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Das Dorf der Schleuser wartet auf Kunden

Nemanja Rujević8. Februar 2016

Die Schlepper auf der Balkanroute feiern ihr Comeback. Wie das Netzwerk aus Schmugglern, Helfern und korrumpierten Polizisten funktioniert, wird im mazedonischen Lojane deutlich. DW-Reporter Nemanja Rujević war dort.

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Lojane (Foto: DW)
Bild: DW/N. Rujević

Kein Schild mit einem Ortsnamen, das das Dorf Lojane ankündigen würde. Dass man angekommen ist, erkennt man unmissverständlich daran, dass an fast jeder Straßenlaterne eine albanische Flagge weht. Die schwarzen Doppeladler - vom Sonnenschein ausgebleicht und vom Wind zerfranst - führen bis zum dem Ort, den die Einheimischen wohl "Zentrum" nennen würden. Es ist die Kreuzung der beiden einzigen asphaltierten Straßen, in denen es ein Geschäft und zwei verqualmte Teehäuser gibt. Über alldem ragt das elfenbeinweiße Minarett der örtlichen Moschee in die Höhe. Es ist ruhig hier. Die Stille wird nur von einem Hahn gestört, der gerade vor Hennen seine Männlichkeit unter Beweis stellen möchte.

"Hier gibt es sowieso nichts zu tun", beklagt sich ein kräftig gebauter Typ, der sich mit seinen Freunden vor dem Teehaus langweilt. Und gerade deswegen, meint er, weil hier nichts zu tun ist, sei sein Dorf europaweit bekannt geworden - als "Dorf der Schlepper" direkt an der mazedonisch-serbischen Grenze. Hier werden illegale Migranten hinkutschiert, um zu übernachten und dann weiter gen Westeuropa geschleust zu werden. Ein Schlafplatz soll zehn Euro pro Nacht kosten, eine Nacht im Stall ist schon für einen Fünfer zu haben. "Schau mal, es ist nicht so, wie die Medien schreiben. Gerade haben wir hier bloß ein paar Marokkaner. Und das war es dann auch schon", sagt der Kräftige. "Übernachtungen bieten nur diejenigen an, die sonst nichts zu fressen hätten. Die Ernte war miserabel wegen der Dürre."

"Hallo, wie geht's?"

Dass die Gegend bettelarm und vom mazedonischen Staat vernachlässig wird, ist gut zu erkennen an den schlichten Häusern und den matschigen Straßen, die fast nur mit dem Traktor zu befahren sind. Hier leben ausschließlich Albaner, genau wie auf der anderen Seite der Grenze, in den nahegelegenen serbischen Dörfern. Es sind zwar auch einige dicke BMW und Audi zu sehen und hier und da große und kitschige Häuser auf den Hügeln. Die aber sind nicht hier erwirtschaftet, sondern in der Schweiz, Österreich oder Deutschland. Die Gastarbeiter investieren hier - wie auf dem ganzen Balkan üblich - gerne in mehrere Stockwerke, bunte Fassaden und Gipslöwen. Etwa 40 Prozent der dreitausend Einwohner von Lojane arbeiten im Ausland.

"Auch mein Bruder ist in der Schweiz", sagt der Präsident der Dorfgemeinschaft, Selami Memeti. Wohl deswegen antwortet er auf Handyanrufe auf Deutsch: "Hallo, wie geht's?" Damit aber ist sein Vokabular auch schon erschöpft und Memeti wechselt zurück ins Albanische. "Ich schwöre es dir, wir auf dem Balkan sind viel klüger als die im Westen. Aber die sind besser organisiert und mögen Arbeit. Wir mögen Machenschaften." Und "die da" in der Hauptstadt Skopje klauten viel vom Volk, deswegen seien auch seine Nachbarn hier im Norden so besitzlos. Dutzende saßen oder sitzen im Gefängnis, weil sie Migranten bewirtet oder über die grüne Grenze geführt haben. "Ich verstehe, dass sowas strafbar sein sollte. Aber hier werden einfache Menschen verhaftet und die organisierte Kriminalität geht weiter", sagt Memeti.

Selami Memeti (Foto: DW)
Selami Memeti - der "Dorfchef"Bild: DW/N. Rujević

Die großen Bosse seien keine Albaner, sondern kämen aus denselben Ländern wie die Flüchtlinge und Migranten. Eine Beobachtung Memetis, die auch Helfer und Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze bestätigen. Von einer Achse von Thessaloniki bis Skandinavien ist die Rede. Seit zehn Jahren schon ist der Migrationsstrom auch hier in Lojane zu beobachten. Los ging es, als sich die ersten Afghanen auf den Weg gemacht haben. Einen Höhepunkt hat das Dorf vor einigen Monaten erlebt, als Serbien die Grenze offiziell noch kontrollierte und die Balkanroute noch kein ausgetretener Pfad war. "Wir hatten über eintausend Migranten hier", sagt Memeti. Sie seien frei durch das Dorf gelaufen und in Cafés herumgesessen. "Die Einheimischen hatten nie Probleme mit denen. Aber gegenseitig bekämpfen sich die Ankömmlinge ständig, meistens mit Schleusern, die sie betrügen. Dann greifen sie sogar zum Messer, es gibt Schwerverletzte."

Route der "fragilen Demokratie“

Die mazedonischen Behörden präsentieren sich machtlos - zumeist lassen sie die Schleuser in Ruhe, genau wie die Illegalen, sobald sie es ins Landinnere geschafft haben. "Sie sind wie Geister, wie unsichtbare Menschen. Die Behörden wissen zwar, dass sie existieren, möchten dies aber nicht öffentlich zugeben", schrieb jüngst das auflagenstarke Blatt Večer.

Ein hochrangiger Regierungsinsider berichtet, dass auch führende Politiker und die Chefebene der Polizei ihren Anteil am Schleppergeschäft haben. "Razzien in Dörfern wie Lojane sind sehr selten und passieren meistens nach einem Bericht in westlichen Medien. Denn wegen der EU tut Mazedonien so, als würde es die Schleuserbanden ernsthaft bekämpfen", sagt der Fachmann, der anonym bleiben möchte, gegenüber der DW. Es sei bekannt, dass die einheimischen Helfer der Schlepper ihre Honorare per Geldtransfer bekommen, aber keiner tue was dagegen. Das gleiche passiere in Griechenland oder Serbien - die Schleuserroute sei überhaupt nur durch diese "Länder der fragilen Demokratie" möglich.

Das schmutzige Business erlebt gerade seine Renaissance: Seit November werden in Mazedonien und den nachfolgenden Ländern der Route nur noch Syrer, Iraker und Afghanen durchgelassen, alle anderen gelten als Wirtschaftsflüchtlinge. Somit bleiben etwa Reisenden aus den Maghreb-Staaten oder Pakistan nur zwei Optionen, um nach Westeuropa zu gelangen: sich schon in Athen gefälschte Reisepapiere zu besorgen - oder die grüne Grenze zu überqueren, mit oder ohne Hilfe von Schleusern. Wie Helfer vor Ort bezeugen, werben die Schmuggler ihre Kunden in Flüchtlingscamps an oder an den griechischen Tankstellen, wo die Flüchtlinge stranden. Für das Geschäft der Kriminellen sind auch die Legenden nützlich, die sich schon in Griechenland verbreiten: dass mazedonische Polizisten brutal sind und sogar auf diejenigen schießen, die sich aus Griechenland durch Wälder und Felder ins Land schleichen.

Hotel Hara (Foto: DW)
Treffpunkt für FlüchtlingeBild: DW/N. Rujević

"Die Polizisten sind eigentlich okay. Wenn sie uns bemerken, sagen sie nur: Stop police, no problem. Und schmeißen uns dann raus", berichtet hingegen ein junger Algerier. Er ist mit einer größeren Gruppe seiner Landesleute unterwegs und liegt gerade auf der Restaurantterrasse des Hotels "Hara". Die Dienste des griechischen Motels, nur wenige hundert Meter von der mazedonischen Grenze entfernt, haben sich unter Nordafrikanern herumgesprochen. Hier kann man billig schlafen und immer wieder seinen Glück mit der Unaufmerksamkeit der mazedonischen Grenzpolizisten versuchen. "Uns haben sie schon drei Mal erwischt", sagt der Algerier, der seinen Namen nicht nennen will. Etliche Angebote von Schleusern habe er schon bekommen. Für 800 Euro versprechen sie freie Fahrt durch Mazedonien. Noch ein paar Mal will der junge Mann es auf eigenen Faust versuchen - dann will er sich vielleicht einen Schleuser leisten.

Angst um die Mädchen

Der schrille Gesang des Muezzins ruft zum Mittagsgebet in Lojane. In dem kleinen Teehaus aber bewegt sich niemand - Religion wird hier nicht so ernst genommen. Der Gemeindechef Selami Memeti zündet sich eine weitere Zigarette an und wirft die leere Schachtel auf dem Tisch. Ein Kettenraucher, das zeigt der gelb gewordene Schnurrbart. "Die Migranten bleiben hier einen Tag, eine Woche oder sogar länger - aber am Ende schafft es jeder, durchzukommen. Die Polizisten nehmen gerne Schmiergeld. Das ist bei uns und auch in Serbien ganz normal."

Memeti hat auch von dem von Ungarn geschenkten Stacheldraht gehört, den mazedonische Ordnungshütter fleißig an der Grenze zu Griechenland hochziehen. Die "kritischen Bereiche" zuerst, wie es offiziell heißt. Der Dorfchef aber fürchtet, dass sich das Land auf einen Wink aus Brüssel hin auch komplett abriegeln und alle Flüchtlinge stoppen könnte. Im diesen Fall wären die illegalen Ströme umso stärker. "Dann wird es hier bei uns voll sein." Die Bewohner von Lojane müssten also noch mehr Matratzen besorgen. Dieses mögliche Beschäftigungsprogramm aber freut Memeti ganz und gar nicht. „Gott weiß, wie lange diese Menschen nicht gebadet haben und ob sie irgendwelche Krankheiten mitbringen. Außerdem haben wir Angst um unsere Mädchen.“ Von der Silvesternacht in Köln habe er selbstverständlich gelesen.