Theater trifft Techno
26. März 2012Seit zwei Stunden wartet Sarah bei Minustemperaturen in der Schlange. Sie trägt eine rosafarbige Sonnenbrille und einen Hut aus Neon-Leuchtstäbchen. "Wir haben Wegwerf-Pullis an", sagt sie. "Da drin wird es heiß sein und richtig voll. So bald es warm ist, werfen wir die Pullover weg – darunter haben wir tolle Kostüme."
Sarah ist einer von 5000 Fans, die an diesem Abend in der Düsseldorfer Mitsubishi Electric Halle dabei sind. Es ist ihr drittes Deichkind-Konzert. Sie komme vor allem, weil es "immer geil" sei, lacht sie. Die zwei Stunden Wartezeit überbrückt sie - mit Biertrinken.
Show mit Roller und Hüpfburg
Während sich draußen die Fans in Stimmung singen, ist es in der Halle noch mucksmäuschenstill. Hinter der Bühne stapelt sich eine große Auswahl an merkwürdigen Gegenständen - unter anderem eine Hüpfburg, ein Tandemfahrrad, ein Motorroller und sechs Kopfbedeckungen in Pyramidenform.
Deichkind-Sänger Kryptic Joe alias Philipp Gütering erklärt, was es damit auf sich hat. "Unsere Musik wird manchmal als Techno-Theater beschrieben", sagt er. "Wir haben einfach gemerkt, dass man Platten nicht mehr so gut verkaufen kann. Also haben wir uns umgestellt. Die Leute kommen nicht nur wegen der Musik zu uns, sondern weil die Show ein Erlebnis ist."
Partystimmung mit Federn und Wodka
An diesem Abend fängt das Konzert mit einem ruhigen Film an, die Bilder werden auf einen weißen Vorhang gebeamt. Dann springen auf einmal drei Deichkind MCs auf die Bühne und fangen an zu rappen. Ihre Gesichter sind neonfarben bemalt, und sie tragen selbstgebastelte Kostüme aus schwarzen Mülltüten mit buntem Klebeband.
Spätestens beim "Bück Dich hoch"-Lied tanzen alle im Publikum mit. Die jungen Fans singen mit einer Stimme: "Fleißig Überstunden, ganz normal! Unbezahlt, scheißegal, keine Wahl! Bück Dich hoch, ja!" Meckern hat nie so viel Spaß gemacht.
Auf der Bühne werden mehrfach die Kostüme gewechselt, die Tanzschritte werden komplizierter. Der Höhepunkt des Abends ist aber ohne Zweifel "die Zitze". Ein Riesenbierfass wird mit Wodka gefüllt und auf der Bühne aufgebaut. Die tanzenden Fans in der ersten Reihe bekommen reichlich viel zu trinken - direkt aus einem Gartenschlauch. Beim letzten Lied des Abends, "Remmidemmi", fallen Federn von der Decke. Das durchgeschwitzte Publikum tanzt einfach weiter. Choreographierte Anarchie nennt man das.
Bloß nicht aufhören
Nach dem unerwarteten Tod des Deichkind-Produzenten Sebastian Hackert 2009 sah es eine Zeit lang so aus, als ob Deichkind sich auflösen wurde. Aber die Band entschied sich, weiter zu machen. Und der Erfolg gibt ihnen Recht. Das fünfte Album “Befehl von ganz unten" ist schon jetzt ihr meist verkauftes.
Bei der aktuellen Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz spielen die vier Hamburger immer wieder vor ausverkauften Häusern. "Es macht momentan einfach zu viel Spaß, um übers Aufhören nachzudenken", sagt Beatmaster Kryptic Joe. "Klar weiß ich auch, dass mein Bart grauer wird und ich älter werde, aber wir sind einfach zu erfolgreich, um jetzt alles hinzuschmeißen."