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Das Schlimmste verhindern

Naomi Conrad, Berlin 7. Oktober 2014

Wie kann man für Heilsversprechen anfällige junge Menschen davon abbringen, sich zu radikalisieren und der IS-Miliz anschließen? Prävention ist schwierig - manchmal sogar unmöglich.

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Deutscher Salafist (Foto: dpa/Ralf Vennenbernd)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Polizist auf der Besuchertribüne trägt Zivil. Nur das kleine grüne Schild, das an seinem grauen Anzug baumelt, verrät, dass er zur Polizei gehört. Unten im Saal fallen Wörter wie Krieg, Syrien, Radikalisierung und Aussteiger. Ab und zu lehnt sich der Mann ein wenig vor, so, als wolle er bloß nichts von dem verpassen, was unten besprochen wird: Die Bundestagsabgeordneten des Unterausschusses "Zivile Krisenprävention" haben zu einer öffentlichen Sitzung eingeladen. Wie bei so vielen Pressekonferenzen und Sitzungen in den vergangenen Wochen geht es um die deutschen Dschihadisten: meist junge Menschen also, die sich radikalisieren und nach Syrien und in den Irak reisen, um sich dort den Kämpfern des selbst ernannten "Islamischen Staates" (IS) anzuschließen.

450 Dschihadisten seien ausgereist, erklärt Hans-Georg Maaßen ernst, meist über die Türkei. Mindestens 40 seien bereits dort gestorben, sechs von ihnen wohl als Selbstmordattentäter. Vielleicht sind es auch mehr. Der Präsident des Verfassungsschutzes geht davon aus, dass die Dunkelziffer sehr viel höher liegen könnte, Tendenz stark steigend: "Immer wieder melden sich Leute, die wir gar nicht kennen, über Twitter plötzlich aus Syrien." Das sind die Menschen, die sich im Stillen radikalisiert haben, zu Hause, über das Internet, vielleicht im Freundeskreis - nicht aber in den salafistischen Gruppen, die der Verfassungsschutz beobachtet.

Abgleiten früh erkennen

Es gebe derzeit 6200 Salafisten in Deutschland, sagt Maaßen, Menschen also, die sich zu einer sehr konservativen Strömung bekennen, die eine Auslegung des Islam propagiert, wie er zur Zeit des Propheten Mohammed praktiziert wurde. Sie machen nur einen Bruchteil der etwa vier Millionen Muslime aus, die in Deutschland leben. Trotzdem: Bis Ende des Jahres, glaubt Maaßen, wird die Zahl der Salafisten wohl auf 7000 angestiegen sein. Damit seien sie die am schnellsten wachsende extremistische Gruppierung in Deutschland. Bei Weitem nicht alle von ihnen sind gewaltbereit und unterstützen den "Islamischen Staat" - innerhalb des Salafismus gibt es verschiedene Gruppierungen. Doch oft, so Maaßen, sei der Übergang vom puritanischen zum gewaltbereiten Salafismus fließend. Und: 25 Prozent der deutschen Dschihadisten, die der Verfassungsschutz bereits über Videobotschaften identifizieren konnte, in denen sie vom Lagerleben schwärmen und sich damit brüsten, zu morden und töten, hätten Beziehungen zu salafistischen Organisationen.

Hans-Georg Maaßen Bundesamt für Verfassungsschutz (Foto: DW)
Maaßen: Mindestens 125 Dschihadisten sind wieder in DeutschlandBild: DW

Diese Menschen geraten erst auf den Schirm der Staatsschützer, wenn sie sich, so Maaßen, bereits mitten in einer Radikalisierungsphase befinden. Dann gehe es darum, das Schlimmste zu verhindern - nämlich, dass die gewaltbereiten Menschen in den Krieg reisen. Doch die Radikalisierung beginne viel früher. Sie anzugehen, das sei die Aufgabe anderer, sagt Maaßen.

"Radikale Jugendsubkultur"

Etwa von Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat, die gemeinsam mit Maaßen an dem langen Tisch sitzt. Seit 2007 hilft die Organisation Muslimen, die aus der islamistischen Szene aussteigen wollen, und berät Eltern, deren Kinder sich radikalisieren. Viele Familien, sagt Dantschke, reagierten kontraproduktiv auf die Radikalisierung ihrer Kinder, soll heißen: autoritär. Das aber befördere das ideologische Abrutschen oft noch weiter. Sie spricht von einer radikalen Jugendsubkultur, die Jungen und Mädchen ganz unterschiedlicher Herkunft anzieht, nicht nur Jugendliche aus muslimischen Elternhäusern, sondern zum Beispiel auch Russlanddeutsche mit christlicher Prägung. Viele Teenager suchten durch ihre Zuwendung zum Salafismus die gezielte Abgrenzung zu ihren Eltern. Sie erzählt von einem jungen Afghanen, dessen Eltern vor den Taliban aus Afghanistan nach Deutschland flohen - er wurde radikaler Dschihadist. Oder der Sohn christlicher Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien, der sich den Salafisten anschloss. Andere suchten Aufmerksamkeit oder eine Identität in einer Gesellschaft, in der sie immer wieder auf Vorurteile und Ablehnung stoßen.

Esra Kücük
Kücük: Wenig Alternativen im InternetBild: David Ausserhofer

Ein Problem sei auch, dass konservative Familien oft ein gewisses Misstrauen gegenüber der deutschen Gesellschaft hätten und sich dann womöglich gar nicht bei den Beratungsstellen melden, sagt Dantschke - oder viel zu spät. Dann aber sei der Prozess der Radikalisierung schon sehr weit vorangeschritten. Es bereitet ihr auch Sorge, dass viele sich nicht mehr melden, wenn ihre Kinder aus dem Krieg zurückgekehrt sind - aus Angst, dass ihr Sohn oder ihre Tochter im Gefängnis landen könnte. Die Angst ist berechtigt: Wer vom Verfassungsschutz oder ausländischen Geheimdiensten auf Videobotschaften identifiziert wird, dessen Name wird an die Behörden weitergeleitet, "damit er am Flughafen von der Polizei begrüßt werden kann", so formuliert es Maaßen.

Rückkehrer: Tickende Zeitbomben?

Wenn Jugendliche aber traumatisiert zurückkehren und nicht betreut werden, "dann werden sie zu einer tickenden Zeitbombe", sagt Dantschke mit Blick auf mögliche Anschläge auch in Deutschland. Deutschland sei insgesamt noch immer viel zu schwach aufgestellt bei der Hilfsstruktur für Aussteiger.

Das gilt auch für Angebote im Internet für Jugendliche, die sich über den Islam informieren wollen: Diese landeten schnell auf einer salafistischen Webseite, die als solche aber auf den ersten Blick nicht zu erkennen sei, kritisiert Esra Kücük von der Jungen Islam Konferenz, einem Netzwerk von jungen Muslimen. Es gebe einfach nicht genug Webseiten, die in jugendgerechter Sprache fundiert über den islamischen Glauben aufklären. Islamwissenschaftler und Theologen seien gefragt, um im Internet ein differenziertes Bild zu vermitteln und zu sensibilisieren. Sie fordert auch einen Medien-Kodex: Presse, Funk und Fernsehen sollten nicht so prominent über die Aktionen salafistischer Gruppierungen berichten, um ihnen nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu geben.

Doch auch ohne die Berichte in den deutschen Medien sind Videos und Botschaften, die deutsche IS-Kämpfer gezielt nach Deutschland strahlen, recht einfach zu finden: Es sei fast unmöglich, sie aus dem Internet zu löschen, so Maaßen, immer wieder tauchten sie an einer anderen Stelle auf, um dann weitere Jugendliche in ihren Bann zu ziehen. Um das zu verhindern, gebe es kein Allheilmittel. Der Staat könne Pässe entziehen, Kämpfer überwachen und Rückkehrern, die nachweislich an militärischen Auseinandersetzungen teilgenommen haben, den Prozess machen. Aber all das, betont Maaßen, werde keine Wunder bewirken. "Unser Problem ist, dass diese Gesellschaft die Leute ausspuckt, die bereit sind, nach Syrien zu gehen."

Als er das sagt, ist der Polizist in Zivil schon von der Besuchertribüne verschwunden.