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Delta und Co: Brauchen wir die dritte Corona-Impfung?

2. September 2021

Neue Varianten, nachlassender Impfschutz, Impfdurchbrüche - während die Impfkampagne weltweit nur schleppend voran kommt, wollen reiche Länder ein drittes Mal impfen. Für wen ist der Booster sinnvoll?

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Ein Senior unterhält sich in einem Hamburger Impfzentrum mit einer Ärztin
Bestimmte Risiko-Gruppen sollen auch in Deutschland eine dritte Corona-Impfung erhaltenBild: Joerg Boethling/imago images

Die Zahl der Neuinfektionen schnellt in vielen Ländern wieder nach oben. Neben der inzwischen weit verbreiteten Delta-Variante breiten sich andere besorgniserregenden Varianten wie Lambda oder neuerdings C.1.2 und My rasend schnell aus - dazu später mehr. Da stellt sich die Frage nach einer eventuell notwendigen Impfauffrischung. 

Selten, aber immer häufiger kommt es zu Impfdurchbrüchen, also dazu, dass sich auch vollständig Geimpfte infizieren. Allein in Deutschland gab es laut Robert-Koch-Institut (RKI) unter den rund 48 Millionen vollständig Geimpften bis Mitte August 13.360 symptomatische Impfdurchbrüche.

Länder wie Israel und die USA haben bereits entschieden, dass alle Bürger eine dritte Impfung, einen sogenannten Booster Shot erhalten sollen. Nur dann gilt man künftig als vollständig geimpft.

Impfung einer jungen Frau in Israel
Während die Impfkampagne weltweit nur langsam voran kommt, impfen einige Länder bereits ein drittes Mal.Bild: Tsafrir Abayov/AP Photo/picture alliance

Andere wohlhabende Länder wollen dagegen zunächst nur die wirklich gefährdeten Menschen wie Ältere oder Patienten, die mittels Medikamenten ihr Immunsystem zum Beispiel wegen einer Krebsbehandlung drosseln müssen, ein drittes Mal impfen.

Weltweit aber kommt die Impfkampagne nur schleppend voran. Deswegen fordert die WHO aus Gründen der Solidarität einen Stopp von Corona-Drittimpfungen, bis mindestens zehn Prozent der Bevölkerung in jedem Land der Welt gegen das Coronavirus geimpft sind.

Deutschland will zunächst nur die wirklich Gefährdeten erneut impfen

In Deutschland gibt es bislang noch keinen einheitlichen Kurs, die Ständigen Impfkommission (Stiko) hat Anfang September noch keine verbindliche Empfehlung abgegeben. Aber in vielen Bundesländern werden bereits in Pflegeeinrichtungen oder Altenheimen entsprechende Impfauffrischungen mit einem mRNA-Impfstoff angeboten – in der Regel mindestens sechs Monate nach der zweiten Impfung.

Außerdem sollen Patientinnen und Patienten mit Immunschwäche oder Immunsuppression sowie Pflegebedürftige und Höchstbetagte in häuslicher Pflege geimpft werden, denn bei ihnen ist das Risiko eines nachlassenden Impfschutzes am größten.

Impfung eines Senioren in den USA
Wirklich gefährdet sind Menschen mit einem schwachen Immunsystem Bild: ROBYN BECK/AFP via Getty Images

Aber auch vollständig Geimpften, die den ersten Impfschutz mit einem Vektor-Impfstoff (AstraZeneca und Johnson&Johnson) erhalten haben, soll ab September ebenfalls eine weitere Impfung mit einem mRNA-Impfstoff wie BioNTech-Pfizer oder Moderna angeboten werden. Studien haben gezeigt, dass eine Kreuzimpfung (zum Beispiel erste Impfung mit AstraZeneca, zweite Impfung mit einem mRNA-Impfstoff) deutlich besser wirkt als die Immunantwort nach zwei AstraZeneca-Impfungen.

Was bewirkt die Booster-Impfung?

Gewöhnlich wird der sogenannten Boostereffekt bei den Corona-Impfungen bereits durch die zweite Impfung ausgelöst: Findet erneut ein Kontakt mit dem gleichen Erreger statt - sei es durch die zweite Impfung oder auch durch eine Infektion - kommt es zu einer verstärkten und beschleunigten Antwort des Immunsystems.

Ausgelöst wird diese Reaktion aufgrund der Bildung von sogenannten Gedächtniszellen bei der Erstreaktion. Die Gedächtniszellen erkennen das Antigen wieder und können so viel schneller reagieren, um den Erreger zu zerstören. Deshalb ist für alle die zweite Impfung auch so wichtig. Und deshalb erhalten auch Genesene nach ihrer Erkrankung nur noch eine Impfung, denn ihr Körper kennt den Erreger ja schon.

Gerade bei Menschen mit einem ohnehin geschwächten Immunsystem fällt die Immunantwort aber zum Teil nicht so stark aus. Sie könnten also tatsächlich einen weiteren Booster, also eine Impfauffrischung brauchen.

Sinkende Schutzwirkung laut Hersteller

Seit Mitte Juli gehen die  Impfstoffhersteller Pfizer und BioNTech jedenfalls von einem Rückgang der Schutzwirkung der gemeinsamen Coronavirus-Vakzine nach einem halben Jahr aus. Dann sei - gerade für Menschen mit einem ohnehin geschwächten Immunsystem - eine dritte Dosis erforderlich.

Eine Booster-Impfung erhalte "das höchste Schutzniveau gegenüber allen bisher getesteten Coronavirus-Varianten, also auch gegen die Delta-Variante", hieß es in einer Mitteilung der Pharmakonzerne. 

WHO fordert von reichen Ländern einen Stopp der Booster-Impfungen

Global gesehen kommt die Debatte über eine mögliche Impfauffrischung zur absoluten Unzeit. Während in vielen Industrienationen die Impfquote bereits sehr hoch ist, haben viele ärmere Länder in Asien, Afrika oder Lateinamerika aufgrund des knappen Impfstoffs erst einen verschwindend geringen Bruchteil ihrer Bevölkerung impfen können.

Entsprechend fordert die WHO einen Stopp von Corona-Drittimpfungen, bis mindestens zehn Prozent der Bevölkerung in jedem Land der Welt gegen das Coronavirus geimpft sind. Mindestens bis Ende September sollten wohlhabende Länder auf Booster-Impfungen verzichten, so der Appell von WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Dies sei ein Akt der Solidarität mit ärmeren Ländern.

Tedros Adhanom Ghebreyesus bei der WHO Jahrestagung
Ungewöhnlich scharfe Appelle vom WHO-Generaldirektor Tedros Bild: Laurent Gillieron/Keystone/picture alliance

Er verstehe die Sorge der Regierungen, die ihre Bürger vor der Delta-Variante des Virus schützen wollten. Es sei aber nicht akzeptabel, dass die Länder, die bereits den größten Teil der weltweiten Impfvorräte verbraucht haben, noch mehr davon verwenden, während gefährdete Menschen in anderen Teilen der Welt ungeschützt blieben.

Es ist der bislang schärfste Aufruf der Weltgesundheitsorganisation im Kampf gegen zunehmend ungleichere Impfquoten. Bindend sind die Appelle der WHO für die Mitgliedsländer allerdings nicht.

Größere Gefahr durch ungleiche Impfstoffverteilung

Dabei geht es nicht nur um Fragen der Gerechtigkeit: Weltweit ist die Pandemie noch lange nicht vorbei. Wenn sich aufgrund fehlender Impfstoffe in ärmeren Ländern die Virusvarianten weiter so rasant ausbreiten, könnte das mittelfristig auch für die reicheren Länder erneut zu einem ernsthaften Problem werden.

Infografik Wichtige SARS CoV-2 Varianten

Je länger das Virus in ungeimpften Bevölkerungsgruppen zirkuliere, desto größer sei laut WHO die Wahrscheinlichkeit, dass neue Virusvarianten auftauchen - wie die in Lateinamerika inzwischen weitverbreitete Lambda-Variante C.37, die in Kolumbien identifizierte My-Variante (B1.621) oder die im Mai erstmals im südlichen Afrika entdeckte C.1.2-Variante.

Delta, My, C.1.2 - Risiko durch beschleunigte Evolution

Die My-Variante (der griechische Buchstabe wird My oder µ geschrieben, was beides »Mü« ausgesprochen wird) hat die WHO gerade erst als "Variante von Interesse" eingestuft, weil diese Variante Mutationen mit möglichen Resistenzen gegen Corona-Impfstoffe aufweise.

Und die Variante C.1.2, die bereits in Südafrika, der Demokratischen Republik Kongo, in Mauritius, Großbritannien, China, Neuseeland, Portugal und der Schweiz nachgewiesen wurde, hat die bislang größte genetische Distanz zum ursprünglichen Wildtyp. Mit einer Mutationsrate von 41,8 Mutationen pro Jahr verändert sie sich also im Vergleich zu anderen Varianten besonders schnell, so der US-Epidemiologe Dr. Eric Feigl-Ding auf Twitter.

Bei einer derart beschleunigten Evolution könnten schneller sogenannte Escape-Mutationen entstehen, die auch die bisher zugelassenen Impfstoffe umgehen können, denn diese sind ja allesamt auf Grundlage des ursprünglichen Wildtyps entwickelt worden.

Gerade deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass die Impfrate nicht nur in wohlhabenden Ländern, sondern weltweit signifikant steigt, erläuterte auch Professorin Penny Moore vom National Institute for Communicable Diseases in Südafrika im Interview mit der DW-Radiosendung Africalink: “Das eigentliche Problem und der Grund dafür, dass derzeit so viele neue Varianten auftreten, ist die geringe Durchimpfungsrate. Varianten können nur auftreten, wenn eine Person infiziert ist. Wenn wir also die Durchimpfungsrate weltweit erhöhen können, wird dies zu einer geringeren Zahl von Infektionen führen. Und das wiederum ist der einzige Weg, wie wir die Zahl der Varianten reduzieren können.“ 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund