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Das Gefühl, eingesperrt zu sein

Tania Krämer, Gaza-Stadt3. März 2015

Ein halbes Jahr ist seit dem Ende des letzten Gaza-Krieges vergangen. Der Wiederaufbau kommt nicht voran, die Grenzen sind meistens geschlossen, Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Von Tania Krämer, Gaza.

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Zerstörungen in Beit Hanun - Foto: Tania Kraemer (DW)
Bild: DW/T. Kraemer

Die Koffer sind gepackt. Mohammed Sulaiman will eigentlich nur noch eines: Endlich raus aus Gaza. Der 25-Jährige hat im vergangenen Jahr ein Doktoranden-Stipendium an einer Universität in Australien bekommen. Die Reise dorthin war bislang nach wenigen Kilometern zu Ende. Denn Mohammed Sulaiman kann den Gazastreifen nicht verlassen. "Ich fühle mich wie in einer Falle. Ich habe alles versucht, mit Beziehungen, mit allem Möglichen. Das letzte Mal, als der Grenzübergang Rafah für drei Tage geöffnet war, bin ich dorthin gefahren, jeden Tag mit meiner schwangeren Frau. Aber es hat alles nicht gebracht", erzählt Mohammed in einem Café in Gaza-Stadt.

Der junge Mann ist nicht alleine mit dem Gefühl, in dem palästinensischen Gebiet am Mittelmeer eingesperrt zu sein. Seit Jahren bereits können die Menschen von dort nicht mehr selbst darüber bestimmen, wenn sie den Gazastreifen verlassen wollen. Ähnlich schwierig ist für sie auch die Rückkehr. Doch seit dem 50-tägigen Krieg zwischen der radikal-islamischen Palästinenserorganisation Hamas und Israel im vergangenen Sommer habe sich das Gefühl, eingesperrt zu sein, nochmals verstärkt, sagt Mohammed Sulaiman.

Davor gab es weniger Beschränkungen. So konnte Sulaiman 2012 für ein Jahr nach London gehen, um dort Englisch zu studieren und war danach wieder nach Gaza zurückgekehrt. "Ich habe früher immer gedacht, ich könne hier etwas verändern, etwas für Gaza tun. Aber ich habe alle Hoffnung verloren." Wenn er erneut rauskommen sollte, sei seine Zeit in Gaza endgültig vorbei.

Geschlossener Grenzübergang mit Ägypten

Seit Ende des Krieges zwischen der Hamas und Israel öffnen die ägyptischen Behörden den Grenzübergang in Rafah nur noch sporadisch. Durch dieses Nadelöhr im Süden müssen die meisten Bürger des Gazastreifens, wenn sie aus- oder einreisen wollen. In diesem Jahr war er nur an drei Tagen geöffnet.

Grenzübergang Rafah - Foto: Mohammed Saber (EPA)
Grenzübergang Rafah: Nur sporadisch geöffnettes NadelöhrBild: picture-alliance/dpa/M. Saber

Wer ausreisen will, muss sich vorher bei den örtlichen Behörden im Gazastreifen registrieren. Rund 10.000 Menschen stünden auf der Warteliste, sagt Maher Abu Sabha, Leiter des Rafah-Grenzübergangs, in seinem Büro in Gaza-Stadt. In seiner Behörde stehen sonst oft hunderte Menschen an, um einen Platz auf der begehrten Liste zu bekommen. Derzeit aber herrscht hier absolute Ruhe, denn das Büro ist geschlossen. "Im Moment kann man sich nicht mehr registrieren. Wir wissen ja noch nicht einmal, wann der Grenzübergang das nächste Mal wieder öffnet", sagt der Beamte.

Der Übergang hat keine regulären Öffnungszeiten. Für Studenten wie Mohammed Sulaiman bedeutet dies, dass er nur noch auf die israelischen Behörden hoffen kann, ihn über den Grenzübergang Erez ausreisen zu lassen. Doch dort dürfen seit vielen Jahren nur noch palästinensische Patienten, Geschäftsleute, Mitarbeiter internationaler Organisationen und Journalisten passieren. Die meisten der 1,8 Millionen Menschen in Gaza wissen nur aus dem Fernsehen, wie es hundert Meter hinter dem Grenzzaun auf israelischem Gebiet aussieht.

Angst vor neuer Gewalt wächst

"Seit dem Krieg verschlechtert sich die Lage hier von Tag zu Tag", sagt auch Usama Antar, Politikwissenschaftler an der Al-Azhar-Universität in Gaza-Stadt. "Wirtschaftlich und sozial sind wir total am Ende. Man sagt das natürlich schon seit Jahren, aber was wir derzeit erleben übertrifft alles."

Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran. In zerstörten Gegenden wie in Beit Hanun oder Shejaia leben Tausende in Wellblech-Containern und Zelten zwischen den Trümmern. Andere harren in ihren ausgebombten Häusern aus. Rund 10.000 Menschen haben ihr Zuhause wohl für lange Zeit in UN-Schulen, in die sie vor den Angriffen des israelischen Militärs geflüchtet waren. "Sechs Monate nach dem Krieg begreifen die Menschen erst, dass die Situation schlechter ist als vor dem Krieg", sagt Antar. Wegen des Stillstands und der Ungewissheit wachse auch die Angst vor einer neuen Krise und vor neuer Gewalt.

Usama Antar, Politikwissenschaftler in Gaza-Stadt - Foto: privat
Politikwissenschaftler Antar: "Lage verschlechtert sich"Bild: privat

Denn Verhandlungen über eine langfristige Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel in Ägypten hat es nicht gegeben. Die ägyptische Regierung hatte zu Kriegsende als Vermittler agiert und fährt selbst einen harten Kurs gegenüber der Hamas, die de facto noch immer den Gazastreifen und seine 1,8 Millionen Einwohner kontrolliert. Die Hamas hatte zwar die Regierungsverantwortung vergangenes Jahr an eine "Interims-Regierung des nationalen Konsenses" übergeben und damit der palästinensischen Autonomiebehörde die Tür zurück nach Gaza geöffnet.

Doch der Streit um Zuständigkeiten zwischen der gemäßigten Palästinenserorganisation Fatah und der Hamas hat nie aufgehört. Seit dem Krieg hat der palästinensische Premierminister Rami Hamdallah den Gazastreifen nur einmal besucht. Der militärische Arm der Hamas wiederum testet offen Raketen über dem Mittelmeer und bereitet sich offensichtlich auf den nächsten bewaffneten Konflikt mit Israel vor.

Schleppender Wiederaufbau

Dass der Wiederaufbau nur so schleppend vorangeht, liegt nach Meinung von Beobachtern auch an der politischen Situation. Die internationale Gemeinschaft hatte auf einer Geberkonferenz in Kairo im Oktober 5,4 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau versprochen. Doch davon sei bislang nur ein Bruchteil angekommen, sagen die Vereinten Nationen. Deren Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) musste Ende Januar wegen Geldmangels sogar seine finanziellen Direkt-Hilfen an Flüchtlingsfamilien für die Reparatur ihrer Häuser einstellen.

Ein zwischen Israel, der palästinensischen Autonomiebehörde und den UN vereinbarter Mechanismus regelt die Ausgabe von Baumaterialien an Privatleute. Israel kontrolliert die Einfuhr an Aggregaten, Stahl und Zement strikt um zu verhindern, dass diese Güter zu militärischen Zwecken in Gaza verwendet werden. Es ist kein Geheimnis, dass einiges davon trotzdem auf dem Schwarzmarkt landet. De facto, sagen Hilfsorganisationen, komme aber viel zu wenig Material nach Gaza - bliebe das so, könne der Wiederaufbau noch Jahrzehnte dauern.

Zunehmende Hilflosigkeit angesichts der Situation

"Die Menschen hier fühlen sich hilflos und zugleich machtlos", unterstreicht Psychologe Hassan Zeyada von der Klinik für psychologische Krankheiten der Gemeinde Gaza. "Sie versuchen, eine Lösung für ihre Probleme zu finden, aber alles, was sie sehen, ist, dass die Situation immer schlechter statt besser wird." Zeyada arbeitet seit vielen Jahren mit von Krieg und Gewalt traumatisierten Menschen.

Safa Hamdan - Foto: Tania Kraemer (DW)
Kriegsopfer Hamdan: "Wir können nur hoffen, dass es irgendwann anders wird"Bild: DW/T. Kraemer

Im letzten Gazakrieg gehörte er selbst zu den Opfern: Bei einem israelischen Luftangriff auf sein Familienhaus im Flüchtlingslager Buredsch kamen sechs enge Familienangehörige ums Leben, darunter seine Mutter und drei seiner Brüder. "Die Menschen hier suchen regelrecht danach, sich so etwas wie Hoffnung zu bewahren", sagt Zeyada. Aber ohne Aussicht auf eine grundlegende politische Veränderung sei es fast unmöglich, den Krieg zu verarbeiten.

Auch Safa Hamdan versucht, den Schrecken des vergangenen Sommers irgendwie hinter sich zu bringen. Zumindest ab und an hat die junge Frau aus Beit Hanoun wieder ein Lächeln auf den Lippen. Vor einer Woche hat sie eine Prothese für ihren amputierten linken Unterschenkel erhalten. Unter ihrem langen Mantel sind nun wieder zwei Schuhe zu sehen - als ob sie zwei gesunde Beine hätte.

Noch fällt ihr das Laufen schwer, am Beinstumpf haben sich wunde Stellen gebildet. "Ich bin froh, dass ich mich jetzt wieder etwas bewegen kann", sagt die 29-Jährige tapfer. Das sei besser als nichts. Ihr Mann Munther nickt ihr aufmunternd zu. Beide sind heute zur Physiotherapie in eine kleine Klinik in Beit Hanoun gekommen. Die liegt nur wenige Meter von der UN-Schule entfernt, wohin die Familie während des Krieges geflohen war, um Schutz zu suchen. Am 24. Juli 2014 starben dort während eines Bombardements 13 Menschen.

Es fällt Safa Hamdan bis heute schwer, ein Gefühl der Sicherheit zu haben. Ihre Kinder wollten anfangs gar nicht mehr in die Schule gehen und haben oft Angst, wenn sie Jets der israelischen Luftwaffe hören, die über Gaza Patrouille fliegen. Für die ältesten von Hamdans Kindern war es bereits der dritte Krieg in sechs Jahren. "Wir können nur hoffen, dass es irgendwann anders wird", sagt ihre Mutter." Was sollen wir sonst tun?"