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Davos: Die Krise der Mittelklasse

Andreas Becker z.Zt. Davos
18. Januar 2017

Nach den Wahlerfolgen populistischer Politiker ist die Botschaft auch in Davos angekommen: Es muss sich etwas ändern bei der Globalisierung. Aber was?

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Italien - Bloomberg-Panel auf dem Weltwirtschaftsforum 2017 mit IWF-Chefin Christine Lagarde und  Pier Carlo Padoan
Bild: WEF/C. McCrickard

Global gesehen ist der Anteil der Menschen, die ökonomisch zur Mittelklasse zählen, in den vergangenen 40 Jahren stark gewachsen. Das liegt vor allem am wirtschaftlichen Aufstieg großer Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien.

Betrachtet man jedoch nur die Industrieländer, zeigt sich ein umgekehrter Trend. In den USA etwa zählten früher um die 60 Prozent der Menschen zur Mittelklasse, heute seien es nur noch um die 50 Prozent, sagt Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Krisenzeichen

"Die Mittelklasse ist geschrumpft, weil sich oben mehr Reichtum anhäuft und viele nach unten abrutschen", so Lagarde in Davos. Schwaches Wirtschaftswachstum und größere Ungleichheit seien die Zutaten für "eine Krise der Mittelklasse in den Industrieländern".

Auch in Europa ist die Mittelklasse unter Druck geraten. Dabei geht es nicht nur um die Einkommensverteilung. "Die Mittelklasse ist desillusioniert, was ihre Zukunft angeht", sagt Pier Carlo Padoan, der italienische Minister für Finanzen und Wirtschaft. "Sie ist enttäuscht, weil ihre Kinder schlechte Arbeitsaussichten haben. Und sie ist enttäuscht, weil ihnen die Sozialsysteme weniger Sicherheit bieten."

Und so reagierten viele Menschen, indem sie etablierten Parteien und ihren Lösungsvorschlägen ein klares Nein entgegenschleudern. "Dieses 'Nein' dominiert inzwischen die politische Landschaft", so Padoan.

"Das ist ein Zeichen der Krise. Wir müssen daher neu über politische Führung nachdenken und glaubwürdige, langfristige Projekte. Denn nur so kann in der Mittelklasse - und nicht nur dort - ein Konsens entstehen über die Reformen, die dringend nötig sind."

Keine Vision in Europa

Doch in Europa gebe es nicht einmal eine Vision, wie eine Lösung aussehen könnte - anders als bei den Brexit-Befürwortern oder bei Trump. "Man kann dafür oder dagegen sein, aber zumindest haben sie eine Vision", so Padoan. "Aber wir in Europa haben überhaupt keine Vision. Jedenfalls keine, die eine ähnlich starke Botschaft senden würde."

Und so blieben die Mühen der Ebene, die lange Liste von Reformen - im Steuer- und Finanzbereich und im Bildungswesen, um fit zu werden für zukünftige Veränderungen, glaubt Lagarde. "Aber all das muss genau auf die Regionen abgestimmt sein. Und wahrscheinlich brauchen wir mehr Umverteilung, als wir im Moment haben."

Was aus Trumps Vision werde, Amerika wieder groß zu machen, stehe zudem in den Sternen. "Wir wissen ja gar nicht, welche Politik er machen wird", so Lagarde. "Wir kennen keine Details seines Plans - wenn er überhaupt einen Plan hat."

Anspruch und Wirklichkeit

Der Harvard-Ökonom Larry Summers ist jedenfalls sicher, dass die Mittelklasse nicht von Trumps Politik profitieren wird. "Die Geschichte lehrt uns: Klassischer Populismus schadet immer denjenigen, denen er vorgibt zu helfen", so Summers, der früher auch Chefökonom der Weltbank war und Wirtschaftsberater von US-Präsident Barack Obama.

mögliche Kandidaten für den Posten des Weltbankchefs
Trump wird der Mittelklasse schaden, sagt Harvard-Ökonom Larry Summers.Bild: AP

So habe Trump zwar ein paar US-Firmen dazu gedrängt, Produktionsstätten nicht nach Mexiko zu verlagern und so ein paar hundert Arbeitsplätze im Land zu halten. Gleichzeitig habe sein ruppiges Auftreten gegenüber Mexiko aber dazu geführt, dass der mexikanische Peso gegenüber dem US-Dollar 15 Prozent an Wert verloren hat.

"Das macht den Standort Mexiko noch viel attraktiver", so Summers. "Die Konsequenz wird sein, dass mehrere Tausend, vielleicht sogar hunderttausende Arbeitsplätze von den USA nach Mexiko abwandern."

Versagen der Politik

Der Hauptgrund für die Probleme der Mittel- und Arbeiterklasse lägen nicht in der Globalisierung und auch nicht in der Digitalisierung, sondern in einem jahrzehntelangen Versagen der Politik, und zwar weltweit, glaubt Summers.

"Die internationale politische Gemeinschaft hat viel Energie aufgewandt, um Patente und Urheberrechte multinationaler Konzerne zu schützen", so Summers. "Hätte sie auch nur ein Zehntel dieser Energie in die Frage gesteckt, wie man die Kapitalflucht in Steuerparadiese unterbindet und Firmen daran hindert, Regeln zu umgehen, dann wäre es eine Welt, in der ich gerne leben würde."

In solch einer Welt, fügte Summers hinzu, wäre auch die Mittelklasse leichter von den Vorteilen der Globalisierung zu überzeugen.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.