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Hotel im Herzen der Revolution

Roman Goncharenko9. März 2014

Ein Pressezentrum, ein Krankenhaus, eine Leichenhalle: Das Hotel Ukraine in Kiew erlebte während der Proteste dramatische Zeiten. Menschen, die dort arbeiten, erinnern sich nur unter Tränen daran.

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Lobby des Hotel Ukraine als OP-Saal (Foto: AP)
Zu Zeiten der Proteste auf dem Maidan wurde die Lobby des Hotel Ukraine zu einem OP-SaalBild: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Nadija Kuzewol sitzt in ihrem Büro und kämpft mit den Tränen. Ihre Stimme bebt. "Am schwersten war es, als die ersten Opfer eingeliefert wurden", sagt die Frau und schluchzt. "Man hat sie hier reihenweise auf den Boden gelegt und mit weißen Tüchern bedeckt". Ihre Kollegin Natalia erzählt, sie habe einem Verletzten Wasser gegeben, dann sei er plötzlich blass geworden und gestorben. Auch sie muss sich zusammenreißen, um nicht zu weinen.

Zwei Wochen ist es her, doch die Szene haben die beiden Frauen noch immer ganz genau vor Augen. Sie spielte sich direkt an der Rezeption im Hotel Ukraine ab. Am 20. Februar 2014 wurde die Hotellobby zu einem Krankhaus und in eine Leichenhalle umfunktioniert. Es war der Morgen, an dem Dutzende oppositionelle Demonstranten innerhalb weniger Stunden von Scharfschützen getötet wurden. Dieser blutigste Tag der oppositionellen Proteste führte später zu einem Machtwechsel in der Ukraine.

Zwei Mitarbeiterinnen des Hotel Ukraine in Kiew (Foto: DW)
Nadija Kuzewol (links) und ihrer Kollegin Natalia fällt die Erinnerung schwerBild: DW/R. Goncharenko

Aus "Moskau" wurde "Ukraine"

Die meisten starben auf der Instituska-Straße, direkt am Hotel. Insgesamt sind damals fast hundert Menschen getötet worden. Auch heute noch hat man auf dem Weg zum Hotel das Gefühl, über eine einzige Blutlache zu gehen. Obwohl man die Blutspuren auf den schwarzen Pflastersteinen kaum noch erkennen kann. Tausende Kiewer kommen täglich hierher, um zu trauern. An Stellen, wo Menschen starben, türmen sich Berge frischer Blumen: Nelken, Tulpen, Rosen. Die Straße wurde - zunächst inoffiziell - in "Straße der himmlischen Hundertschaft" (Ukrainisch: Wulyzja-Nebesnoji-Sotni) umbenannt.

Das Vier-Sterne-Hotel Ukraine wurde in den 1950er Jahren gebaut und hieß bis 2001 eigentlich Moskau. Umbenannt wurde es anlässlich des zehnten Jahrestags der Unabhängigkeit der Ukraine von der Sowjetunion. Das Hotel erinnert äußerlich an das Außenministerium in der russischen Hauptstadt und zählt ebenso zur sogenannten stalinschen Architektur. Es ist in staatlicher Hand und der Präsidialverwaltung unterstellt. Deshalb übernachten hier nicht nur Touristen, sondern auch Parlamentsabgeordnete, die keine Wohnung in Kiew haben.

Journalisten als Schutzengel

Seit Beginn der Proteste gegen den Präsidenten Viktor Janukowitsch stand das Hotel Ukraine im Fokus. Das 15-stöckige Gebäude befindet sich am Hang des Petscherski Hügels. Rund 200 Meter abwärts demonstrierten zehntausende Regierungsgegner auf dem Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan Nesaleschniosti. Oben im Regierungsviertel verschanzte sich der Präsident, geschützt von Sondereinheiten der Polizei.

Die zentrale Lage machte das Hotel auch zum beliebtesten Hotel für Journalisten. Ob von der Deutschen Welle, BBC oder CNN - viele Journalisten standen auf den Balkonen des Hotels und berichteten live über die Ereignisse auf dem Maidan. Von 360 Zimmern seien derzeit etwa zwei Drittel belegt, sagt Nadija Kuzewol, Leiterin der Rezeption. "Ein Großteil der Gäste sind Journalisten", sagt sie.

"Journalisten haben uns gerettet", meint ihre Kollegin Natalia. "Wir haben gedacht, solange hier internationale Medien sind, wird die Polizei das Hotel wohl nicht stürmen". Deshalb habe sie sich "relativ sicher" gefühlt.

Pressezentrum im Hotel Ukraine (Foto: DW)
Mittlerweile gibt es ein Pressezentrum im Hotel UkraineBild: DW/R. Goncharenko

Szenen wie in einem Kriegsfilm

Inzwischen wurde im Hotel ein Pressezentrum eingerichtet. Vorher haben politische Oppositionsführer und andere Aktivisten Pressekonferenzen im Haus der Gewerkschaften direkt am Maidan abgehalten. Doch das Gebäude wurde von der Polizei angezündet und brannte vollständig aus. Kuzewol und ihre Kollegin beobachteten den Brand mitten in der Nacht vom Hotel aus. "Angst hatten wir nicht", sagen die beiden. "Ich dachte, ich bin in einem Film über den Krieg", sagt Kuzewol. So etwas in Zeiten des Friedens sei doch unmöglich.

Es gab Gerüchte, Scharfschützen der Polizei hätten vom Hotel auf Demonstranten geschossen. "Nein, das stimmt nicht", sagt Roman, ein Mann in Militäruniform. Nadija Kuzewol pflichtet ihm bei. Roman stellt sich als Leiter einer Schutzeinheit vor, die im Auftrag der "Selbstverteidigung des Maidan" das Hotel "Ukraine" bewacht. Seine Leute sitzen am Eingang des Hotels und am Eingang zum Pressezentrum. "Wir haben damals das ganze Hotel durchsucht und keine Scharfschützen gefunden", sagt der junge Mann, der Mitglied der rechtspopulistischen Partei "Swoboda" ist.

Ob oppositionelle Scharfschützen von hier auf Polizisten schossen, ist unklar. Roman will darüber nicht sprechen. Fest steht, dass am 20. Februar, dem blutigsten Tag der Proteste, das Hotel von der Polizei beschossen wurde. "In rund 18 Zimmern und im Treppenhaus gibt es Einschusslöcher in Fensterscheiben", sagt Kuzewol. Verletzt wurde niemand. "Wir haben das Personal versammelt und gesagt, es sollen nur Freiwillige bleiben". Die meisten gingen nach Hause. Nadija Kuzewol blieb.

Nur einmal habe es im Hotel kein Frühstück gegeben - am 21. Februar, sagt die Frau ein wenig beschämt. "Wir haben uns aber immer bemüht, damit sich die Gäste trotz allem gut fühlen."