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Das Wanderarbeiter-Karussell

Alois Berger21. Januar 2014

Viele Länder locken billige Arbeitskräfte aus dem Ausland an. Die dort anfallende Arbeit wird dann von Arbeitskräften aus wieder anderen Ländern erledigt. Das führt zu einer Kette von Ausbeutung.

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Polnische Arbeiter bei der Gurkenernte (Foto:dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Weinstöcke an den Moselhängen sind abgeerntet, die Matratzenlager in den Schuppen und Garagen wieder ausgeräumt, die Erntearbeiter zurückgereist in ihre osteuropäische Heimat. In den Monaten, die sie in den rheinland-pfälzischen Weinbergen arbeiteten, wurden die Felder zuhause in Polen, Bulgarien und Rumänien von Arbeitern bestellt, die noch weiter aus dem Osten kamen, aus der Ukraine, aus Moldau, aus Georgien. Billigarbeiter, die so wenig bekommen, dass Einheimische die Arbeit nicht machen würden. Einheimische, die lieber an die Mosel reisen, wo sie deutlich mehr verdienen als zuhause, aber doch so wenig, dass es so gut wie keine Deutschen gibt, die diese Arbeit machen wollten.

Ökonomen sprechen von einer Win-Win-Situation, Gewerkschaften dagegen fürchten eine zunehmende Verkettung von Ausbeutung. Arbeitsmarktforscher gehen davon aus, dass die zirkuläre Migration, wie sie sagen, in den nächsten Jahren in Europa noch zunehmen wird. Gemeint ist damit vor allem, dass immer mehr Arbeitskräfte für eine gewisse Zeit in ein anderes Land gehen, zurückkehren, und dann irgendwann wieder aufbrechen, immer auf der Suche nach besser bezahlter Arbeit oder überhaupt nach Arbeit. "Da gibt es natürlich auch eine Verdrängung und eine Konkurrenz der verschiedenen Gruppen", sagt Werner Eichhorst vom Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn.

Wenig Lohn für einfache Arbeiten

Diese Konkurrenz, klagt Harald Wiedenhofer vom Europäischen Verband der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften EFFAT, werde von vielen Unternehmen kaltblütig ausgenutzt. In Deutschland, in Spanien, in Polen, überall gebe es eine Tendenz, für einfache Arbeiten so wenig Lohn zu zahlen, dass dafür nur Menschen aus ärmeren Ländern in Frage kämen. Und selbst die könnten oft kaum davon leben.

Afrikanische Arbeiter bei der Erdbeerernte in Spanien (Foto: afp/Getty Images)
Eine Nordafrikanerin bei der Erdbeerernte in Spanien, für weniger als vier Euro pro Stunde.Bild: AFP/Getty Images

Wiedenhofer und sein Verband kämpfen deshalb für einen Mindestlohn, der den Arbeitern ein menschenwürdiges Leben erlauben soll: "Wir reden nicht von einem europäischen Mindestlohn, sondern von einem Mindestlohn, den sich jedes einzelne Land der Europäischen Union gibt, und der 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnittslohnes ausmacht." Noch besser wären Arbeitsmarktvorgaben, wie sie in den meisten nordischen Ländern üblich sind, meint Wiedenhofer: "Wir haben beispielsweise in Dänemark eine Vereinbarung der Sozialpartner, die regelt, dass ausländische Arbeitnehmer genauso behandelt werden wie nationale Arbeitnehmer. Das ist eine vorbildliche Regelung."

Mindeslöhne und Tarifverträge werden unterlaufen

Beim Mindestlohn ziehen die meisten EU-Länder schon mit, auch wenn nicht alle Löhne so hoch sind, wie sich EFFAT das wünschen würde. Deutschland ist eines der letzten Länder ohne gesetzlichen Mindestlohn, eine Lücke, die die neue deutsche Regierung noch in diesem Jahr schließen will. Weiterhin aber werden Mindestlöhne und Tarifverträge oft unterlaufen.

Von den sieben Euro Stundenlohn, die Erntehelfern an der Mosel tarifvertraglich zustehen, haben manche Winzer einen Teil für die Unterkunft im Matratzenlager gleich wieder einbehalten. Doch das sei die Ausnahme, versichert Andrea Adams vom Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz, die Winzer hätten schließlich ein Interesse daran, dass die Erntehelfer zufrieden seien: "Das sind oft über Jahre gewachsene Beziehungen, und wenn die Betriebe zuverlässige Arbeitskräfte gefunden haben, dann freuen sie sich, wenn die wiederkommen."

Harald Wiedenhofer, Generalsekretär des Europäischen Verbandes der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften EFFAT (Foto: Privat)
Harald Wiedenhofer vom Europäischen Gewerkschaftsverband EFFAT kämpft für gleiche LöhneBild: Harald Wiedenhofer

Ausbeutungsinstrument Werkvertrag

Harald Wiedenhofer vom Gewerkschaftsverband EFFAT sieht die Gefahr der Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte deshalb weniger dramatisch in der Landwirtschaft, als vielmehr in der Industrie, wo immer neue Arbeitsverhältnisse entwickelt würden, um Arbeitskräfte noch billiger zu beschäftigen.

Drastisches Beispiel ist die deutsche Fleischindustrie, wo derzeit etwa 15 000 vorwiegend rumänische Arbeiter für drei bis sechs Euro pro Stunde arbeiten. Grundlage sind sogenannte Werkverträge, wie sie nach EU-Recht möglich sind. Danach beauftragt etwa ein deutscher Schlachthof eine rumänische Firma, 100 000 Schweine zu schlachten und zu zerlegen. Das Ganze in Deutschland und für eine feste Summe. Deutsche Tarifverträge spielen in dieser Konstruktion keine Rolle. Die Ausbeutung der Arbeiter erledigt die rumänische Firma.

Es gibt Lösungen

Seit Jahrzehnten versucht die Europäische Union, einerseits den internationalen Wettbewerb auch bei Handwerk und Dienstleistungen anzukurbeln, und andererseits die Rechte der Arbeiter zu schützen. Das Ergebnis ist nicht immer überzeugend: Vor allem in Branchen mit niedriger Qualifikation finden einige Unternehmer immer wieder genügend Gesetzeslücken. Nachdem zum Beispiel die Scheinselbstständigkeit durch neue Vorschriften eingedämmt wurde, boomte die Leiharbeit. Seit es auch hier besseren Schutz für die Arbeiter gibt, sprießen die Werkverträge, "weil wir für die keine europäischen Mindeststandards haben", klagt Wiedenhofer

Polnische Arbeiter bei der Spargelernte (Foto: dpa)
Polnische Arbeiter bei der Spargelernte. Die Unterkunft wird oft vom Lohn abgezogen.Bild: picture-alliance/dpa

Zumindest für die rumänischen Schlachter gibt es Hoffnung. Mitte Januar einigten sich Gewerkschaften und Fleischbranche auf einen flächendeckenden Mindestlohn von 7,75 Euro, der auch für die 15 000 Werkvertragsarbeiter gelten soll. Für Harald Wiedenhofer ist die Einigung ein Beleg mehr, dass die Probleme national gelöst werden könnten - wenn der politische Wille da sei. Allzu lange habe die deutsche Regierung nur den Wettbewerbsvorteil deutscher Schlachthöfe gegenüber belgischen und französischen gesehen: "Man kann Ausbeutung verhindern".