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Elektronik mieten statt kaufen

Doug Johnson
28. Dezember 2020

Elektroschrott wird zu einem wortwörtlich immer größeren Problem. Eine mögliche Lösung: Leasing von Elektrogeräten. Dadurch könnte sich E-Recycling wirtschaftlich lohnen und der Müllberg kleiner werden.

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Computerplatinen liegen auf einem Haufen auf einem Recyclinghof in Hamburg
Der weltweite Elektromüllberg wächst und wächst - mieten statt kaufen könnte ihn kleiner werden lassenBild: imago images/B. Classen

Jedes Jahr kommen neuere bessere Upgrades von Laptops, Telefonen und Tablets auf den Markt, und die Verbraucher reißen sich um die neuesten Modelle mit den modernsten Funktionen. Aber nach jedem Upgrade füllen ältere Modelle Mülldeponien auf der ganzen Welt. 

Im Jahr 2019 wurde die Rekordmenge von 53,6 Millionen Tonnen Elektroschrott erzeugt, so der "Global E-waste Monitor 2020", der unter anderem von der United Nations University (UNU) - einer Forschungs- und Wissenschaftseinrichtung der UN - herausgegeben wird. Die Prognose: Bis Ende des Jahrzehnts wird der Müllberg an Elektroschrott auf 74 Millionen Tonnen ansteigen.

Abgesehen von der schieren Menge an Abfall, die sich auf den Müllhalden stapelt, enthält Elektronik oft giftige Chemikalien - wie Quecksilber und Fluorchlorkohlenwasserstoffe -, die in die Umwelt gelangen können.

Computermüll in China
Müllhalde in China für Elektroschrott: Bei unfachgerechter Handhabung leiden Mensch und Umwelt Bild: picture-alliance/dpa/P. Durand
Männer arbeiten am Stadtrand von Accra in Ghana auf einer Müllhalde aus Elektroschrott
Müllhalde in Ghana: Auch nach Afrika wird ausgediente Elektronik verschifftBild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Zwar wächst das Bewusstsein für dieses Problem, aber bisher führt das nicht dazu, dass viel davon recycelt wird. "Obwohl die Verbraucher oft sagen: 'Ja, natürlich bin ich für Recycling, und ja, ich recycle', stimmt das tatsächliche Verhalten oft nicht mit den Angaben überein", sagt Laura Kelly, Direktorin der Shaping Sustainable Markets Group (Abteilung nachhaltige Marktentwicklung) bei der unabhängigen Forschungsorganisation Umwelt und Entwicklung - International Institute for Environment and Development (IIED) - in London.

Deshalb fordern einige Experten eine radikale Überarbeitung des Geschäftsmodells der Hersteller. "Es sind dringend Innovationen nötig, damit so viel wie möglich wiederverwendet werden kann", sagt Rüdiger Kühr, Direktor des Sustainable Cycles Program (Programm Nachhaltigkeitszyklen) an der UNU und einer der Autoren des Global E-waste Monitors.

Kühr glaubt, dass wir die Elektronikbranche "dematerialisieren" müssen - anstatt die neueste Technik zu kaufen und zu besitzen, sollten wir sie künftig leasen. Dabei würden die Hersteller ihre Modelle auf die Bereitstellung einer Dienstleistung umstellen statt materielle Güter zu liefern.

Recycling auf den Hersteller verlagern 

Wenn die Produkte im Eigentum der Hersteller blieben, würde sich die Last des Recyclings von den Verbrauchern - die oft nicht wissen, wie sie alte Geräte am besten entsorgen sollen - auf die Unternehmen verlagern, die die Materialien dann direkt für neue Produkte nutzen könnten. 

Im Jahr 2019 wurden laut dem aktuellen E-Waste Monitor nur 17,4 Prozent des Elektroschrotts - 9,3 Millionen Tonnen - offiziell gesammelt und recycelt. Der Großteil landet in Recyclinganlagen, die unabhängig von den Herstellern arbeiten. Und weil Elektroschrott nicht ihr Problem ist, gibt es für die Hersteller selbst kaum Anreize, ihre Produkte so zu konstruieren, dass sie sich leicht zerlegen lassen um wiederverwendbare Materialien zurückzugewinnen.

Wirtschaftsmodell auf Wegwerfen ausgelegt

Die Großzahl der neuen Geräte ist in der Regel fast unmöglich zu zerlegen, und das bedeutet: Ihre wertvollen Materialien, darunter vielfach auch Gold und Silber, landen im Müll. Und für die Hersteller bedeutet das derzeitige Geschäftsmodell: Je schneller die Geräte ausrangiert und ersetzt werden, desto größer ist der Gewinn. 

Eine Hand hält mehrere iPhones von Apple wie einen Fächer
Veraltet nach drei Jahren? Diese Smartphones aus dem Jahr 2017 dürften schon heute Probleme bei updates habenBild: picture-alliance/dpa/dpa-Zentralbild/F. Gutierrez-Juarez

Doch für bestimmte Produkte erweisen sich Leasing-Modelle schon jetzt als wirtschaftlich sinnvoll. Der japanische Elektronikkonzern Canon bietet in Europa ein Leasingmodell für große Bürodrucker an, das Kühr als Beispiel für Dematerialisierung anführt. Hewlett-Packard und Xerox machen ähnliche Angebote. 

Wenn ein Leasingvertrag endet, nimmt Canon den gebrauchten Drucker zurück, überholt ihn für den nächsten Kunden oder schickt ihn, sollte er nicht mehr funktionstüchtig sein, an sein Werk in Gießen in Deutschland, wo der Drucker bis auf das Gehäuse zerlegt wird. Die so gewonnenen Materialien werden für die Reparatur anderer Geräte wiederverwendet. Auf diese Weise kann das Unternehmen laut Andy Tomkins, Nachhaltigkeitsmanager bei Canon, 80 Prozent der Materialien (nach Gewicht gemessen) zurückgewinnen. 

Ein Spiel mit den Zahlen 

Laut Tompkins spielen für Canon dabei nicht nur Umweltbelange eine Rolle. In Anbetracht der Größe der Geräte - und der Menge der verwendeten Materialien - sei es "auch wirtschaftlich sinnvoll, dies zu tun", sagt er. Außerdem seien nur relativ wenige dieser Drucker im Umlauf, so dass die Rückholung einfacher sei als beispielsweise bei Smartphones

Tompkins glaubt, dass Abo-Modelle auch für kleinere und weitverbreitete Geräte funktionieren könnten, wenn die Verbraucher dazu bereit wären. Anders als bei Büromaschinen wollten viele Privatkunden ein Produkt immer noch besitzen. Und sie wollten ein Produkt, das neu sei.

Infografik Elektromüll in Europa DE

Außerdem müssten Hersteller ihre Produktlinien entsprechend umgestalten - so wie die "Made-for-lease"-Drucker von Canon, die mit Blick auf die maximale Wiederverwertung ihrer Materialien so konstruiert sind, dass sie zerlegt werden können.

Selbst dann aber gibt es eine Obergrenze für die Menge an Materialien, die recycelt werden kann. Blair Fix, politischer Ökonom und Autor des Buches Rethinking Economic Growth Theory From a Biophysical Perspective (Die Theorie des Wirtschaftswachstums aus biophysikalischer Sicht überdenken), weist darauf hin, dass sich alles abnutzt und nichts zu 100 Prozent recycelbar ist. "Wir werden immer Materialien brauchen", sagt er. Und im Moment sei es oft viel billiger, neue Materialien - wie Kunststoff aus Öl - zu produzieren, als gebrauchte zu recyceln. 

Anreize für Veränderungen

Kelly vom IIED merkte an, dass Unternehmen in vielen Fällen von sich aus eine fortschrittliche Umweltpolitik verfolgen. Ein Grund dafür sei, dass eine kommunizierte Verpflichtung zur Nachhaltigkeit die Marke stärken könne. Ein weiterer Grund sei aber auch, dass die nicht-erneuerbaren Ressourcen der Welt abnähmen. 

Der E-waste Monitor schätzt den Wert der im Jahr 2019 weggeworfenen Rohstoffe in alter Elektronik auf umgerechnet 47 Milliarden Euro. Davon wurden lediglich Rohstoffe im Wert von umgerechnet knapp 8,2 Milliarden Euro "auf umweltverträgliche Weise wiedergewonnen." Ein Teil dieses Wertes besteht aus seltenen Elementen wie Gold und solchen, die - wie Kobalt - immer knapper werden, weil sie für die Elektronikherstellung unerlässlich sind.

Ein Nissan Leaf fährt über eine Kreuzung
Dieses E-Auto kann man leasen - warum Leasing nicht auf Elektrogeräte übertragen?Bild: Nissan

Vorausschauende Unternehmen, die jetzt mit der Einführung von Kreislaufstrategien beginnen würden, könnten einen Vorsprung haben, wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen zugunsten von Recycling verschieben, glaubt Kelly.  Allerdings gibt es auf Seiten der Hersteller bisher kaum Anzeichen für ein solches Handeln, sagt Ökonom Fix. Er ist der Ansicht, dass die Dematerialisierung von Elektronik ein Eingreifen der Regierung erforderlich ist.

Die Hersteller könnten dazu verpflichtet werden, die Kosten für die Entsorgung ihrer Produkte zu übernehmen, während öffentliche Gelder einen Teil der Kosten der Hersteller für die Einrichtung eigener Demontage- und Recyclinganlagen subventionieren könnten. "Wenn die Hersteller ihren Vertrieb auf diese Weise organisieren, könnte sich wirklich etwas ändern", meint auch Rüdiger Kühr.