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Die Regierungspartei fürchtet ein unklares Wahlergebnis

Barbara Wesel 5. Mai 2015

Vielleicht können sie in letzter Minute noch Stimmen von den Rechtspopulisten zurück holen, aber auf einen Erfolg deutet wenig hin. Die britischen Konservativen hoffen auf ein Wunder.

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Bild: Reuters/T. Ireland

Sein Moment des Freud'schen Versprechers kam am Ende des Wahlkampfes, als David Cameron vor Supermarktangestellten in Leeds für sich und seine Tories warb. "Es ist eine Karriere-entscheidende Wahl", entfuhr ihm da, und schnell korrigierte er den Lapsus zu "eine für das Land entscheidende Wahl". Im Englischen liegen "career" und "country" nah beisammen und unabsichtlich hatte der Premierminister plötzlich gezeigt, was ihm insgeheim wohl durch den Kopf ging. Denn er ist das, von dem viele Briten behaupten, es am meisten zu verabscheuen: ein Karrierepolitiker. Nach dem Studium hatte er kurzfristig einen Job bei einer Werbeagentur, wurde dann Mitarbeiter der Konservativen und von da an ging es steil bergauf. Ein schlagfertiger Redner mit geschmeidigem Auftreten, so übernahm er vor zehn Jahren die zerstrittene Partei mit dem Versprechen, sie zu modernisieren. Frustriert hatten die Tories in den Jahren der Blair-Regierung die Oppositionsbänke gedrückt und wirkten abgehängt und gestrig. David Cameron versprach das zu ändern. Und schon 2010 konnte er den glücklosen Labour-Premier Gordon Brown im Amt ablösen.

Speisesaal im Garrick Club (Foto: Alan Black)
Die richtigen Schulen und die feinen Clubs gehören für die Tories dazuBild: Alan Black

Die Jungens aus der Oberschicht

Er brachte eine ganze Clique von Freunden mit in die Downing Street, sein Kabinett und sein Beraterteam, viele kannte er schon aus Schul- und Studienzeiten. Tatsächlich wurde daraus eines der größten Defizite seiner Regierung: Es kam eine Clique aus den Eliteschulen und Universitäten des Landes ans Ruder. Eton, Oxford und Cambridge verbanden die "Cameronites" und die Herkunft aus der privilegierten oberen Mittelschicht. Darunter auffällig wenige Frauen, ein Problem, das die Tories bis heute nicht überwinden konnten. Nach wie vor ist die konservative Partei ein Männerclub. "Posh boys who dont know the price of milk", ätzte eine der eigenen Hinterbänklerinnen einmal treffend - Schnösel aus der Oberschicht, die nicht wissen, was ein Liter Milch kostet. Der Premier passt da genau ins Bild: Ehefrau mit aristokratischen Verbindungen und perfekte Drei-Kinder-Familie, Herkunft und Habitus wie aus dem Magazin für den Landadel. Und dieses Image hängt seiner Regierung bis heute nach: Sie weiß nichts über die echten Nöte und Probleme des Durchschnittsbriten und im Zweifel erheben sich ihre Minister cool darüber. Es ist das alte Bild der Tories als die "fiese Partei", die nur die Interessen ihrer eigenen Klientel vertritt.

Die Regierungsbilanz ist passabel

Dabei wollte der Premierminister ganz neu und anders starten. Zumal er Chef einer Koalitionsregierung mit den Liberaldemokraten wurde, denn schon 2010 hatte es nicht zu einer eigenen Mehrheit gereicht. Traditionell ist das die Ausnahme in der britischen Politik, denn das Wahlrecht zielt auf die stabile Mehrheit einer Regierungspartei ab. Schon damals hatten einige der älteren Parteifreunde gemurrt, dass man doch lieber allein am Steuer wäre. Aber sie werden sich an die neuen Zeiten gewöhnen müssen, auch nach dieser Wahl wird es wohl keine klare Regierungsmehrheit geben. Und die Liberaldemokraten, jetziger Koalitionspartner, drohen nach der innigen Umarmung durch die Tories bei dieser Wahl in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.

David Cameron und sein Finanzminister George Osborne hatten sich vorgenommen, so schnell wie möglich die Folgen der Finanzkrise 2008 zu überwinden. Nach der Devise: Sparen und Kürzen, bis es weht tut. Aber alle milliardenschweren Einschnitte in den Sozialhaushalt und bei den öffentlichen Ausgaben brachten am Ende wenig: Großbritannien hat in der EU nach wie vor das vierthöchste Defizit nach den Krisenländern Griechenland, Island und Irland. Der nachhaltige Schuldenabbau ist um weitere fünf Jahre vertagt. Zwar konnte die konservativ-liberale Koalition in den letzten zwei Jahren die Wirtschaft wieder ankurbeln und trumpfte im vorigen Jahr mit einem Rekordwachstum von 2,6 Prozent auf. Aber die Steuereinnahmen blieben enttäuschend niedrig. Denn der Boom auf dem Arbeitsmarkt steigerte zwar die Beschäftigungszahlen, brachte aber wenig in die Staatskasse, weil er hauptsächlich aus Billigjobs besteht. Bei den Bürgern kam von der Konjunkturblüte wenig an. Und im ersten Quartal 2015 brach das Wachstum dann schon wieder ein, was den konservativen Wahlkampfslogan "Wir haben den langfristigen Plan für die Wirtschaft" in fahles Licht taucht. Kritiker hatten von vorn herein geunkt, das Ganze sei wieder einmal nur eine Blase auf dem Immobilienmarkt und im Investmentbanking.

David Cameron im Wahlkampf 2015 (Foto: epa)
Im Wahlkampf tat Cameron alles, um Volksnähe zu zeigenBild: picture alliance/dpa

Die neue Unübersichtlichkeit

Die Queen empfängt Cameron (Foto: Reuters)
Der scheidende Premier muss sich von der Queen verabschieden - ob Cameron auch der neue sein wird?Bild: REUTERS/Toby Melville

Trotz einiger Pluspunkte bei der sozialen Modernisierung des Landes - Cameron führte beispielsweise die Schwulenehe ein - und seiner relativ erfolgreichen Wirtschaftspolitik muss der Premier um ein gutes Wahlergebnis bangen. Die Briten finden es schwer, ihn zu lieben, er gilt nicht als König der Herzen. Dabei blieb der Wahlkampf blass und irgendwie nebensächlich: Die Bürger machen sich Sorgen um das staatliche Gesundheitssystem NHS, um ihre Lebenshaltungskosten, um das Sozialsystem, gefolgt von der Zuwandererfrage. Das konservative Leib- und Magenthema aber, ein möglicher EU-Ausstieg nach einem Referendum 2017, spielte dabei gar keine Rolle. Die meisten Bürger haben andere Sorgen.

Cameron aber graben bei dieser Wahl von rechts die Populisten von UKIP das Wasser ab, ausländerfeindlich und antieuropäisch. Und von links droht die neue Gefahr aus Schottland: Wenn die schottische Nationalpartei dort sämtliche Sitze erobert, könnte sie die Labour Party in London in einer Minderheitsregierung dulden. Cameron aber fehlt voraussichtlich einfach der Koalitionspartner. Noch immer macht er den Seinen Mut mit dem Ruf nach einer "eigenen Mehrheit". "Träum weiter", schrieb dazu der Kommentator in der Zeitung "The Independent". Nach dieser Wahl, da sind sich alle einig, fängt ein neues, unübersichtliches Zeitalter in der britischen Politik an.