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Ungebremste Talfahrt beim DAX

Brigitte Scholtes Frankfurt am Main
23. September 2022

Seit Jahresanfang haben die Kurse im Deutschen Aktienindex DAX um 20 Prozent nachgegeben. Auch in dieser Woche ging es überwiegend bergab. Wann ist der Tiefpunkt erreicht?

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Symbolbild Frankfurt Börse Dax Index
Bild: Daniel Kubirski/picture alliance

Für Jörg Krämer, den Chefvolkswirt der Commerzbank, ist die Sache klar: Noch nicht. Zwar seien schon viele negative Nachrichten in den Kursen "eingepreist", viele institutionelle Investoren hätten ihre Aktien auch schon verkauft. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigten aber, dass der Aktienmarkt erst dann einen Boden gefunden habe, wenn die US-Notenbank Fed den Zyklus von Zinserhöhungen abgeschlossen habe und schon wieder daran denke, die Zinsen zu senken. Das aber ist nicht zu erwarten - eher ist das Gegenteil der Fall. Eine Ende des Zinsstakkatos ist vorerst jedenfalls nicht in Sicht. Entsprechend rutschte der Deutsche Aktienindex am Freitag weiter abwärts auf den tiefsten Stand seit bald zwei Jahren. 

Dass es in diesem Jahr so schlecht läuft für den DAX, aber auch die anderen Aktienmärkte weltweit, hat neben den Zinserhöhungen mehrere offensichtliche Gründe: die Lieferkettenprobleme seit dem vorigen Jahr, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der zu den rasant steigenden Energiepreisen und eben in Folge zur Straffung der Geldpolitik geführt hat. Das hat die Gewinnmargen der Unternehmen gedrückt. Das Gros der Kursverluste hätten die Märkte jedoch hinter sich, meint Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege des Vermögensverwalters Capitell.

Realismus ist gefragt

Zu einer positiven Trendwende brauche es aber noch zwei Dinge, meint er: "Die Analysten müssen im Hinblick auf ihre Gewinnerwartungen etwas realistischer werden, also für die DAX-Konzerne eher leicht sinkende Unternehmensgewinne erwarten." Und der Markt müsse sich auch noch darauf einstellen, dass die Notenbanken noch stärker die Leitzinsen erhöhen, als sie das bisher erwarten. Das hatte vor wenigen Tagen Fed-Chef Jerome Powell deutlich gemacht. Auch die Europäische Zentralbank lässt inzwischen an ihrem Straffungskurs keinen Zweifel mehr. Denn die Inflation müsse im Euroraum wieder auf zwei Prozent sinken, das hatte zuletzt EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel bekräftigt. Wenn mehr Realismus an den Märkten einkehre, werde es eine Bodenbildung geben, ist Schickentanz überzeugt: "Dann kann 2023 auch durchaus ein versöhnliches Aktienjahr werden."

Börse in Frankfurt/Main
Blick in den Handelsraum der Börse in Frankfurt am MainBild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Man sollte sich aber bei der Anlage nicht auf deutsche Aktien beschränken, warnt Christian Kahler, Geschäftsführender Gesellschafter der Investmentboutique Kahler & Kurz Capital. Deren Börsenwert, die Marktkapitalisierung also, entspreche etwa 1,8 Prozent der globalen Aktienmarktkapitalisierung: "Der deutsche Aktienmarkt ist in den letzten Jahren mehr oder weniger in die Bedeutungslosigkeit versunken", sagt Kahler. Ein Grund: Die oft stark exportorientierten DAX-Konzerne leiden unter der schwächeren Weltwirtschaft und dem starken Dollar. Deshalb blieben die Aussichten für den DAX verhalten.

Es kommen auch wieder bessere Zeiten

Es sei denn, es komme bald zum Ende des Ukrainekriegs: "Langfristig ist es sinnvoller, sein Portfolio deutlich internationaler zu streuen." Außerdem sollte man eher auf ausgewählte "Qualitätsunternehmen" setzen. Damit meint er solche Firmen, die wenig Geld verwenden müssen, um zu wachsen, die wenig Kapital im eigenen Betrieb binden und die auch mit der hohen Inflation sehr gut leben können, weil sie die Preise weitergeben können. Die seien aktuell so günstig wie nach der Lehman-Pleite zu haben. "Man muss sich dann für die Börse interessieren, wenn alle weglaufen" sagt Kahler. Und das sei aktuell der Fall, weil viele Anleger ihre Gelder aus Aktienfonds abziehen. Viel Geld ist auch gebunden, weil viele Menschen sparen müssen, damit sie die steigenden Energiepreise bezahlen können.

"Heute ist die Lage zwar sehr erdrückend", sagt der Aktienstratege. "Aber wenn man mal davon ausgeht, dass es in zwei oder drei Jahren besser wird, dann ist auch der Aktienmarkt der richtige Ort, an dem man sein muss, weil dort immer die zukünftigen Unternehmensgewinne abdiskontiert werden", gibt er sich optimistisch.