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Das Ende der langen Mission

Sven Pöhle28. Dezember 2014

Mit dem Jahreswechsel endet der ISAF-Einsatz in Afghanistan. Am Sonntag wurde in Kabul bereits die Flagge der internationalen Truppe eingeholt. Die Bilanz der längsten NATO-Mission fällt zwiespältig aus.

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US-Generalleutnant Joseph Anderson (Mitte) übergibt die Flagge des
Bild: picture-alliance/AP/Massoud Hossaini

Nach rund 13 Jahren endet mit dem Jahreswechsel der Einsatz der "Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe", oder wie sie auf englisch heißt, der "International Security Assistance Force", kurz ISAF in Afghanistan. Seit mehreren Monaten räumen die internationalen Truppensteller ihre Camps im ganzen Land. Das Gros der Soldaten und der Ausrüstung sind inzwischen wieder in den jeweiligen Heimatländern angelangt.

Begonnen hatte alles mit 9/11: Wenige Wochen nach den Terroranschlägen am 11. Sptember in den USA schickte die US-Regierung Truppen nach Afghanistan. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes, das eng mit dem Drahtzieher der Anschläge, Osama Bin Laden, zusammengearbeitet hatte, begann im Dezember 2001 der ISAF-Einsatz in Kabul. Später wurde das Einsatzgebiet unter Führung der NATO auf ganz Afghanistan ausgeweitet. Zu Hochzeiten waren mehr als 130.000 Soldaten aus rund 50 Nationen am Hindukusch stationiert. Am Ende des längsten und zugleich verlustreichsten Einsatz in der Geschichte der NATO steht die Frage nach Erfolg oder Scheitern des internationalen Engagements.

Britische Truppen holen im Camp Leatherneck in der Provinz Helmland den Union Jack ein (Foto: EPA/SERGEANT OBI IGBO, RLC / MOD / HANDOUT MANDATORY CREDIT: CROWN)
Britische Truppen übergeben die Sicherheitsverantwortung in der Provinz Helmland an die afghanischen TruppenBild: picture-alliance/dpa/MOD/Sergeant Obi Igbo

2001: hohe Erwartungen. 2014: vorsichtiger Optimismus

Der Einsatz stand unter einem Mandat der Vereinten Nationenn und hatte ambitionierte Ziele: Für Stabilität sorgen, den Wiederaufbau Afghanistans unterstützen und das Land Schritt für Schritt demokratisieren. Zudem sollten die Soldaten verhindern, dass das Land wieder zum Rückzugsraum internationaler Terroristen wird.

"Wir haben erreicht, was wir wollten", attestierte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Kampftruppen kurz vor dem Abzug. Es gebe zwar weiterhin Herausforderungen, aber "unsere Nationen sind sicherer und Afghanistan ist stärker", so der Norweger.

Von einem Sieg spricht auf Seiten des Verteidigungsbündnisses aber längst niemand mehr. Doch es gibt Anlass für vorsichtigen Optimismus: Die Anführer und die Ausbildungscamps von Al-Kaida sind aus Afghanistan verschwunden. Der führende Kopf des Terrornetzwerkes, Osama Bin Laden, wurde im Mai 2011 von US-Spezialeinheiten in Pakistan erschossen. Als Erfolg darf auch die Präsidentschaftswahl gelten - erstmals seit dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 gelang ein demokratischer Machtwechsel. Ebenso können Fortschritte beim Aufbau eines afghanischen Staatswesens, im Bereich der Infrastruktur, im Bildungssystem, im Gesundheitswesen und in der Wirtschaft verbucht werden .

Spezial Einheiten der afghanischen Armee stehen während einer Zeremonie in der nähe von Kabul in Formation (Foto:Musadeq Sadeq/AP/dapd)
Können afghanische Armee und Polizei ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleisten?Bild: dapd

Die angestrebte Personalstärke der afghanischen Sicherheitskräfte von insgesamt 350.000 Polizisten und Soldaten wurde inzwischen erreicht. Schrittweise haben sie die Sicherheitsverantwortung von den ausländischen Truppen übernommen. Taliban und andere Aufständische erlitten insbesondere nach der Anhebung der Truppenstärke durch die USA seit 2009 erhebliche Verluste.

Entscheidend militärisch geschlagen wurden sie aber nicht. "Das Land ist nicht sicher", hatte der ehemalige afghanische Präsident Hamid Karzai bereits im Oktober 2013 festgestellt. Auch kurz vor dem Abzug des Hauptteils der internationalen Streitkräfte erschüttern Meldungen über Anschläge und Angriffe auf Soldaten und Polizisten fast täglich das Land.

"Der Krieg ist noch nicht beendet"

"Der ISAF-Einsatz hat das Hauptproblem in Afghanistan nicht gelöst", zieht Thomas Ruttig, Co-Direktor des "Afghan Analyst Network" mit Sitz in Kabul und Berlin eine entsprechend düstere Bilanz. "Der Krieg ist noch nicht beendet. Die Zerschlagung der Taliban ist fehlgeschlagen, die Aufstände haben sich auf das gesamte Land ausgedehnt und das Niveau der Gewaltanwendung in Afghanistan hat seit 2010 ein Niveau erreicht, das höher ist, als in all den Jahren zuvor."

Afghanische Polizisten stehen nach einem Selbstmordattentat in Kabul am 13.12.2014 am Tatort (Foto: REUTERS/Omar Sobhani)
Selbstmordanschläge - wie hier in Kabul - erschüttern das Land regelmäßigBild: REUTERS/Omar Sobhani

Mehr als 3400 Soldaten der internationalen Koalition kamen während des internationalen Einsatzes ums Leben, darunter 55 Deutsche. Die Zahl getöteter afghanischer Sicherheitskräfte ist seit deren Übernahme der Sicherheitsverantwortung kontinuierlich gestiegen. Alleine in diesem Jahr wurden bis Mitte November rund 6000 afghanische Polizisten und Soldaten getötet.

Hinzu kommen hohe Opferzahlen innerhalb der afghanischen Zivilbevölkerung: Zehntausende Männer, Frauen und Kinder wurden in den vergangenen Jahren bei Kämpfen und Anschlägen zwischen Soldaten und Aufständischen getötet oder verletzt. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es allein im Jahr 2014 mehr als 10.000 zivile Opfer gibt. Bis zum 30. November wurden 3188 Zivilisten getötet und 6429 verwundet. Für drei Viertel der Opfer sind Taliban oder andere Aufständische verantwortlich.

Mitschuld an der hohen Zahl ziviler Opfer ist für Ruttig auch die vom Westen angewandte Strategie der regionalen Aufbauteams, sogenannter Provincial Reconstruction Teams (PRT). Militärische Wiederaufbauhelfer der westlichen Verbündeten sollten auch in den Provinzen internationale Präsenz zeigen und die Lokalverwaltungen unterstützen - beispielsweise Brunnen- und Straßen bauen und zugleich für ihren eigenen Schutz sorgen. "Diese Vermischung von zivilen und militärischen Aufgaben ist auch einer der Gründe dafür, warum ISAF gescheitert ist", sagt Ruttig. "Die Taliban haben aufgrund der verringerten Unterscheidung zwischen beiden immer wieder eine Ausrede gefunden, auch zivile Akteure anzugreifen."

Zukunft? Unklar

Was bleibt, nachdem die Mehrheit der internationalen Truppen das Land verlassen hat? Afghanistan rangiert im jährlichen Failed-State-Index der US-Denkfabrik "Fund for Peace" (FFP) weltweit auf Rang 7. Laut Transparency International gehört das Land zu den korruptesten Staaten der Welt. Afghanistan ist zudem der weltgrößte Opium-Produzent. Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND warnte zuletzt vor dramatischen Folgen der Drogenproduktion für die Sicherheit und Wirtschaft in Afghanistan. "Durch die generierten Gelder werden Patronage-Netzwerke und unterschiedliche bewaffnete Gruppierungen, hier insbesondere die Taliban, finanziert, sowie die Korruption im Land massiv gestärkt", heißt es in einer BND-Analyse.

Ob die Taliban nach dem Ende des ISAF-Einsatzes wieder ganze Regionen unter ihre Kontrolle bringen können, bleibt abzuwarten. Angesichts der fragilen Sicherheitslage und der massiven Korruption gibt es Befürchtungen hinsichtlich der Stabilität des Landes. Sorge besteht bei vielen Militärs und Politikern auch beim Seitenblick auf den Irak, der nach dem Abzug der USA ins Chaos zurückfiel und dessen Armee den Milizen der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) bei deren Vormarsch nur wenig entgegensetzen konnte.

Auf ISAF folgt "Resolute Support

Mit der ISAF-Folgemission namens "Resolute Support" (Entschlossene Unterstützung) hoffen die internationalen Truppensteller auf eine Konsolidierung der Fortschritte. 12.000 ausländische Soldaten sollen im Rahmen der Beratungs- und Ausbildungsmission afghanische Sicherheitskräfte ausbilden, unter ihnen bis zu 850 Deutsche und rund 9000 Amerikaner. Wenn man in die zweite Reihe zurücktrete, heißt es aus NATO-Kreisen, entfalle auch die Rechtfertigung der Taliban, Zivilisten zu attackieren.

Er sei für die nähere Zukunft weder optimistisch noch pessimistisch, erklärte der US-Generalleutnant Joseph Anderson der US-Zeitung "New York Times". "Fakt ist, dass wir künftig an weniger Orten mit weniger Personal präsent sind. Und das ist offenkundig besorgniserregend."