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Literatur

Ringen um die korrekte Sprache

Gaby Reucher
10. März 2017

Selbst in vermeintlich harmlosen Begriffen unserer Sprache verbergen sich rassistische Anklänge. Wo die historischen Wurzeln liegen, hat die Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt erforscht.

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Illustration Robinson Crusoe
Bild: picture alliance/Everett Colle

Ist es rassistisch, Schwarzen in die Haare zu fassen? Wessen Haut ist eigentlich hautfarben? Woran erkenne ich rassistische Wörter? Mit all diesen Fragen hat sich die Literaturwissenschaftlerin und Afrika-Expertin Susan Arndt beschäftigt. In ihrem Buch "Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus" bietet sie Einblicke in Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Rassismus und hinterfragt unsere heutigen Sprachgewohnheiten und Verhaltensmuster. Susan Arndt ist Professorin für Englische Literaturwissenschaft und Anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth. Der Deutschen Welle hat sie erzählt, wo der Rassismus seinen Ursprung hatte und worauf wir in unserer Sprache und Schreibweise achten sollten.

 

DW: In Ihrem Buch "Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus" stößt man gleich bei der inhaltlichen Kurzbeschreibung auf die Frage: "War Freitag gerne Robinsons Sklave?", bezogen auf den Roman "Robinson Crusoe" von Daniel Defoe, der in der Kolonialzeit spielt. Wann haben Sie sich diese Frage zum ersten Mal gestellt?

Susan Arndt Professorin für englische und afrikanische Literaturen an der Universität Bayreuth
Literaturwissenschaftlerin und Buchautorin Susan ArndtBild: Susan Arndt

Susan Arndt: Ich habe als Kind Robinson Crusoe gelesen und fand das wie alle Kinder ganz spannend. Erst später wurde mir bewusst, dass ich gar nicht Defoes Original, sondern eine Nacherzählung für Kinder gelesen hatte. Als ich dann angefangen habe, mich mit Rassismus zu beschäftigen, habe ich einen ganz neuen Blick auf den Roman bekommen. Robinson Crusoe ist eigentlich ein Handbuch, wie ich als wirtschaftlich denkender Mensch Territorien in Afrika und den Amerikas kolonialisieren kann und die Ressourcen und Arbeitskräfte ausbeute.

Wie zeigt sich das im Roman?

Robinson bricht von zu Hause auf, um seiner mittelständischen Familie zu entfliehen. Unterwegs erleidet er Schiffbruch und wird selbst versklavt. Zusammen mit zwei "Persons of Colour" kann er entkommen. Während der Flucht wirft er dann den einen Schwarzen über Bord und gibt den anderen bei der Rettung den Portugiesen als Sklaven. Das zeigt, dass es für den Ich-Erzähler Robinson ohne Brechung durch seinen Autor Daniel Defoe normal und richtig ist, Schwarze zu versklaven - Weiße aber nicht.

Mit Robinson Crusoe verbindet man gemeinhin den Mann, der auf einer einsamen Insel strandet und dort am Ende mit einem Schwarzen namens Freitag als einzigem Freund lebt. Aber Sie haben gerade einen Teil der Vorgeschichte angeschnitten. Die meisten wissen wahrscheinlich gar nicht, dass der Roman drei Teile hat, von denen nur der letzte Teil so bekannt ist.

Ja, vorher gründet Robinson Crusoe noch in Amerika eine eigene Plantage mit Sklav*innen. Dann segelt er los, um weitere Menschen zu versklaven, erleidet aber Schiffbruch und landet dann auf dieser Insel. Erst im letzten Drittel des Romans  begegnet er Freitag, indem er ihm das Leben rettet. Sofort kommt Freitag auf ihn zu, legt sich auf den Boden und stellt Robinsons Fuß auf seinen eigenen Kopf. Für Robinson Crusoe ein Zeichen, dass er ihm als Sklave dienen möchte. Was Freitag wirklich denkt oder fürchtet, interessiert die Erzählperspektive nicht. Ich finde dabei auch entscheidend, wie Robinson Freitag von Anfang an behandelt, dass er ihn Freitag nennt, nach dem Wochentag, an dem er ihn findet. Er tut so, als hätte Freitag nie eine eigene Sprache, Religion, Geschichte oder Familie gehabt.

Dabei entstand der Roman ja zu Beginn des Zeitalters der Aufklärung.

Das ist kein Widerspruch. Ganz im Gegenteil haben Denker wie Immanuel Kant oder David Hume Sklaverei befürwortet. Sie haben theoretische Grundlagen dafür erarbeitet. Im Roman findet man die rassistischen Stereotype, die seit der Antike in Europa aufgebaut und in der Aufklärung theoretisiert wurden. Im Kern wurde argumentiert, dass nur Weiße Menschen seien und daher auch befugt seien, andere zu versklaven, denn Schwarze hätten ja keinen Freiheitssinn. Das wurde dann "Rettung" oder später "Zivilisation" genannt.

Anders als manche seiner Zeitgenoss*innen denkt Defoe da ganz in dieser Linie. Er selbst hatte Aktien in verschiedenen Kompanien, die Menschen versklavt haben und hat somit von der Sklaverei profitiert. Dieses Gewaltsystem der Versklavung wird in Defoes Roman ebenso wie in aufklärerischen Abhandlungen über "Rassen" nicht nur verharmlost, sondern befürwortet. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel wird später sagen, wir müssten sie versklaven, um ihnen zu zeigen, was Freiheit bedeutet, und dann könnten wir die Sklaverei wieder beenden.

Warum halten sich rassistische Bilder aus dem Kolonialismus bis heute?

Buchcover Rassismus Susan Arndt
Bild: C.H.Beck

Es ist mir wichtig zu verstehen, dass Rassismus nichts mit "du bist böse" zu tun hat. Wir haben ganz viele Bilder verinnerlicht, weil Europa auf großen Meistererzählungen und christlichen Farbsymboliken aufbaut, in denen Weißsein positiv und Schwarzsein negativ konnotiert ist. Ganz viele Begriffe transportieren solche Bilder. Wenn ich an bestimmte rassistische Begriffe denke, die ich eigentlich nicht gerne beim Namen nenne, wie etwa an "Häuptling"  und "Indianer", und die Augen zumache, dann sehe ich sofort eine Kolonialphantasie. Für mich ist es wichtig, sich das bewusst zu machen und zu überdenken. Solche Bilder werden auch durch Medien, Schulbücher oder Kinderbücher verstärkt. Es geht also nicht um Schuld, aber wir brauchen ein Verantwortungsgefühl.

Kann man eingrenzen, was überhaupt Rassismus ist?

Der Begriff Rassismus wird oft inflationär behandelt. Für mich ist Rassismus tatsächlich der Glaube daran, dass es "Rassen" gibt - und die Macht von Weißsein, sich weltweit als überlegen zu präsentieren. Die Erfindung der "Rassen" ist ein paneuropäisches Projekt, das im Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts begann, ja bis in die Antike zurückzuverfolgen ist. Dieser Glaube war von Anfang an daran gebunden, dass die "weiße Rasse" allen anderen überlegen sei und daher das Recht auf Privilegien habe und auf Gewaltausübung gegenüber People of Colour. Das heißt, dass im Kolonialismus afrikanische Menschen außerhalb von Kultur und außerhalb von Mensch-Sein verortet wurden. Grundrechte, die der Humanismus und die Aufklärung den Menschen zuschrieben, brauchten auf diese Weise bei der europäischen Versklavung von Afrikaner*innen nicht angewendet zu werden.

Gibt es in der Geschichte des Rassismus ein Merkmal, das sich durch alle Epochen zieht?

Ich denke, es ist die Erfindung von "Hautfarbe". Der Rassismus lehrte uns, Hautfarben zu sehen. Dabei beziehen sich die Farben Schwarz und Weiß auf die christliche Farbsymbolik. Weiß war automatisch gut, und Schwarz war böse.

Im 17. und 18. Jahrhundert haben sich dann Rassentheoretiker bemüht, auch andere Merkmale zu finden. Sie haben zunächst Körperteile wie Schädel oder Genitalien gemessen. Als Kritik an der Methode laut wurde, gingen immer absurder klingende Wissenschaften weiter in den Körper hinein und versuchten schließlich, Rassismus in Blut und durch Gene nachzuweisen. Biologen haben diese Theorie, dass Menschen durch Gene in "Rassen" unterteilt werden könnten, aber längst selbst widerlegt. Jetzt gibt es einen Backlash zu "Aber 'Hautfarben', die sieht Mensch doch...".  Im jüngsten antimuslimischen Rassismus werden dann auch noch äußere Merkmale wie Bart oder gar Kopftücher zur Diskriminierung herangezogen.

Da bekommt die Frage "Wo kommst du her?" an Schwarze auch hier in Deutschland eine ganz andere Bedeutung.

Ja, weil es keine Frage ist, die irgendjemandem zufällig interessiert gestellt wird, sondern weil es eine Erfahrung ist, die schwarze Deutsche beziehungsweise Afrodeutsche fast schon täglich machen. Wenn sich das so häufig wiederholt, dann ist damit eigentlich noch eine andere Aussage verknüpft. Es ist gar nicht die Frage danach, wo du herkommst, sondern: "Ach, du siehst aber gar nicht deutsch aus", und damit ist eine Vorstellung von Deutsch-Sein verbunden, aus der das Schwarzsein ausgeschlossen wird. Das ist dann eine rassistische Diskriminierung, die extrem verletzen kann.

Damit sind wir beim unbewussten Gebrauch von Sprache. Darüber gibt es in Ihrem Buch ein ganzes Kapitel, das auch rassistische Wörter behandelt.

Es gibt auf der einen Seite ganz klare rassistische Begriffe, die auch im kolonialen Kontext entstanden sind. Darüber muss man eigentlich nicht viel reden, tun wir aber trotzdem, weil viele selbst an dem "N"-Wort (Kürzel zur Vermeidung des Schimpfwortes "Neger" Anm. der Redaktion) noch festhalten wollen. Dann gibt es Begriffe, die auf einer anderen Ebene Rassismus reproduzieren, ausgehend davon, dass Weißsein die vermeintliche Norm sei. Die Berliner Psychologin Ursula Wachendorfer nennt es die "unsichtbar herrschende Normalität des Weißseins". Dazu gehört auch der Begriff "hautfarben". Wir haben das zum Beispiel bei bestimmten Kosmetikprodukten oder orthopädischen Strümpfen, wo der Farbton "hautfarben" tatsächlich ausschließlich auf die Komplexion von Weißen anspielt.

Wie kann man solche sprachlichen Diskriminierungen umgehen?

Ich nenne das immer weg von der biologistischen Kategorisierung hin zu einer Benennung von sozialen Positionen, die wir nicht unter den Tisch kehren dürfen. "People of Colour" ist so ein politischer Begriff, der im englischsprachigen Raum sehr etabliert ist, um alle vom Weißsein ausgegrenzten Personen zu benennen. Es sind keine "Coloureds", keine "Farbigen", sondern "People of Colour". "Farbig" sagt ja wieder, das Weißsein ist normal, das wird aber gar nicht benannt. Die anderen aber werden "Farbige" genannt und in eine Kategorie von irgendwie bunt und anders gepackt. "People of Colour" ist ein Gegenbegriff zu "coloured", das hat sich auch in Deutschland etabliert. Er meint alle vom Rassismus diskriminierten Personen, nicht nur Afrodeutsche. Wir haben noch gar kein deutsches Wort dafür.

Jetzt haben wir dem Projekt ja den Titel Afro.Deutschland gegeben. Ist das korrekt?

Mir würde das wahrscheinlich mit einem Unterstrich besser gefallen. Es ist wichtig, das Ganze aufzubrechen, dass es keinen Gegensatz zwischen Afro und Deutschland gibt, sondern dass Afrodeutsche eben ein Teil von Deutschland sind. Aber das macht Ihr Punkt ja sicher auch.

Wir dürfen dabei aber auch nicht ignorieren, dass Afrodeutsche im Alltag mit Rassismus konfrontiert werden, und das muss auch irgendwie benannt und diskutiert werden durch Ausdrücke wie "schwarze Deutsche" oder "Afrodeutsche". Afrodeutsche einfach nur Deutsche zu nennen, würde nicht ausreichen, dann bliebe das Erfahren von Rassismus unbenannt.

Das Interview führte Gaby Reucher.

Das Buch "Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus" ist im C.H. Beck-Verlag München erschienen.