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Dem Terror nicht nachgeben

Thomas Bärthlein 31. Oktober 2005

Warum ist Indien erneut Ziel eines terroristischen Anschlags geworden? Welche Ziele verfolgen die Terroristen? Thomas Bärthlein schätzt die Lage ein und findet Lob für die Regierungen in Neu Delhi und in Islamabad.

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Nach den Bombenanschlägen von Neu Delhi: Tatort sichernBild: AP

So sinnlos die Gewalt gegen unschuldige Zivilisten auch erscheinen mag: Die Planer von Terror-Anschlägen wie denen vom Samstag (29.10.05) in Delhi verfolgen ein rationales Kalkül. Sie wollen zum einen weltweit Aufsehen erregen. Das lässt sich nicht verhindern.

Nie war es so einfach wie im 21. Jahrhundert, wo sich Nachrichten und Bilder in Minutenschnelle über den Globus verbreiten. Daneben wollen die Terror-Planer auch eine Reaktion erzeugen: Angst und Schrecken sollen ihre Feinde - wer auch immer das sein mag - zum Nachgeben zwingen. Oder es soll wenigstens eine Rache-Aktion provoziert werden, ein Gegenangriff, der den Konflikt verschärft.

In den vier Jahren seit dem 11. September 2001 hat es viele, zu viele Terroranschläge gegeben, bei denen das Kalkül der Terroristen aufgegangen ist. Es spricht alles dafür, dass die beste Reaktion auf Terrorismus weder Panik noch Rache ist, sondern Ruhe und Gelassenheit. Die Anschläge von Delhi liefern dafür ein eindrucksvolles Beispiel.

Ziel Kaschmir verfehlt

Auch wenn die Täter und Hintermänner noch nicht bekannt sind, die Wahl des Zeitpunkts für die Anschläge lässt einige Rückschlüsse auf die Absichten der Terroristen zu: Indien und Pakistan verhandelten zur gleichen Zeit über die Öffnung der "Line of Control", der De-facto-Grenze im geteilten Kaschmir. Im indisch kontrollierten Kaschmir tritt gerade ein neuer Ministerpräsident sein Amt an. Und die Anschläge fanden wenige Tage vor dem großen Hindu-Fest Diwali statt.

Die Vermutung liegt nahe, dass die Attentäter eine weitere Entspannung im Kaschmir-Konflikt verhindern wollten. Voraussichtlich haben sie das Gegenteil erreicht. Denn die Menschen in Neu-Delhi haben sich nicht provozieren oder einschüchtern lassen. Sie sind schon am Tag nach den Attentaten weitgehend zur Normalität zurückgekehrt. Die beste Antwort haben aber die Regierungen Indiens und Pakistans gegeben: Noch kurz nach den Anschlägen waren die Verhandlungen über die historische Öffnung der "Line of Control" ins Stocken geraten. Sie wurden fortgesetzt und - einigermaßen überraschend - noch am gleichen Abend erfolgreich beendet.

Anders als im Dezember 2001

In einer Woche, am 7. November, sollen fünf Grenzübergänge in Kaschmir geöffnet werden, um die Hilfe für Erdbebenopfer zu erleichtern. Die pakistanische Regierung hatte zuvor als eine der ersten die Anschläge von Neu-Delhi in aller Schärfe verurteilt, die indische Regierung äußerte sich mit allergrößter Zurückhaltung über mögliche Hintergründe der Gewalt.

Erinnerungen werden wach an einen anderen Terror-Anschlag in Delhi: den Sturm bewaffneter Männer auf das indische Parlament im Dezember 2001. Damals zögerte die indische Regierung nicht, dem Nachbarland Pakistan die Schuld zu geben. Ein dramatischer Truppenaufmarsch an der Grenze war die Folge, monatelang schien selbst der Einsatz von Atomwaffen nicht ausgeschlossen.

Der Unterschied könnte größer nicht sein

Wenn die Attentäter von Neu-Delhi Kaschmir im Sinn hatten, haben sie sich gründlich verkalkuliert. Sie haben die Regierungen Pakistans und Indiens eher noch enger zusammengebracht. Es ist definitiv keine militärische Lösung für den Kaschmir-Konflikt denkbar - das ist übrigens etwas, was nicht nur die militanten Separatisten endlich begreifen sollten, sondern auch die indische Armee.

Die einzige Hoffnung auf ein Ende von Bürgerkrieg, Menschenrechtsverletzungen und inhumaner Trennung der Menschen in Kaschmir liegt im friedlichen Dialog zwischen allen beteiligten Gruppen. Ein Anfang dazu ist inzwischen gemacht: mit dem Waffenstillstand zwischen Indien und Pakistan, mit Verhandlungen auf allen Ebenen, auch unter Einbeziehung der Kaschmir-Separatisten, und mit humanitären Erleichterungen, auch und gerade in diesen Tagen nach dem Erdbeben. All das dauert viel zu lange, aber es ist besser als nichts.

Terrorismus in der Sackgasse?

Mit Bomben gegen unbeteiligte Menschen auf Einkaufsbummel in Delhi, Menschen aller Schichten, aller Generationen und aller Religionen, erreicht man jedenfalls rein gar nichts. Diese Bomben sind kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche. Selten ist so deutlich geworden wie jetzt in Neu-Delhi und in Islamabad, dass der Terrorismus sich in eine Sackgasse manövriert hat. Aus der gibt es bekanntlich nur einen Ausweg: Umkehren.