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Das Wirtschaftswunder von Guyana

Tobias Käufer Rio de Janeiro
5. Mai 2024

Wäre da nicht der Territorialkonflikt mit dem Nachbarn Venezuela, die wirtschaftliche Zukunft Guyanas sähe rosig aus. Dem Land gelingen beeindruckende Wachstumszahlen.

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Gebäude des Ölkonzern Exxon Mobil in Georgetown, der Hauptstadt Guyanas
Guyanas Wirtschaft wächst - und das hat viel mit dem Ölkonzern Exxon Mobil zu tun. Hier die Niederlassung des Unternehmens in der Hauptstadt GeorgetownBild: Sabrina Valle/REUTERS

Die einen nennen Guyana das Dubai Südamerikas, die anderen sprechen vom südamerikanischen Wirtschaftswunder. Tatsache ist: Guyana darf im laufenden Jahr mit Wirtschaftswachstumsraten von bis zu 25,4 Prozent rechnen und steht damit an der Spitze der wirtschaftlichen Entwicklung Lateinamerikas. So jedenfalls steht es im jüngsten Bericht der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (Department of Economic and Social Affairs - DESA).

So etwas weckt Begehrlichkeiten. Zuletzt vor allem vom Nachbarn Venezuela, der sich die öl- und rohstoffreiche Region Essequibo per Annexion einverleiben will. Die sozialistische Regierung von Machthaber Nicolas Maduro hat bereits neue Landkarten veröffentlicht, die ein Groß-Venezuela inklusive der Region Essequibo zeigen.

Rasant wachsende Erdölindustrie

Hinter dem Wirtschaftswachstum steckt vor allem die rasant wachsende Erdöl- und Erdgas-Industrie Guyanas. "Guyana hat sich für private Akteure mit umfassenden Kompetenzen entschieden, um diese Art von Projekten durchzuführen", sagte William Clavijo von der Universität Rio de Janeiro jüngst der Zeitung El Mostrador. Guyanas Weg stehe damit in diametralem Gegensatz zu der Strategie, die Venezuela verfolge.

Beamter einer venezolanischen Anti-Korruptionseinheit mit dem festgenommenen Ex-Ölminister des Landes, Tareck El Aissami
Korruptionsverdacht: Festnahme des Ex-Ölministers von Venezuela, Tareck El Aissami, am 9. April Bild: Venezuelan Public Prosecutor's Office/AFP

Venezuelas staatlicher Ölkonzern PDVSA erlebte in den letzten zwei Jahrzehnten einen kontinuierlichen Abstieg. Fachkräfte wurden durch linientreues Personal ersetzt, dass über das "richtige" Parteibuch, aber nicht über die notwendige Kompetenz verfügt. Hinzu kommen Fälle von Korruption und Misswirtschaft. Das Duell Planwirtschaft gegen Markwirtschaft hat derzeit Guyana klar gewonnen.

Denn Guyana geht den gegensätzlichen Weg: die dort tätigen Ölunternehmen setzen auf Fachkräfte mit Knowhow und Erfahrung im Geschäft. Dem US-amerikanischen Ölkonzern ExxonMobil gelang vor fast zehn Jahren eine der größten Ölentdeckungen der jüngeren Geschichte. Allein im sogenannten Stabroek-Block werden bis zu elf Milliarden Barrel Öl (ein Barrel entsprechen 159 Liter) vermutet. Seitdem kennt die Entwicklung des Landes nur eine Richtung: nach oben.

"Einerseits möchte Guyana natürlich weiterhin seine Ölvorkommen ausbeuten, ohne dass ein internationaler Konflikt droht. Andererseits hat die venezolanische Regierung einen jahrhundertealten Konflikt als politisches Ablenkungsmanöver für ihren gescheiterten Versuch genutzt, die mangelnde Unterstützung der Bevölkerung zu überwinden", sagt Carolina Jiménez Sandoval, Präsidentin des Washington Office on Latinamerica (WOLA) im Gespräch mit der DW. "In jedem Fall sollten beide Länder Konfliktlösungsmechanismen nutzen, um ihre Differenzen friedlich beizulegen."

Guyana verändert die Marktlage

Neben der politischen Komponente hat der wirtschaftliche Aufschwung Guyanas natürlich auch wirtschaftliche Auswirkungen. Zuletzt gab es durch die geopolitischen Konflikte wie dem russischen Überfall auf die Ukraine oder den Angriff der Hamas auf Israel und dessen Gegenreaktion im Gaza-Streifen Turbulenzen auf dem Ölmarkt, weil Sanktionen oder Verschiebungen am Ölmarkt die Karten neu mischten. Ein neuer Player, der zudem dem Westen zugetan ist, könnte die Märkte mittelfristig beruhigen und mehr Versorgungssicherheit garantieren.

Einwohner von Georgetown warten am Stabroek Markt auf eine Fähre
Einwohner von Georgetown warten am Stabroek Markt auf eine FähreBild: Matias Delacroix/AP Photo/picture alliance

Schon jetzt Venezuela überflügelt

Guyana mit seinen gerade mal knapp über 800.000 Einwohnern hat schon jetzt eine höhere Pro-Kopf-Produktion als Saudi-Arabien. ExxonMobil teilte mit, dass die Ölproduktion Guyanas von 380.000 Barrel pro Tag im Jahr 2023 auf 640.000 Barrel pro Tag im Januar 2024 steigen wird. Die Ziele sind ehrgeizig: Guyana will nach eigenen Angaben bis 2027 insgesamt 1,2 Millionen Barrel pro Tag fördern.

Zum Vergleich: Das ölreichste Land der Welt Venezuela kommt gerade mal auf 700.000 bis 800.000 Barrel pro Tag und dürfte schon bald von Guyana überholt werden. Laut Experteneinschätzung verfügt Venezuela über nachgewiesene Reserven von fast 300 Milliarden Barrel. Neben den katastrophalen Managementfehlern in Caracas tragen allerdings auch die US-Sanktionen zum schlechten Ergebnis der venezolanischen Ölindustrie bei.

Besonders bitter ist für den Nachbarn, dass Guyana bei den Devisen bringenden Exporten Venezuela bereits abgehängt hat. Nach lokalen Medienberichten übertraf Guyana im Februar mit Ausfuhren von 621.000 Barrel Öl erstmals Venezuelas Exporte von 604.000 Barrel. Unterdessen drückt Guyanas Präsident Irfaan Ali zu Beginn des Jahres bei einer großen Erdöl- und Erdgas-Messe im heimischen Georgetown aufs Tempo: "Es ist nun der Moment, auch unser Gas zu fördern", sagte der Präsident. "Es gibt ein Fenster der Gelegenheit bis zum Ende des Jahrzehnts, um auch das Gas zu kommerzialisieren."