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"Das Maracana gehört uns"

Jan D. Walter/ Astrid Prange1. Juli 2013

Den Confed Cup hat Brasilien gewonnen und gemeistert. Doch sonst verlief fast alles anders als geplant. Die Massenproteste haben das Land verändert - eine Bilanz zwischen Bewunderung und Empörung.

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Brazilianische Fans im Maracana beim Freundschaftsspiel Brasilien gegen England am 2.6.2013. AFP PHOTO/Yasuyoshi CHIBA (Photo credit should read YASUYOSHI CHIBA/AFP/Getty Images)
Fußball WM 2014 Brasilien FansBild: Yasuyoshi Chiba/AFP/Getty Images

Massenproteste gegen teure Stadien, Verkehrschaos und gigantische Baustellen - Der Confed-Cup in Brasilien war ein Spiegel für die Widersprüche eines aufstrebenden Schwellenlandes. Doch nach dem furiosen 3:0-Sieg über Spanien im Maracana in Rio de Janeiro ist die Generalprobe für die Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr zumindest sportlich gelungen.

"Das Maracanã gehört uns" - der Wunsch der rund 5000 Demonstranten, die vor dem berühmten Fußballstadion protestierten, ging in Erfüllung. Allerdings anders, als sich dies die Demonstranten vorgestellt hatten, die für den Rückgang der Privatisierung des Fußballtempels kämpfen. Drinnen auf dem Rasen machte die brasilianische Nationalmannschaft, die "Selecao", ihrem Land alle Ehre. Nach den ersten beiden Toren sprangen die Spieler über die Bande und ließen sich von ihren begeisterten Fans feiern.

Brasilien: Confed-Cup und Massenproteste

Nicht nur Fußball und Samba

Fast alles verlief anders als geplant bei diesem denkwürdigen Confed-Cup in Brasilien. Demonstranten beschimpften den Weltfußballverband Fifa und buhten Staatschefin Dilma Rousseff aus. Die Wut über soziale Ungerechtigkeit und Korruption trieb Millionen auf die Straße und degradierte Fußball zeitweise zur Nebensache. Eine Welle politischer Reformbereitschaft erfasste den Riesen Lateinamerikas. Es schien, als wollten die rund 200 Millionen Einwohner das Klischee, wonach nur Samba und Fußball wichtig sind, endgültig abschütteln.

Demonstranten protestieren gegen Privatisierung des Maracana beim Spiel Spanien gegen Tahiti. Photo: Ronald Martinez/Getty Images.
"Das Maracana gehört uns!" - Massenproteste gegen die Privatisierung von Rios FußballtempelBild: Getty Images

"Unsere Athleten haben mit ihrer Fröhlichkeit, Kreativität und ihrem Mannschaftsgeist die Herzen aller Brasilianer erobert. Brasilien hat der Welt ein großes Spektakel geschenkt" - die Glückwünsche von Dilma Rousseff bringen die Sache in ihrer ungewollten Doppeldeutigkeit auf den Punkt. Die Staatschefin zog es allerdings vor, diese nicht persönlich im Stadion zu überbringen, sondern per Blog zu veröffentlichen.

Brasiliens Sportminister Aldo Rebelo zog gegenüber der Deutschen Welle eine positive Bilanz: "Im Durchschnitt waren 50 000 Zuschauer in den Stadien, und auch wenn der Transport zu den Spielstätten nicht überall perfekt gelaufen ist, lief er doch in geordneten Bahnen ab", erklärte er. Während der Partien habe es keinerlei Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fan-Gruppen gegeben.

Starstürmer Neymar schoss im Finale das dritte Tor gegen Spanien. Foto: EPA/MARCELO SAYAO +++(c) dpa - Bildfunk+++
Starstürmer Neymar schoss im Finale das zweite Tor gegen SpanienBild: picture-alliance/dpa

Der Optimismus kehrt zurück

Rousseff und Rebelo haben der "Selecao" viel zu verdanken. Dank ihres sportlichen Siegeszuges ist die Generalprobe für die WM bestanden und Optimismus macht sich trotz der großen Mängel in den Bereichen Verkehr und Infrastruktur breit. "Nach dem Finale wird es tiefgehende Auswertungen geben, um die Voraussetzungen in unserem Land weiter zu verbessern, um die beste Weltmeisterschaft aller Zeiten auszurichten", kündigte Rebelo an.

Auch Fußballexperte Oliver Seitz betont die positiven Aussichten. Der deutschstämmige Brasilianer promovierte bei der Football Industry Group im englischen Liverpool als Fußball-Manager und war Marketing-Chef beim brasilianischen Profiverein Coritiba FC. "Es hat eine ganze Reihe Probleme gegeben, aber besser jetzt als bei der Weltmeisterschaft", resümiert er am Tage des Halbfinals zwischen Spanien und Italien.

Die Mannschaft von Uruguay beschwerte sich über einen überfluteten Trainingsplatz, auch Italiens Squadra Azzurra konnte anfangs nicht wie geplant trainieren. "Ich habe von Zuschauern gehört, die vier oder fünf Stunden zum Stadion gebraucht haben. Befreundete Journalisten haben mir erzählt, dass das WLAN in der Presse-Lounge teilweise nicht richtig funktionierte", erzählt Seitz. Und dann sei da eben noch die Angewohnheit der Brasilianer, alles auf den letzten Drücker zu erledigen. All das, glaubt der Marketing-Experte aber, müsse nicht heißen, dass dies auch während der Weltmeisterschaft passiert: "Im Gegenteil: Ich glaube, dass man die Probleme nun erkannt hat und noch genug Zeit ist, sie zu beheben."

Brasilien als Bühne

Noch ein ganzes Stück gelassener sieht der Fußball-Journalist Martin Curi der WM 2014 entgegen. Der Deutsche wohnt seit zehn Jahren in Rio de Janeiro und verfolgt mit Verwunderung, wie die internationale Presse den geordneten Verlauf der WM anzweifelt: "Brasilien organisiert jedes Jahr perfekt den Karneval, hat Papst-Besuche, Mammut-Musikfestivals wie 'Rock in Rio' und hat ein Konzert der Rolling Stones vor mehr als einer Million Menschen ausgerichtet. Ich weiß gar nicht, warum man bei der WM so skeptisch ist."

Curi hat jahrelang den brasilianischen Fußball beobachtet. In seinem Buch "Brasilien - Land des Fußballs" spiegelt sich seine Liebe zu Land, Leuten und Leder wider. Beim Confederations Cup war er als Journalist in den Stadien unterwegs und sah seine Vermutung weitgehend bestätigt: "Alles ist gut gelaufen. Hier und da waren ein paar Wände noch nicht verputzt oder die Toiletten waren nicht fertig, und man hatte stattdessen Dixi-Klos aufgestellt. Aber das sind ja Kleinigkeiten."

Bauarbeiter arbeiten am Maracana-Stadion in Rio de Janeiro. Foto: DW/Joscha Weber
Alles auf den letzten Drücker: Bauarbeiter am Maracanã-Stadion in RioBild: DW/J. Weber

Die Stimmung kann kippen

Sicherheitsprobleme könnte es aber dennoch geben, sagen beide Experten. Allerdings vor den Stadien. Auch wenn die politischen Proteste nicht Teil des eigentlichen Turniers sind, haben sie gezeigt, dass die Taktik der Ordnungshüter nicht gerade auf Deeskalation ausgerichtet ist. Auch Curi hat Attacken auf friedliche Demonstranten miterlebt, als er sich vor dem Spiel Nigeria gegen Uruguay in Salvador einer Kundgebung anschloss: "Ohne erkennbaren Anlass flogen uns plötzlich Tränengasgranaten vor die Füße", berichtet er. Binnen Sekunden sei die friedliche Stimmung umgeschlagen und die Straße habe sich in ein Schlachtfeld verwandelt.

"Heiße Derbys kann es auch während der WM 2014 geben, wenn zum Beispiel Brasilien gegen Uruguay oder Argentinien spielt", prognostiziert Fußballexperte Oliver Seitz. Selbst wenn die politischen Proteste sich nicht wiederholten, könne es deshalb Probleme geben. In Rio de Janeiro scheint die Polizei von den Erfahrungen der vergangenen Wochen gelernt zu haben: Beim Confed-Finale lud die Militärpolizei die Staatsanwaltschaft und den nationalen Anwaltsverein ein, ihren Einsatz zu observieren.