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Grüne Revolution?

16. Juni 2011

Baden-Württemberg ist Autoland. Autos und Maschinen haben das Ländle groß gemacht. Die neue grün-rote Landesregierung will die Wirtschaft jetzt klimafreundlicher machen. Viele sind skeptisch, manche begeistert.

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Ein gelbes Porsche-Cabrio (Foto: dapd/Porsche)
Bild: AP

Winfried Kretschmann ist kein Freund luxuriöser Sportwagen. "Ich bin ja ein Grüner und habe kein so libidinöses Verhältnis zu solchen Fahrzeugen", wird der erste Ministerpräsident der Ökopartei in Deutschland nicht müde zu betonen. Das nüchterne Verhältnis zu emotionalen Luxuskarossen, es wollte selbst nach dem jüngsten Besuch beim Stuttgarter Sportwagen-Hersteller Porsche nicht weichen. "Ich mache Sport, indem ich laufe und nicht indem ich Auto fahre", witzelte der frühere Biologie- und Chemie-Lehrer, der jetzt Deutschlands Industrie-Musterland Baden-Württemberg führt.

Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident Baden-Württembergs (Foto: Richard Fuchs/DW)
Winfried Kretschmann: "Kein libidinöses Verhältnis"Bild: R. Fuchs/DW

Sein wirtschaftspolitischer Kurs lässt die erfolgsverwöhnte Automobil-, Fahrzeugbau und Zuliefererindustrie des Landes aufhorchen: Kretschmann fordert von den Unternehmen klimaschonende Mobilitätskonzepte, die Auto, Bahn und Fahrrad intelligent vernetzen. Ein neues Landesklimaschutzgesetz könnte für Autos im Land strengere Abgasgrenzwerte als im Rest von Europa bedeuten. Und Kretschmann wagte es wiederholt, die auf Absatzsteigerung getrimmten Daimlers, Porsches und Boschs daran zu erinnern, dass "weniger Autos natürlich besser seien als mehr". Der Umbau Baden-Württembergs zum Musterland für ökologisches Wirtschaften habe begonnen, lautet Kretschmanns Parole. Und er zählt dabei auf die Akteure, denen bei solchen Tönen derzeit vielfach noch mulmig ist. Die starke Maschinen-, Anlagen-, und Fahrzeugbauindustrie sei geradezu prädestiniert, um Effizienztechnologien zu entwickeln, sagt Kretschmann. Und dafür werde es Zeit. "Nur mit Autos, die ein ökologisches Design haben, kann man in Zukunft auch Käufer finden", schreibt der Grüne Daimler, Porsche und Audi mit ihren Werken im Land ins Stammbuch.

Wir brauchen die Grünen nicht

Uwe Hück, Porsche-Betriebsratsvorsitzender im Sportwagen Spyder (Foto: Porsche Betriebsrat) Zugeliefert
Uwe Hück: "Wir bauen auch so zukunftsweisende Motoren"Bild: Porsche Betriebsrat

Nach ersten Irritationen sieht man beim Sportwagenbauer Porsche den neuen Wirtschaftskurs der Landesregierung gelassen. Die 2010 rund 95.000 weltweit verkauften Porsche-Fahrzeuge seien schon heute in hohem Maße effizient, sagt Konzern-Betriebsratsvorsitzender Uwe Hück: "Wir brauchen die Grünen nicht, um nachhaltige und zukunftsweisende Motoren zu bauen." Die Anforderungen, die ein Porsche-Fahrzeug erfüllen müsse, würden allein von den Kunden bestimmt. "Die Kunden in London, Peking und Moskau erwarten, dass wir schnelle Fahrzeuge bauen, die relativ wenig CO2 ausstoßen", sagt der Vertreter der knapp 13.000 Porsche-Mitarbeiter weltweit.

Sein Beispiel für Porsches grünen Innovationsgeist: das Modell Panamera S Hybrid, dessen Spritverbrauch - bei angepasstem Fahrverhalten - auf 6,9 Liter auf 100 Kilometer gedrosselt werden konnte. "Noch vor Jahren hätten die uns ausgelacht, heute ist das real." In Zukunft würden Hybridantriebe und Elektromobilität bei Porsche noch wichtiger werden, sagt er voraus. Die grün-rote Landesregierung sei eingeladen, dies zu unterstützen. Doch ins Tagesgeschäft hineinreden lassen wolle man sich nicht, betont der in Arbeitskämpfen am Stammwerk Zuffenhausen bekannt gewordene frühere Thaiboxer Hück: "Wir sind keine Nation der Radfahrer, sondern ein stolzes Autofahrervolk in Deutschland." Und das müsse auch so bleiben.

Standortvorteile in Gefahr

Herbert Müller, Präsident der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (Foto: Richard Fuchs / DW)
Herbert Müller: "Viele Fragezeichen"Bild: R. Fuchs/DW

Auch der Präsident der Industrie- und Handelskammer Baden-Württemberg sieht noch viele Fragezeichen hinter der grünen Politikwende. Herbert Müller befürchtet erheblich steigende Energiepreise durch den Wegfall von Atomstrom und den Zubau von Wind- und Solarkraftwerken. Ein verschleppter Verkehrsinfrastrukturausbau, wie Müller es nicht nur im Falle des umstrittenen Neubaus des Stuttgarter Hauptbahnhofs beobachtet, sei ebenfalls schlecht für den Standort. Ebenso wie eine von der grün-roten Landesregierung losgetretene Debatte über Steuererhöhungen für Unternehmen. "Wenn die Strompreise dramatisch in die Höhe gehen, wenn das gepaart wird mit erheblichen Steuererhöhungen und einer Einschränkung der Mobilität, dann werden sich selbstverständlich die Unternehmen, die mobil und weltweit tätig sind, die werden sich dann andere Standorte suchen", sagt Müller.

Zwar lobt der frühere Chef der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ernst & Young Deutschland die neue "Kultur des Zuhörens" der grün-roten Landesregierung. Doch noch findet er beim grünen Ministerpräsidenten kein Gehör, wenn er eine aus Klimaschutzgründen gedrosselte Autoproduktion in Baden-Württemberg gar als klimaschädliches Eigentor bezeichnet. "Wir haben in Deutschland einen Fuhrpark, der im Durchschnitt acht Jahre alt ist", argumentiert Müller. "Das heißt, es fahren überwiegend Autos auf unseren Straßen, die nicht einer modernen Vorstellung von CO2-Reduktion und Sprit sparen entsprechen." Diese Autos auszutauschen, sei gerade für ein grünes Autoland angezeigt. "Aber dazu müssen wir die Autos auch produzieren, also mehr Autos produzieren."

Grüner Strom für die Hightech-Industrie?

Biomasse-Kraftwerk im oberschwäbischen Schwendi (Foto: Schilling-Holz)
Biomasse-Kraftwerk im oberschwäbischen SchwendiBild: Schilling-Holz

Profitieren werden von der grünen Politikwende im Ländle zweifelsohne all jene Unternehmen, die grüne Energie oder dazu passende Dienstleistungen anbieten können. Sägewerksbesitzer Hans-Erich Schilling aus dem oberschwäbischen Rot an der Rot besitzt bereits ein Biomasse-Kraftwerk, das, gespeist mit Sägerestholz und Waldholz, Wärme produziert: "Ich sehe für uns hier eine große Chance. Für uns kommt diese Wende ganz gelegen."

Viele energieintensive Chemie-, Stahl- und Automobilunternehmen dagegen treibt die Angst vor Engpässen bei der Energieversorgung um. Sowie die Sorge, die Stromrechnung könnte am Ende die Gewinne auffressen. "Viele Mittelständler halten es für keine verantwortungsvolle Politik, wenn man einen definitiven Ausstieg aus der bisherigen Energieversorgung beschließt, ohne konkret Ross und Reiter zu nennen, wie das Neue kommen soll", drückt IHK-Müller diese Angst aus.

Wasserkraft ist ausbaufähig

Julian Aicher (Foto: Richard Fuchs / DW)
Julian Aicher: "Verdoppelung möglich"Bild: R. Fuchs/DW

Eine Angst, die Julian Aicher von der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg angesichts des noch ungenutzten Wasserkraftpotentials im Land für unbegründet hält: "Viele Experten, unabhängig von einander sagen, eine Verdoppelung der Wasserkraft ist möglich", sagt Aicher, der im schwäbischen Alpenvorland selbst eine Kleinwasserkraftanlage besitzt. "Das sind in diesem Land immerhin fünf Milliarden Kilowattstunden pro Jahr, das ist ausreichend für drei Millionen Privatpersonen." Halte die grüne Landesregierung Wort und erhöhe den Anteil der mit Windkraft erzeugten Strommenge bis 2020 auf zehn Prozent, dann sei die dezentrale Energieversorgung Wirklichkeit. "Das ist schon mal nicht mehr nur eine Nische", sagt Aicher.

Auch wenn im Autoland Baden-Württemberg bislang andere Töne dominierender waren. Porsche-Betriebsratsvorsitzender Uwe Hück fühlt sich im grünen Industrieland Baden-Württemberg eigentlich wohl. Er vertraut auf den grünen Ministerpräsidenten, den er als maßvoll und bodenständig kennen gelernt hat. Letztlich müsse der nur eines beherzigen, sagt Hück: "Auch unsere Jugend muss die modernste Technik erlernen, entwickeln, bauen und verkaufen, sonst wird Deutschland untergehen". Und modern sind in den Augen Hücks die schnellen Porsche-Flitzer allemal.

Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Rolf Wenkel