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Das Fenster zur Freiheit steht offen

14. Februar 2011

Der Sturz der autoritären Herrscher in Ägypten und Tunesien ermutigt viele Menschen in arabischen Ländern. Wie geht es weiter? Europas friedliche Entwicklung nach 1989 könnte ein Vorbild sein, meint Mohamed Ibrahim.

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Bild: DW
Mohamed Ibrahim, Arabische Redaktion der Deutschen Welle
Mohamed Ibrahim, Arabische Redaktion der Deutschen Welle

"Wir sind das Volk", riefen die Menschen im Osten Deutschlands vor mehr als 20 Jahren bei ihren Montagsdemonstrationen. Ich habe den Fall der Berliner Mauer damals hautnah miterleben dürfen und muss heute immer wieder daran zurückdenken. Die Bilder aus Kairo und zuvor schon aus Tunis ähneln den historischen Szenen aus Leipzig und Berlin: Die Herrscher sind abgetreten, die Menschen liegen sich glücklich in den Armen, das Volk hat gesiegt. Und Millionen arabischer Bürger von Mauretanien bis Bahrain sind fasziniert und elektrisiert vom Fenster zur Freiheit, das dadurch geöffnet wird: Sie alle leiden mehr oder weniger unter Unfreiheit und Tyrannei. Auch sie sind "das Volk".

Tunesiens Herrscher Zine el-Abidine Ben Ali stürzte am 14. Januar, der ägyptische "Pharao" Hosni Mubarak am 11. Februar 2011. Ich bin voller Hoffnung und zuversichtlich, dass diese beiden Daten auf ähnliche Weise Weltgeschichte schreiben werden wie der 9. November 1989 als Tag des Berliner Mauerfalls und Meilenstein für den Fall der kommunistischen Regime in Osteuropa. "Die Ägypter haben uns mit ihrem friedlichen Protest inspiriert", sagt Barack Obama, "sie haben ihr Land verändert und damit die Welt". So sehr der US-Präsident aus anderen Gründen an Popularität in der arabischen Welt eingebüßt hat: Mit diesen Worten hat er mir aus dem Herzen gesprochen.

Bemerkenswerter Mut

Erst Tunesien, dann Ägypten. Und morgen? Algerien hat schon wütende Proteste erlebt, ebenso der Jemen, Jordanien und sogar der Sudan. Andere Länder könnten bald folgen. Der Funke springt über, millionenfach multipliziert durch die modernen Kommunikationswege des Internets und der großen Satelliten-Kanäle. Die erfolgreichen Volkserhebungen in Tunesien und nun auch im symbolisch bedeutsamen Ägypten entfesseln einen lange ungeahnten Freiheitsdrang. Vieles deutet nun auf eine verkettete Entwicklung hin, auf einen möglichen "Domino-Effekt": Wut und Zorn mischen sich mit politischen Frühlingsgefühlen und bemerkenswertem Mut. "Wenn das Volk leben will, dann ist das Schicksal machtlos", lautete ein Motto der tunesischen Revolution. Gewalt, Unterdrückung, Zensur: Nichts konnte die Menschen mehr aufhalten. Dies kann nun überall geschehen und niemand sollte davor Angst haben.

Risiken gibt es natürlich. Durch den Wegfall entsprechender Kontrollen kann es in der Übergangszeit zu neuen Flüchtlingswellen kommen, wie jetzt auf Lampedusa. Hier kann nur wirtschaftlicher Aufschwung helfen, mit möglichst kräftiger Unterstützung durch Europa. Langfristig stellt sich die Frage: Was wird aus der Stabilität und Sicherheitsarchitektur in der Region? Welche Kräfte werden sich dauerhaft durchsetzen? Die Sorge darüber ist verständlich. Aber es wäre kontraproduktiv und das falsche Signal, sie jetzt in den Vordergrund zu stellen. Zum einen waren Stabilität und Sicherheit in der Region schon immer äußerst fragil – gerade auch die sogenannten "pro-westlichen" Autokraten hatten und haben daran durchaus ihren Anteil. Zum anderen streiten die Menschen sehr transparent für Freiheit und Pluralismus, für Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Sie haben sich nicht nach religiösen oder anderen Trennlinien gegeneinander ausspielen lassen. Dafür gebührt ihnen Bewunderung und Respekt. Auch islamistische oder andere Ideologien haben bisher zum Glück nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Europa als Vorbild?

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie kann Schule machen. Und trotz aller Unterschiede hoffe ich, dass in der arabischen Welt der Fall der Berliner Mauer und der Zusammenbruch der Ostblock-Regime nun Schule machen werden. Ich hoffe auf einen revolutionären Wandel ohne Blutvergießen. Ja, ich träume von einer neuen arabischen Welt mit Mehrparteiensystemen und demokratisch gewählten Regierungen, mit einer unabhängigen Justiz, mit Meinungsfreiheit und einer starken und lebendigen Zivilgesellschaft. Und ich weiß, dass sehr viele Menschen davon träumen: In allen arabischen Ländern sehnen sich die Bürger nach Freiheit und Gerechtigkeit. Sie wünschen sich keine direkte Einmischung von außen. Aber sie wünschen sich Beistand und Ermutigung.

Autor: Mohamed Ibrahim
Redaktion: Rainer Sollich / Marco Müller