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Demagogen, Digitalisierung und die Demokratie

10. Februar 2021

In der Pandemie ist das Internet wichtiger denn je. Aber Fake News, Drohungen, Beleidigungen im digitalen Raum höhlen die Gesellschaft aus. Politik und Zivilgesellschaft ringen um Antworten.

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Gestellte Aufnahme zum Thema Hasskommentare in Sozialen Netzwerken. Neben dem Gefaellt mir Button von facebook sind die Worte elendes Pack zu sehen.
Bild: Thomas Trutschel/photothek/Imago Images

Deutschland steht vor einem Superwahljahr. Und Deutschland steht vor einem Problem. Diesmal ist nicht Corona gemeint. Aber etwas, das sich durch Corona verschärft hat, weil viel mehr Menschen viel mehr Zeit online verbringen: Fake News, Hass und Hetze im Netz. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht sprach am Dienstag von einer vergifteten Debattenkultur im Netz, die unsere Demokratie gefährde. Ohne freien Meinungsaustausch gebe es keine Demokratie, fügte die Sozialdemokratin bei der Eröffnung einer virtuellen Konferenz zum Thema "Digitale Plattformen und Gesellschaft" hinzu.

Fake News als Geschäftsmodell

Eine besondere Verantwortung, unterstrich die Justizministerin, komme den sozialen Netzwerken zu. Knapp ein Drittel aller Nutzer sozialer Netzwerke wie Facebook und Twitter seien bereits mit Fake News, Hetze, Hasspostings oder Bedrohungen in Berührung gekommen, zitierte Lambrecht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag ihres Ministeriums.

Das Justizressort hatte die Konferenz gemeinsam mit dem Branchenverband BitKom aus Anlass des "Safer Internet Day" veranstaltet, eines von der EU-Kommission initiierten Aktionstag. Justizstaatssekretär Christian Kastorp zeichnete ein düsteres Bild der Lage: "Soziale Netzwerke und öffentliche Messenger-Kanäle werden allzu oft missbraucht, um menschenverachtenden Hass und gefährliche Lügen zu verbreiten." "Digitale Brandstifter" müssten konsequent zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Kastorp. Dafür brauche es eine faire, zeitgemäße und durchsetzungsstarke europäische Plattformregulierung, sagte er mit Blick auf den von der EU-Kommission vorgelegten Digital Services Act. Der aber müsse an einigen Stellen aus seiner Sicht "noch nachgeschärft" werden.

Neuvermessung der digitalisierten Gesellschaft

Was in den diversen Podien deutlich wurde: Die rasante Entwicklung der digitalen Plattformen zwingt die Gesellschaften, sich neu zu verorten zwischen den Polen von Kontrolle und Offenheit, von Verantwortung der Betreiber und Verantwortung der Nutzer, zwischen nachträglichem Löschen schädlicher Inhalte und vorgelagerter Regulierung der Plattformen.

In diesem Prozess spüren die Plattformbetreiber mittlerweile heftigen Gegenwind. Die negativen Begleiterscheinungen der sozialen Medien sind nicht mehr zu verdrängen - und noch viel weniger die enorme Macht, die sie besitzen. Vermutlich auch deshalb geben sich die Digitalkonzerne einsichtig. Der Google-Mutterkonzern Alphabet etwa war bei der Konferenz gleich zweimal vertreten: einmal durch die Google-Mitarbeiterin Eveline Metzen, die vom "verantwortungsbewussten Ausbau" der Plattformen sprach und von der "positiven Kraft der Offenheit", und durch Sabine Frank von YouTube.

Informationsriese YouTube

Der Einfluss der Videoplattform ist kaum zu überschätzen. Nach eigenen Angaben schauen die gut zwei Milliarden User täglich über eine Milliarde Stunden an Videos, in 80 Sprachen und mehr als 100 Ländern. Es ist die nach der Suchmaschine Google weltweit am zweithäufigsten aufgerufene Webseite, eine globale Informations- und Unterhaltungszentrale, die besonders intensiv von jungen Menschen genutzt wird. 

Symbolbild YouTube, YouTube Button auf Smartphone wird angeklickt
Täglich milliardenmal geklickt: Informationsgigant YouTubeBild: Imago/photothek/T. Trutschel

Umso schwerer wiegen deshalb Vorwürfe, YouTube-Algorithmen steuerten User tendenziell zu extremeren Inhalten, um sie so länger auf der Seite zu halten - ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt der Videos. Es sind Vorwürfe, die auch gegen andere soziale Netzwerke erhoben werden. Schließlich gehören die Internetkonzerne zu den wertvollsten Firmen der Welt, weil sie die Zeit und Aufmerksamkeit der User in Werbeeinnahmen ummünzen.

Von der DW auf diese Vorwürfe angesprochen, antwortet Sabine Frank, das sei eine weit verbreitete Fehlannahme. Gerade weil sich die Plattform über Werbung finanziere. Denn die Werbekunden wollten nicht im Umfeld grenzwertiger Inhalte auftauchen. Auch deshalb investiere YouTube viel, um derartige Inhalte weniger sichtbar zu machen.

Empfehlung für Klima-Skeptiker

Tatsächlich habe YouTube in jüngster Zeit einiges unternommen, um schädliche Videos weniger oft zu empfehlen, bestätigt Joachim Allgaier gegenüber der DW. Als Professor für Kommunikation und Digitale Gesellschaft in Fulda erforscht Allgaier YouTube und andere soziale Netzwerke - und hatte dabei noch 2019 festgestellt, dass die Videoplattform bei Suchanfragen zum Thema Klima häufig Videos empfahl, die den von Menschen verursachten Klimawandel leugnen.  

RWE Power AG Kraftwerk Niederaußem
YouTube soll Videos von Klimawandel-Leugnern gepushed habenBild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/C. Hardt

Und noch im Januar 2020 hieß es in einem Bericht der Aktivistengruppe Avaaz, dass der YouTube-Algorithmus User zu Klimaleugnern treibe - in Verletzung der eigenen Richtlinien. Die Urheber der Videos profitierten sogar von Werbegeldern. Pikanterweise seien vor Videos von Klimawandelleugnern sogar Anzeigen von Greenpeace geschaltet worden.

Digitalforscher Allgaier treibt derweil eine andere Sorge um: Dass bereits in Desinformationsblasen gefangene Menschen angesichts der wachsenden Säuberungsbemühungen der großen Internetkonzerne auf neue und gänzlich unregulierte Plattformen abwandern, zum Teil verschlüsselt wie der Messenger-Dienst Telegram. "Wir haben keine Ahnung, was da passiert", sagt der Fuldaer Forscher. "Und da ist der Ton vielleicht noch ein bisschen schärfer und aggressiver als in den breit genutzten Plattformen."

"Erosion in der Fläche"

Das führt zu einer ebenfalls am Dienstag vorgestellten Umfrage von BitKom. Demnach wurde bereits jeder sechste Nutzer von sozialen Medien in Deutschland schon einmal Opfer von Hassrede. Die trifft oft gerade jene, die sich gesellschaftlich engagieren, sagte bei der Digitalkonferenz Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der Organisation HateAid, die Betroffenen von Hass im Netz helfen will. Öffentliche Angriffe im Netz schüchterten andere ein und bringe sie zum Schweigen, so von Hodenberg. Sie diagnostiziert eine "Erosion der Demokratie in der Fläche".

Hilfe gegen Hate Speech

Derweil gibt sich Bundesjustizministerin Lambrecht überzeugt: "Eine bessere digitale Welt ist möglich." Konkrete Verbesserungen erhofft sie sich unter anderem von Verschärfungen des deutschen Gesetzes gegen Hass und Hetze. Darin sollen soziale Netzwerke verpflichtet werden, besonders gravierende Posts etwa mit Neonazi-Propaganda, Volksverhetzung oder Mord- und Vergewaltigungsdrohungen nicht mehr nur zu löschen, sondern sofort dem Bundeskriminalamt zu melden.

Aber es ist fraglich, ob das im Superwahljahr 2021 noch zum Tragen kommt. Die ersten Landtagswahlen finden schon im März statt.

 

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein