Türsteher. Vor zwei Wochen noch undenkbar, heute völlig normal. Und, was passiert? Der unauffällig herumstehende ältere Herr wird plötzlich ganz flink und schafft es, als dritter den Laden zu betreten. Ich hatte Recht.

Knisternde Spannung und der heilige Gral

Alle stürmen zum Toilettenpapier. Diesmal blicke ich nicht in leere, sondern in erstaunte Gesichter. Denn neben dem Toilettenpapier am üblichen Ort steht mitten im Geschäft eine ganze Palette mit Neuware. Sie überstrahlt alles. Sie wirkt wie der heilige Gral in einem Hollywoodfilm. Es ist ein erhebender Moment. Es ist, als hätte man nach Jahren der aufreibenden Suche endlich den Schatz gefunden. Es ist, als trete alles andere in den Hintergrund. Wir sind kurz allein, die Palette Toilettenpapier und ich. In dem Film "Harry Potter" gibt es den Spiegel der Wünsche. Wer dort hineinschaut, sieht, was er sich am sehnlichsten wünscht. Warum auch immer: Im Moment dürfte das bei allen Menschen in Deutschland Klopapier sein. Doch dieser Moment endet abrupt.

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Der heilige Gral - beziehungsweise die Palette ToilettenpapierBild: DW/M. Müller

Was genau bedeutet "ein Paket pro Person"?

Überall vor und im Geschäft steht, dass jeder Kunde nur eine Packung Toilettenpapier kaufen darf. Nun hat aber ein mittelalter Herr in augenscheinlich teurer Kleidung mit Schal und Hut - Typ Geschäftsmann - sich zwei Sets genommen: eine Packung vierlagiges und eine Packung dreilagiges Toilettenpapier. Nun fragt er allen Ernstes den vorbeigehenden Drogeriemitarbeiter, ob er beide Packungen mitnehmen dürfe. Es seien ja schließlich unterschiedliche Produkte. Man könne ja schließlich auch zwei unterschiedliche Tuben Zahnpasta kaufen. Beim Mitarbeiter blitzt er jedoch ab: "Für mich ist das alles Klopapier. Daher nur eine Packung."

Plötzlich tritt der Vordrängler in Erscheinung. Er prescht dazwischen und sagt zu dem Drogeriemarkt-Mitarbeiter, er hätte eine kranke Nachbarin, ob er nicht auch zwei Pakete mitnehmen könne. Das ist der Moment, wo mir der Geduldsfaden reißt. Ich sage laut zu ihm, dass jeder eine kranke Nachbarin hat, dass es unfair ist, was er da macht und er sich zudem vorgedrängelt hat. Daraufhin sagt der Geschäftsmann mit seinen drei- und vierlagigen Packungen: "Ja, das stimmt. Das habe ich auch gesehen."

Der Vordrängler gibt sich uneinsichtig und erklärt, dass er die Schlange gar nicht bemerkt habe. Komisch, konnte ich ihn doch fünf Minuten lang beobachten, wie er davor stand, ohne irgendetwas zu tun. Ich lasse das nicht gelten und sage: "Solche Menschen wie Sie brauchen wir hier nicht." Ein Mann vor einer anderen Regalreihe, von dem ich zuvor keine Notiz genommen hatte, sagt plötzlich zu mir. "Wunderbar. Das ist richtig erfrischend. Gut, dass mal einer etwas sagt." Der Vordrängler trollt sich - mit nur einem Paket. Ich fühle mich gut.

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Auch in anderen Geschäften sieht es in der Toilettenpapierabteilung meist eher luftig ausBild: DW/M. Müller

Die Antwort auf alle Krisen

Trotzdem frage ich mich, was da mit uns los ist. Das helle Papier scheint gerade die dunkelsten Seiten der Menschen hervorzubringen. In der Zeitung lese ich, dass eine 54-jährige Frau im nordrhein-westfälischen Bergneustadt mehrere Toilettenpapierpakete aus einem Supermarkt mitnehmen wollte. Als die Mitarbeiter sie darauf hinwiesen, dass nur ein Pakt erlaubt sei, setzte sie sich aus Protest auf das Kassenband. Auch der Platzverweis der herbeigerufenen Polizei konnte sie nicht wegbewegen. Letztendlich wurde sie in Handschellen zum Polizeiwagen getragen. Später wurde sie von der Polizeiwache entlassen - ohne Toilettenpapier. 

Krise, Krieg, Katastrophe? Klopapier ist die Antwort - zumindest in Deutschland und einigen weiteren Nationen. Was sagt der aktuelle Klopapier-Fetisch über uns aus? Um die Deutschen einordnen zu können, hilft ein Blick auf die Nachbarländer. In der aktuellen Corona-Krise hamstern die Niederländer Cannabis, die Italiener Grappa und Zigaretten und die Franzosen Rotwein und Kondome. Es ist Ausdruck der Mentalität: Lockerheit, Dolce Vita und Savoir Vivre eben - auch in der Krise. Und die deutsche Einstellung? Sanft und sicher. Und das ist auch der Name einer Toilettenpapiermarke. Leider kein Witz.