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Das Wunder von Chibok

Katrin Gänsler19. Mai 2016

Nach mehr als zwei Jahren ist eines der 219 von Boko Haram entführten Mädchen befreit worden. Der Zorn über die Regierung dämpft allerdings die Freude. Katrin Gänsler berichtet aus Abuja.

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Freude über die Befreiung des ersten Chibok-Mädchens (Foto: DW/K. Gänsler)
Bild: DW/K. Gänsler

Die Stimme von Aisha Yesufu (im Artikelbild oben, m.) überschlägt sich immer wieder. Aufgeregt läuft sie am Brunnen der Einheit, dem Unity-Fountain, mitten in Nigerias Hauptstadt Abuja hin und her. Manchmal brüllt sie ihre Freude fast ins Mikrofon. Seit mehr als zwei Jahren organisiert Aisha Yesufu fast täglich die Treffen der Bewegung #BringBackOurGirls (BBOG), die die unverzügliche Befreiung der entführten Schülerinnen von Chibok fordert. Am 18. Mai 2016 haben die Mitglieder endlich Klarheit. Zumindest eins der Mädchen, die heute 19-jährige Amina Ali Nkeki, ist am Leben und auf dem Weg zu ihrer Mutter. "Seit 750 Tagen kommen wir täglich. Und endlich ist eins der Mädchen gefunden worden." Aisha Yesufu atmet erleichtert auf.

Dann steigen ihr Tränen in die Augen. Dass nach mehr als zwei Jahren - in der Nacht zum 15. April 2014 hatte die Terrorgruppe Boko Haram 276 Schülerinnen aus den Schlafsälen der weiterführenden Schule entführt - tatsächlich ein Opfer befreit wurde, grenzt für viele an ein Wunder. Deshalb liegen sich die Teilnehmer immer wieder in den Armen. Einige weinen wie Aisha Yesufu. Es sind Freudentränen, aber auch die Trauer darüber, dass offenbar sechs Mädchen nicht überlebt haben. Das hat, so berichtet Tsamibo Hosea-Abana, Vorsitzender der Chibok-Kommune in Abuja, die 19-jährige Amina nach ihrer Befreiung erklärt. Für Aisha Yesufu zeigt es jedoch eins: Der beharrliche Kampf hat sich gelohnt: "Wir waren immer 1000 Prozent sicher, dass die Mädchen am Leben sind." Die große Mehrheit ist es zumindest.

Noch immer befinden sich 218 Mädchen in den Händen von Boko Haram (Foto: DW/K. Gänsler)
Noch immer befinden sich mehr als 200 Mädchen in den Händen von Boko Haram.Bild: DW/K. Gänsler

Befreiung bedeutet Hoffnung für Nigeria

Nicht nur am Brunnen der Einheit ist die Befreiung des Mädchens das beherrschende Thema. In den Radio-Nachrichten macht es Schlagzeilen und jeder hat davon gehört. Plötzlich spricht niemand mehr über den eigentlich für Mittwoch angesetzten Generalstreik, den Dauer-Stromausfall und den in die Höhe geschossenen Benzinpreis. Dabei sorgt vor allem letzterer seit Tagen für unzählige Diskussionen.

"Die Befreiung des Mädchens bedeutet Hoffnung für das Land", erklärt Idayat Hassan, die in Abuja das Zentrum für Demokratie und Entwicklung (CDD) leitet. Gleichzeitig heißt es aber auch, dass die Miliz längst nicht besiegt ist. "Der Kampf gegen Boko Haram kann erst als gewonnen bezeichnet werden, wenn die Mädchen von Chibok befreit sind."

Angehörige kritisieren Tatenlosigkeit der Regierung

Tatsächlich befinden sich weiterhin mehr als 200 Mädchen in den Händen der Gruppe. Das machen auch die BBOG-Mitglieder mit einem neuem Poster deutlich, das sie während ihres Treffens hochhalten. Auch die beiden Nichten von Nkeki Mutah sind dabei. Selbstverständlich freue er sich über Aminas Befreiung. Denkt er an die Töchter seiner beiden Brüder, dann gibt er aber auch zu: "Es ist sehr schmerzhaft." Und eines ärgert ihn besonders: "Unsere Regierung hat sich nicht ernsthaft um die Befreiung der Mädchen gekümmert."

Aktivisten von #BringBackOurGirls (Foto: DW/K. Gänsler)
Aktivisten und Angehörige der entführten Mädchen fordern mehr Einsatz von der RegierungBild: DW/K. Gänsler

Diese Kritik teilt auch Yakubu Nkeki, Sprecher der Elternvertreter von Chibok: "Wenn die nigerianische Regierung mehr Einsatz zeigen würde, würden sich auch die Eltern besser fühlen." Die Väter und Mütter hatten oft betont, wie sehr sie sich von der Regierung im Stich gelassen gefühlt haben. Der Vater von Amina kann seine Tochter nun nicht einmal mehr in die Arme schließen. "Er war mein Nachbar und starb, nachdem die Tochter entführt worden war", erzählt Yakubu Nkeki.

"Sie ist eine Heldin"

All diese Vorwürfe hört die nigerianische Regierung überhaupt nicht gerne. Informationsminister Lai Mohammed sagt deshalb, dass das Mädchen nicht gefunden, sondern von der Armee befreit wurde. "Es ist ein gutes Zeichen. Unsere Bemühungen zahlen sich aus." Ins Detail gehen will aber weder er, noch Armee-Sprecher Usman Sani. Dabei hieß es am Mittwoch mehrfach, dass Mitglieder einer Bürgerwehr Amina gefunden hatten, als sie im Sambisa-Wald, einem riesigen Waldgebiet im Süden des Bundesstaates Borno, ihr Kind gestillt hatte.

Sie ist längst nicht die einzige mit Nachwuchs, im Gegenteil: Mädchen und Frauen, denen bereits die Flucht gelungen war, berichteten oft über Zwangsehen und Vergewaltigungen. Neben all der Erleichterung mahnt Aisha Yesufu deshalb auch: "Wir dürfen die Mädchen nicht stigmatisieren. Sie ist eine Heldin. Wir müssen nun dafür sorgen, dass sie zurück in die Gesellschaft findet."