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Wende-Museum in Los Angeles

Andrea Kasiske10. Juli 2014

Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall wird die DDR-Vergangenheit entweder verteufelt oder verklärt. Einen neutralen Blick versucht "The Wende Museum" in Los Angeles. Eine Begegnung mit seinem Gründer.

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Jampol schaut aus einem Wachturm, Foto: DW
Bild: DW

"Das ist ein BT6, einer der frühen Wachtürme, die sind kleiner als die späteren", sagt Justin Jampol und zeigt auf den etwa zehn Meter hohen Turm vor sich. Es ist der letzte DDR-Wachturm in Berlins Mitte, am Leipziger Platz. Der Amerikaner in dem dunklen Boss-Anzug ist zu Besuch in Berlin. Er ist Experte für DDR-Geschichte. Ihm ist es zu verdanken, dass viele Erinnerungen an den Kalten Krieg vor dem Vergessen bewahrt wurden. 2002 hat er das Wende-Museum mit circa 100.000 Artefakten in den USA gegründet. Eine beachtliche Leistung, denn es handelt sich um die größte Sammlung von Zeugnissen der DDR-Alltagskultur und des Kalten Krieges außerhalb Europas. Aufgewachsen ist Jampol in Los Angeles. In den 90er Jahren studierte er Geschichte in Oxford. Und hatte eine zündende Idee. Er begann, die Relikte der DDR, die massenweise auf Müllhalden landeten oder zerstört wurden, vor der Vernichtung zu retten. Nicht aus Sentimentalität, einen persönlichen Bezug zur DDR hat er nicht, sondern aus Interesse an Alltagsgeschichten. Natürlich müsse er immer wieder mit Vorurteilen aufräumen, erzählt Justin Jampol. Denn die meisten Menschen assoziierten bei einem Amerikaner, der DDR-Überbleibsel sammelt, nur kommerziellen Kitsch.

Kein DDR-Devotionalienmuseum

Gerade kommt eine der vielen "Trabbi-Safaris" am Leipziger Platz vorbei. Die Auspuffanlagen der "DDR-Volkswagen" qualmen, es riecht wie zu früheren Zeiten. Ein Touristengag, ähnlich wie die zahlreichen Verkaufsstände mit Uniformteilen der "Nationalen Volksarmee" oder Kopfbedeckungen von Grenzposten, die auf Flohmärkten zuhauf angeboten werden. Den Wunsch, ein bisschen "DDR-Gefühl" zu kriegen oder mit Relikten von "früher" die ostdeutsche Geschichte zu konservieren, den könne er schon verstehen. Aber genau diese "Ostalgie" erschwere seine Arbeit, sagt er, denn sein Museum sei keine DDR-Devotionaliensammlung.

Justin Jampol fotografiert einen Wachturm, Foto: DW
Justin Jampol inspiziert ein ehemaliges DDR-Kontrollhäuschen, das BerlinBild: DW

Das Museum versteht sich als Forschungsstätte. Über 6000 Dokumentar- und Lehrfilme, audiovisuelle Zeitzeugenaussagen und Dokumente stehen Historikern, Journalisten, Künstlern oder Studenten zur Verfügung. Ein einmaliges Archiv, das reichlich genutzt wird, erzählt Jampol nicht ohne Stolz. Den räumlichen und innerlichen Abstand zu Deutschland und der DDR-Geschichte findet er wichtig. Das habe ihm einen neutraleren Blick ermöglicht. Er sei selbst erstaunt gewesen, wie fortschrittlich der ostdeutsche Alltag in Bereichen wie Gesundheit und Bildung war. Als Beispiel nennt er einen AIDS-Aufklärungsfilm, der 1988 im Auftrag des Hygiene- Museums Dresden gedreht wurde. "Liebe ohne Angst" zeigt erotische Liebesszenen, befragt Jugendliche in Diskotheken und gibt Lehrern Tipps, wie sie das Thema im Unterricht behandeln können. Und das zu einer Zeit, wo in den USA um Sexualkundeunterricht in den Schulen gestritten wurde. Solche Zeugnisse könnten auch das Bild der DDR in den Köpfen zurechtrücken, sagt Jampol.

Es geht nicht nur um Ostdeutschland

Das Anliegen des charismatischen Museumsgründers beschränkt sich nicht auf die DDR. Das Leben in einem geteilten Staat, mit Mauer und ausgeklügelter Überwachung, das seien Themen, die auch über die konkrete ostdeutsche Geschichte hinausgingen, meint er. Deshalb gäbe es im Wendemuseum auch immer wieder Symposien und Artist-in-Residence-Programme, die die Problematik in einen größeren Kontext stellen würden. Die arabischen Befreiungsbewegungen, die Konflikte in den postsowjetischen Staaten, Korea, Beirut, Israel seien wichtige Anknüpfungspunkte für seine Arbeit.

Frau mit Filmprojektor im Wende-Museum, Fotografin: Marie Astrid-Gonzalez
Aufklärungsfilme der DDR zählen zu den Schätzen des Wende-MuseumsBild: Wende Museum/Foto: Marie Astrid-Gonzalez

Justin Jampol ist der perfekte Botschafter in eigener Sache. Er reiht eine Anekdote an die nächste. Er beschreibt, mit welcher Farbe Graffitis an Wachtürmen und Mauer überstrichen wurden, erklärt die Psychologie der Wachhabenden. "Oft waren es Waisen, die in staatlichen Kinderheimen aufwuchsen, die dann hundertprozentig hinter dem System standen und auch als es zusammenbrach, immer noch weiter machten.Sie kehrten immer wieder zu ihren alten Arbeitsplätzen zurück, auch als es die nicht mehr gab". Seine Quellen sind Studien und zahllose Zeitzeugengespräche. "Als Amerikaner hatte ich mit den deutsch-deutschen Beziehungen nichts zu tun, es gab weniger Vorbehalte mir gegenüber."

Das letzte Kontrollhäuschen zieht um

Zum Jahrestag des 9. Novembers zieht das Wende-Museum in Los Angeles in ein ehemaliges US-Waffenlager um. Das " National Guard Armory" wurde zu Beginn des Kalten Krieges gebaut und grenzt an einen Gedenkpark für amerikanische Veteranen. "Ein perfekter Ort", findet Jampol. Zum Festakt am 8. November wird dann das letzte Kontrollhaus im öffentlichen Raum, das vor dem Hauptquartier des "Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst" stand, von Berlin nach Los Angeles umziehen. Bis dahin tourt das "Pförtnerhäuschen" mit einer Ausstellungsreihe durch den Großraum L.A. Das ist ganz im Sinne von Justin Jampol. Mit der Kunst kommt etwas Neues und genau das will das Wendemuseum: in die Zukunft schauen und zurück blicken, aber mit Abstand zur Geschichte.

Exponate im Wende-Museum, Fotografin: Marie Astrid-Gonzalez
Filmrollen stapeln sich im Archiv des Wende-MuseumsBild: Wende Museum/Foto: Marie Astrid-Gonzalez

Mehr zum Thema:

25 Jahre nach dem Mauerfall erscheint am 9. November im Taschen-Verlag ein Bildband:

Beyond the Wall: The East German collection of the Wende Museum
Justin Jampol, TASCHEN, 900 Seiten